Kurt Beck: Der Leutselige, der keinen Spaß versteht - WELT
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Der Leutselige, der keinen Spaß versteht

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Quelle: AP
Seit einem Jahr ist Kurt Beck Vorsitzender der SPD. Dem gelernten Elektromechaniker gelang ein langsamer, aber zielsicherer Aufstieg in der sozialdemokratischen Partei. Beck hat einen klaren Machtwillen und ist keineswegs so gemütlich, wie es scheint.

Jetzt also fangen sie an, über ihn zu spotten. In Deutschland mache er keine gute Figur, draußen auch nicht. Eben noch galt Kurt Beck, der kompakte SPD-Vorsitzende, als der Einzige, der fähig sein würde, den hartz-, schröder- und merkelgeschüttelten Sozialdemokraten neue Zuversicht einzuhauchen und die Partei nach vorne zu bringen. Nun aber, wo die Umfragezahlen nichts Gutes verheißen, quellen die Zweifel wieder hervor. Ist der Mann aus Rheinland-Pfalz, der ein knappes Jahr lang der ältesten Partei Deutschlands vorsitzt, vielleicht doch zu provinziell? Dazu würde passen, dass er zuletzt auch im Ausland nicht glücklich agierte.

Der in Kabul vorgebrachte Vorschlag einer neuen Afghanistan-Konferenz, an der „moderate Taliban“ teilnehmen könnten, machte die Not des Ministerpräsidenten deutlich. Als SPD-Vorsitzender, der natürlich Kanzler werden will, muss er außenpolitisches Vermögen an den Tag legen – und er tut das so forciert, dass er am Ende als einer dasteht, dem die richtigen weltpolitischen Dimensionen nicht geläufig sind. Ist Kurt Beck mit seiner pfälzischen Biografie so sehr Produkt und Ausdruck der alten, weltpolitisch enthaltsamen und innenpolitisch biedermeierlichen Bundesrepublik, dass er zum Führen heute nicht recht taugt?

Die SPD ist glücklos, was ihre Vorsitzenden betrifft

Die SPD steht, was ihre Vorsitzenden angeht, seit geraumer Zeit auf schwankendem Boden. Es gibt da keine gerade Linie mehr. Auf den parteifernen Gerhard Schröder folgte dessen Knappe Müntefering, der als Traditionswahrer bekannt war, im Amt sich aber als Reformantreiber erwies, der fast etwas von einem sozialdemokratischen Savonarola hatte. Als der aus nichtigem Anlass hinwarf, wandte sich die Partei dem einst roten Osten zu: Mit fast hundertprozentiger Mehrheit wählte sie den Ostdeutschen Matthias Platzeck zum neuen Heilsbringer, der mit der klugen, aber komplizierten Idee vom „vorsorgenden Sozialstaat“ aufwartete. Was die Partei da bewegte, war leicht zu erkennen: Der junge und östliche Platzeck sollte mit der ebenfalls jungen und östlichen Bundeskanzlerin mithalten können. Die Partei und ganz Deutschland sollten durch den nüchternen, zupackenden und irgendwie geschichtsnaiven Geist aus dem Osten genesen.

Daraus wurde nichts, und zwar nicht nur, weil Platzeck krank wurde. Das Projekt war zu exzentrisch, und es stand auf zu dünnen Beinen. Reformbedarf hin, Reformbedarf her: Deutschland ist nun einmal vor allem alte Bundesrepublik, festgemauert in der Erden. Und weil das so ist, musste Kurt Beck nicht einmal mit dem Finger schnippen, um sich nach Platzecks Rücktritt am 10. April des vergangenen Jahres den Parteivorsitz überstülpen zu können. Damals reagierte man in den Unionskreisen, die nicht eisern auf die Räson der großen Koalition festgelegt sind, durchaus erfreut und mit deftiger Häme. Der Mann, hieß es, sei aus Unionssicht eine Traumbesetzung. Er passe mit seiner teddyhaften Kuscheligkeit nicht in die Zeit, die Großes erheische. Einer umriss das manichäische Konzept, das sich da abzeichnete, so: "Alter Sozen-Sack gegen jung-dynamische Kanzlerin: genau das Bild, das wir wollen.“

Schlechte Umfragewerte sprechen nicht gegen Beck

Doch auch wenn die Umfragewerte heute gegen Beck sprechen, ist es noch längst nicht ausgemacht, dass diese Rechnung aufgeht. Denn Beck repräsentiert in Wahrheit den Angriff der alten Bundesrepublik auf alle Bemühungen, diesem Staat ein nüchterneres, östlicheres und traditionsferneres Gepräge zu geben. Der SPD-Vorsitzende ist der, für den er gehalten wird und gehalten werden will. Und er ist es nicht. Kurt Beck hatte es schwer. Der Mann, der heute wie ein gelenkiger Koloss wirkt und der eine unerschütterliche Ruhe ausstrahlt, hatte eine ungemütliche Jugend. Nicht weil die Familie des 1949 geborenen Maurersohns nachkriegsbedingt besonders arm gewesen wäre – sondern weil der kleine Kurt Beck ein Ausgegrenzter war. Weil er als Säugling einmal ein falsches Medikament bekam, schorfte seine Haut, er war – wie sich ein Mitschüler später erinnerte – mit Krusten übersät, keiner wollte mit ihm Messdiener sein. Beck sagt selbst: "Ich musste deshalb stärker als andere um Anerkennung kämpfen.“ Sein außerordentlicher Wille hat ihm diese Anerkennung und ein beträchtliches Selbstbewusstsein verschafft – diese Stärke ist aber einer Verletzung abgerungen. So etwas vergisst sich nie wieder.

