Klaus Kinski: Deutschlands Leinwand-Psychopath Nummer Eins - WELT
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Kopf des Tages Schauspiel-Egomane

Warum niemand Klaus Kinski ernsthaft hinterher trauert

Als am 3. Dezember 1987 „Cobra Verde“ in die Kinos kam, hatte der Hauptdarsteller seinen Ruf längst weg: Klaus Kinski galt als großer Leinwand-Psychopath. Doch auch über seiner Biografie liegt ein dunkler Schatten.
Textchef ICON / Welt am Sonntag
ANDROID, Klaus Kinski, 1982. ©New World Releasing/courtesy Everett Collection ANDROID, Klaus Kinski, 1982. ©New World Releasing/courtesy Everett Collection
3. Dezember 1987: Mit "Cobra Verde" kommt die letzte gemeinsame Produktion des Regisseurs Werner Herzog und des Schauspielers Klaus Kinski (1926–1991, Foto von 1982) in die Kinos
Quelle: picture alliance / Everett Colle

Dass unter Schauspielern andere Gebräuche gelten als unter Kaufleuten oder Professoren, dürfte sich inzwischen bis in den letzten Winkel der Welt herumgesprochen haben. Das Bürgertum hat stets mit einer Mischung aus Bewunderung und Komplexen vor den libertären Gesetzen der Branche gestanden – wobei die Skala eine riesige Bandbreite hat: Es gibt Handwerker auf der Bühne und vor der Kamera, die zwar auf der Suche nach dem Kick sind, den nur Applaus garantiert, die aber in Sachen Erziehung keine Wünsche offenlassen. Doch das ist die Minderheit.

Viel mehr ist der Beruf durchzogen von Diven und Egomanen, die sich einen Spaß daraus machen, auf jede Art von Manieren möglichst gut hörbar zu pfeifen. Und ganz egal, wie man seine Fähigkeiten vor der Kamera einschätzt: Wenn man nach Deutschland blickt, war und bleibt Klaus Kinski in dieser Disziplin der unbestrittene Meister aller Klassen.

COBRA VERDE, Klaus Kinski (left), 1987. ©Hemispheric Pictures/courtesy Everett Collection
Besonders wertvoll oder doch haltloser Quatsch? An dem Sklaverei-Film "Cobra Verde" schieden sich die Geister
Quelle: picture alliance / Everett Colle

Ob er Samstagsabendshows sprengte, indem er mit seiner Zunge mehr sabberte als zu sprechen, ob er auf der Bühne brüllte, sein Publikum bestünde aus „Gesindel“, das die Peitsche brauche, ob er mit Schaum vor dem Mund vor Regisseuren stand oder Köchen am Set für den „Schweinefraß“ Schläge androhte – wer sich auf Kinski einließ, der bekam stets die volle Dröhnung.

Einer, der nur schwer genug von diesem eigentümlichen Choleriker bekommen konnte, war der Regisseur Werner Herzog. Die beiden kannten sich über Jahrzehnte, und erst nach „Cobra Verde“, der am 3. Dezember 1987 in die deutschen Kinos kam, war Schluss; zumindest, wenn man Herzogs Dokumentation „Mein liebster Feind“ nicht mitzählt, aber die kam erst 1999 in die Kinos, acht Jahre nach Kinskis Tod.

Das spezielle Verhältnis startete früh: In jungen Jahren lobte der Regisseur den dem Krieg entronnenen Schauspieler beim Essen nach einer kleinen Theaterrolle: Er sei sehr gut gewesen. Was Kinski dazu inspirierte, sein Gegenüber anzuschreien, er sei nicht sehr gut, sondern monumental gewesen, und ihm heiße Kartoffeln ins Gesicht zu werfen.

Schon wer Kinski in seinen Filmrollen aus den 1960er-Jahren sieht, kann sich die Szene nur zu gut vorstellen. Ob in den deutschen Edgar-Wallace-Verfilmungen oder einer Produktion wie „Top Job – Diamantenraub in Rio“: Nie spielt er einfach nur einen Schurken, immer tickt da irgendwas in ihm, sodass er allein die Situation in Bruchteilen eines Augenblicks zum Kippen bringen kann. Der Mime selbst kommentierte das einmal mit den Worten: „Meine Gewalt ist die Gewalt des Freien, der sich weigert, sich zu unterwerfen. Die Schöpfung ist gewaltsam. Meine Gewalt ist die Gewalt des Lebens.“

Edgar Wallace: Neues vom Hexer, Deutschland 1965, Regie: Alfred Vohrer, Darsteller: Klaus Kinski
Der Dauerbösewicht: Schon 1965 spielte Klaus Kinski in der Edgar-Wallace-Verfilmung "Neues vom Hexer" einen Butler, der dem Oberschurken half
Quelle: picture alliance/United Archives

