Kristina Menninghaus ist Therapeutin für Kinder und Jugendliche. Foto: Thomas Merkenich

Dass Geschwister sich streiten und miteinander konkurrieren ist ziemlich normal. Tatsächlich hilft das sogar bei der Entwicklung hin zu einem sozialen Wesen und zu einem starken Ich. Eltern können ihre Kinder auf diesem Weg unterstützen. Wie, das erklärt Kinder- und Jugendlichentherapeutin Kristina Menninghaus in dieser Kolumne. Warum Eltern dafür auch in die eigene Kindheit zurückblicken sollten – und was ihre Beziehung zueinander damit zu tun hat.

Schon Sigmund Freud hat beobachtet, dass Geschwister untereinander in Konkurrenz treten um die Gunst und Zuneigung der Eltern. Wird das erste Kind „entthront“, können Missgunst, Neid und Hass entstehen, da die uneingeschränkte Liebe der Eltern bedroht erscheint. 

Allein die Tatsache, Geschwisterkind zu werden, führt also zu negativen Gefühlen, mit denen Kinder einen Umgang finden müssen. Als Eltern haben wir darauf einen entscheidenden Einfluss. 

Elternschaft führt auch zu der Herausforderung, die eigene Rolle in der Herkunftsfamilie zu betrachten und zu reflektieren, damit negative Erfahrungen nicht unüberlegt weitergegeben werden. Dabei spielt die Beziehung zu den eigenen Geschwistern eine ebenso wichtige Rolle wie die Beziehung zu den eigenen Eltern. 

Wie war das in meiner eigenen Kindheit?

Wenn ein Paar sich also entscheidet, Nachwuchs zu bekommen, sollten sich beide Elternteile mit der Frage beschäftigen: Welche Geschwisterkonstellation habe ich erlebt? Wie war die Beziehung zu meinen Geschwistern? 

Warum das so wichtig ist, erkläre ich an einem konstruierten Beispiel: Der werdende Vater hat in seiner Ursprungsfamilie eine ältere Schwester, die in der Kindheit bevorzugt wurde und dominant war, was bei ihm zu Neid und Missgunst führte. Wenn dieser Groll weiterhin im Vater schlummert, könnte sich das negativ auf die Beziehung zu seinem erstgeborenen Kind auswirken – vor allem, wenn es eine Tochter wird. Es könnte passieren, dass er die negativen Gefühle gegenüber seiner Schwester auf seine Tochter überträgt. 

Besonders schwierig könnte es werden, wenn das Paar noch ein zweites Kind bekommt und dieses ein Junge wird. Vielleicht identifiziert der Vater sich dann stark mit seinem Sohn und bevorzugt ihn in dem Versuch, seine eigenen Gefühle von hilfloser Wut aus der Kindheit zu beruhigen. 

Und so kann es dann passieren, dass ein Elternteil Konkurrenz und damit einhergehende Streitigkeiten unter den Geschwistern fördert. 

Diese prägenden Muster der eigenen Kindheit können durch die Selbstreflexion der Eltern aufgelöst werden. Das heißt nicht, dass Eltern ihre Kinder stets gleich lieben. Aber es heißt, dass Eltern ihre Kinder in ihrer Einzigartigkeit sehen und lieben und es möglicherweise benennen oder zumindest innerlich reflektieren, wenn sie ein Kind tatsächlich einmal bevorzugen. 

Die Beziehung der Eltern …

Darüber hinaus hat die Beziehung der Eltern einen wichtigen Einfluss auf die Beziehung der Geschwister untereinander. Wenn die Eltern nicht nur Eltern sind, sondern auch ein Paar, das sich einander liebevoll zuwendet und gegenseitig unterstützt, so werden die Kinder ebenfalls eine liebevolle Ebene zueinander finden.

Die Kinder leben das, was ihre Eltern ihnen vorleben. So sind Streitigkeiten unter Geschwistern höher, wenn die Eltern sich viel streiten und ihre Beziehung von Missgunst und Neid geprägt ist. 

… und die der Geschwister

Geschwister haben aber auch unabhängig von der Beziehung zu den Eltern eine ganz eigene Beziehung zueinander. Sie spielen zum Beispiel viel mehr miteinander als mit ihren Eltern. Wenn der Altersabstand nicht zu groß ist, können Geschwister eine Beziehung mit viel Zusammenhalt entwickeln – nicht zuletzt, um ihre kindlichen Interessen gegenüber den Eltern durchzusetzen.

Voraussetzung hierfür ist, dass es den Eltern gelungen ist, dass jedes Kind eine stabile Bindung zu ihnen aufbauen und gute Selbstberuhigungsfähigkeit entwickeln konnte. Dann können Kinder Spannungen mit ihren Geschwistern gut regulieren und im gemeinsamen Spiel voneinander profitieren. 

Jüngere Geschwister können zum Beispiel von den älteren Geschwistern lernen. Es kommt oft vor, dass jüngere Kinder ihre älteren Geschwister besser verstehen als so manche Erklärungen von den Eltern. 

Bessere Ablösung von den Eltern

Auch die Ablösung von den Eltern kann dadurch vereinfacht werden. Ein angemessenes Maß an Spannung und Konkurrenz kann Kindern helfen, ihren eigenen Weg, ihre eigenen Fähigkeiten besser zu erkennen und umsetzen. 

Interessanterweise suchen Geschwister oft die Abgrenzung voneinander: Wenn das ältere Kind gut in Deutsch ist, sucht das jüngere Kind sich eine Stärke etwa in Mathe. Wenn das eine Kind gut malen kann, entwickelt das andere Kind eher eine Vorliebe für ein Instrument oder eine Sportart. 

Zusammengefasst

Kurzum: Es gehört dazu, dass Geschwister sich streiten und bis zu einem gewissen Grad miteinander konkurrieren. Es prägt die Entwicklung hin zu einem sozialen Wesen und zu einem starken Ich. Eltern können ihre Kinder auf diesem Weg unterstützen.

Wichtig ist, dass Sie es schaffen, kein Kind zu bevorzugen und ihrem Kind den Raum geben für eine Geschwisterbeziehung, die auf Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung ausgerichtet ist. Eine gute Bindung an jedes Kind und die Selbstreflexion der Eltern tragen dazu ebenso bei wie eine liebevolle Beziehung der Eltern untereinander.

Wenn Sie als Eltern das Gefühl haben, dass Streit und Rivalität ein angemessenes Maß überschreiten und negative Gefühle überwiegen, können Sie die im Text genannten Punkte reflektieren und überlegen, ob Sie innerhalb der Familie etwas ändern können. Allein der Wandel der inneren Haltung kann schon zu Entlastung führen.

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Ich bin Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin, psychoanalytisch und tiefenpsychologisch fundiert, im ersten Beruf bin ich Diplom-Kunsttherapeutin. Ich arbeite mit Säuglingen, Kindern, Jugendlichen und ihren Familien im Alter von null bis 21 Jahren, habe eine Weiterbildung als Säuglings-, Kleinkind-,...

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