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Kurt Becks Stärke ist eine umgewendete Schwäche. Schwach war lange auch das Bundesland, das er so rund und weinköniginnenselig zu repräsentieren versteht. Vor 60 Jahren als letztes der Bundesländer gegründet (dessen Regierungssitz bis 1950 Koblenz war), ist Rheinland-Pfalz ein höchst künstliches Gebilde: zusammengesetzt aus der ehemals bayerischen Pfalz, den Regierungsbezirken Koblenz und Trier der ehemals preußischen Rheinprovinz, der Provinz Rheinhessen und aus Teilen der preußischen Provinz Hessen-Nassau. Bayern und Preußen: Da war es nicht einfach, ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln.

Dass dem so war, dieselt noch einem seltsamen und sperrigen Kurt-Beck-Satz wie diesem nach: "Ein Volk braucht Heimatliebe, um zusammenzugehören.“ Dass Beck kein Volksfest auslassen kann, dass er so tut, als kenne er alle Winzer des Landes persönlich, und dass er seinem Wohnort, dem Straßendorf Steinfeld in der südlichen Pfalz, so treu geblieben ist: Das alles ist auch eine angestrengte Antwort auf die Tatsache, dass dieses Bundesland so künstlich ist wie die Bundesrepublik insgesamt. Der Friede und die Zuversicht und der Wohlstand, die beide verkörpern, sind vor dem Hintergrund deutscher Geschichte extreme Sonderfälle. Und weil sie so kostbar sind, müssen sie mit Klauen und Zähnen verteidigt werden. Hinter seiner leutseligen Miene verbirgt Kurt Beck einen unbarmherzigen Willen zur Selbstbehauptung. Der Frieden ist nah am Krieg gebaut.

Langsamer, aber zielsicherer Aufstieg in der Partei

Elektromechaniker, Bundeswehr, Realschulabschluss auf dem zweiten Bildungsweg und dann der langsame, aber zielsichere Aufstieg über Partei, Kreistag und einen frühen Förderer, den aristokratischen Klaus von Dohnányi: Kurt Becks Lebensweg ist die fleischgewordene Erfolgsgeschichte der Bundesrepublik, die schon in ihrer Anfangszeit, noch mehr aber in den sozialliberalen Jahren denen ein gutes Stück nach oben verhalf, die einen Willen hatten, früher aber trotzdem unten geblieben wären. Die Bundesrepublik Deutschland: Das ist ein Staatserfolg auf dem zweiten Bildungsweg – und Kurt Beck wirkt wie ein Exempel dieser großen Geschichte. Weil das so ist, wirkt der SPD-Vorsitzende wie ein Erz-Sozialliberaler. Den Grünen kann er wohl nicht verzeihen, dass sie früher einmal das Wunder der Bundesrepublik verächtlich gemacht haben.

Weil Kurt Beck ganz genau weiß, was er verteidigen will, ist er in Wahrheit alles andere als ein gemütlicher Mensch. Er spielt zwar nicht, wenn er den Landesvater gibt. Er tut das aber als Patriarch, fast als einer, der wie mittelalterliche Könige sein Land im Wortsinne verkörpert. Und er tut es mit großer Entschlossenheit. Den wahren Kurt Beck kennen nur jene, die ihn dort erleben, wo Politik wirklich gemacht wird: auf Sitzungen, in Gremien. Und alle, die von dort – wie vage auch immer – berichten, erzählen dies: Dort kennt er keinen Spaß, dort ist er von großer Härte und scheut das schroffe Wort nicht.

Wird das reichen? Willy Brandt führte die SPD lau – und erfolgreich. Nach ihm kamen Eiferer, Beaus, Ordnungsträger, Handwerker, Machtmenschen – allesamt am Ende nicht besonders erfolgreich. Kurt Beck hat, kaum gewählt, gesagt, er wolle sehr lange Parteivorsitzender sein. Die körperliche Statur dazu hat er: Er verkörpert das Versprechen auf Wohlergehen. Den Willen zur Macht hat er, aller volksfesthaften Anmutung zum Trotz, auch. Und so zäh und unerschütterlich wie die Kanzlerin ist er schon gar. Würde er Kanzler, dann wäre er, geht einem durch den Sinn, so etwas wie der Oberbürgermeister der Bundesrepublik Deutschland. Das mutet wohlig an, könnte aber unpassend sein. Die SPD braucht den Willen zur Macht. Den hat Kurt Beck zur Genüge. Da die SPD aber längst nicht mehr eine sich von selbst verstehende Volkspartei ist, braucht sie wohl auch so etwas wie Ideen. Da dürfte von Beck wenig zu erwarten sein. Siegte er doch, was ja denkbar ist, wäre es wie so oft: Die Fähigkeiten, die zum Machterwerb gebraucht werden, sind nicht dieselben, die man zum regierenden Verändern des Landes braucht.

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