Dass es trotzdem bessere Ideen gibt, als mit dieser Art von Gewalt in Berührung zu kommen, merkten am 20. November 1971 rasch die Besucher der West-Berliner Deutschlandhalle. Unter dem Titel „Jesus Christus Erlöser“ versuchte Kinski sich als Jesus-Rezitator. Doch wenn er geglaubt hatte, am Ende würde ihn das Publikum selbst für eine Art Guru halten, hatte er sich getäuscht. Mit der Auswahl der Bibelstellen und dem pathetischen Vortrag unzufrieden, riefen die Zuschauer schnell dazwischen, kamen selbst auf die Bühne und trieben Kinski damit ins cholerische Delirium; man hat den Eindruck, er hätte manchen Gast tatsächlich gern wenigstens krankenhausreif geschlagen.

Die Tournee fiel selbstredend aus, doch nun ging es mit Werner Herzog los. Der wollte den Schauspieler für seinen Film „Aguirre, der Zorn Gottes“ engagieren. Kinski hatte zuvor auch im Ausland Erfolge gefeiert – natürlich nicht, ohne sich ausgiebig über das dortige verblödete System zu beschweren. Nun befürchtete er, man könne es ihm als „Eingeständnis seines Versagens“ auslegen, wenn er wieder nach Deutschland zurückkehre. Allerdings steckte das selbst erklärte Genie in finanziellen Schwierigkeiten, was seine Befürchtungen dann doch etwas kleiner werden ließ. Er übernahm die Hauptrolle.

Das Duo drehte danach vier weitere Filme zusammen: „Nosferatu – Phantom der Nacht“ (1978), „Woyzeck“ (1979), „Fitzcarraldo“ (1981) und eben „Cobra Verde“. All diese Streifen eint, dass man sie sich besser nicht zu Gemüte führen sollte, wenn man einen entspannten Abend erleben und danach selig einschlafen will.

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Ob Vampire, Geknechtete oder Banditen und Sklavenhändler – schon die Sujets machen wenig Lust auf Popcorn. Und wenn dann noch jemand vor der Kamera steht, dessen Meisterleistung darin besteht, seine Figur vom ersten seelischen Knacks bis zum Zusammenbruch höchst professionell darzustellen, dann kann’s auch in der Psyche des Zuschauers ziemlich anfangen zu brutzeln.

„Cobra Verde“ drehte sich um Sklavenhandel zwischen Afrika und Brasilien mit Kinski als durchgeknalltem Sklaventreiber, der am Ende untergeht. Doch bei aller Professionalität, zu der der Schauspieler die Mannschaft Herzog zufolge immer wieder antrieb, war er im Kopf schon zu sehr mit seinem Projekt „Kinski Paganini“ beschäftigt, seinem letzten Werk.

Die letzte gemeinsame Produktuion rief ein geteiltes Echo hervor. Hellmuth Karasek nannte den Streifen im „Spiegel“ ein „schmutziges Stück Männerphantasie, ein klappriges Herrenmenschentum, geritten auf der Mähre Kinski“. Die Deutsche Film- und Medienbewertung FBW in Wiesbaden verlieh dem Film dagegen das Prädikat „Besonders wertvoll“.

NOSFERATU: PHANTOM DER NACHT, Isabelle Adjani (front), Klaus Kinski, 1979, TM & Copyright © 20th Century Fox Film Corp./courtesy Everett Collection
Gerade so richtig happy sieht das Paar nicht aus – Szene aus Werner Herzogs "Nosferatu – Phantom der Nacht" von 1979
Quelle: picture alliance / Everett Colle

Klaus Kinski starb am 23. November 1991 im kalifornischen Lagunitas. Den Ärzten zufolge hatte er mehrere Narben auf dem Herz – ein Hinweis auf unentdeckte Infarkte. Nicht vergessen werden soll hier, dass seine beiden Töchter Nastassja und Pola ihren Vater in überaus schlechter Erinnerung haben. Nastassja sieht ihn als Tyrannen, der die ganze Familie terrorisiert habe, Pola wirft ihm sogar sexuellen Missbrauch vor.

Es gehe ihm darum, „echte Intensität zu erzeugen“, sagte Kinski einmal in einem Interview. Ein Satz, der vor diesem Hintergrund nackt zynisch klingt. Die Fans, die Kinski heute noch hat, sollten sich deshalb nicht wundern, dass es abgesehen von ihnen kaum jemanden gibt, der diesem Schauspieler ernsthaft hinterher trauert.

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