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Deutschland FDP-Politiker Klaus Kinkel ✝︎

Immun gegen das Gefühl, das Land von oben herab zu betrachten

Ex-Außenminister Klaus Kinkel mit 82 Jahren gestorben

Der frühere Bundesaußenminister Klaus Kinkel ist tot. FDP-Chef Christian Lindner würdigte Kinkel als „aufrechten und bescheidenen Mann mit Charakter“. Kinkel wurde 82 Jahre alt.

Quelle: WELT

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Klaus Kinkel ist tot. Als BND-Chef befreite er den Geheimdienst aus dessen DDR-Fixierung – als Außenminister verhandelte er in diplomatisch hoch komplizierten Lagen. Und er widerlegte ein gängiges FDP-Klischee.

Er war uneitel. Er konnte zwar maulig auftreten und sehr laut werden; er wusste, was er sich wert war und wie man sich durchsetzt. Aber es ging ihm um die Sache in einem selten gewordenen Ausmaß. Bei Klaus Kinkel im Büro zu sitzen war für Außenstehende eine Erholung.

Kein Getue, keine übertriebene Freundlichkeit, kein argwöhnisches Misstrauen, sondern Sachlichkeit – obwohl Kinkel die Fallen des politischen Betriebes sehr gut kannte und obwohl er von Menschen umgeben war, die sich als dies und das und jenes dünkten und von dem Dünkel nicht genug bekommen konnten.

Klaus Kinkel war Landrat, bevor er 1970 als persönlicher Referent des damaligen Innenministers Hans-Dietrich Genscher in die Bundespolitik ging. Er war immun gegen das Gefühl, von oben herab das Land zu betrachten. Er war von 1979 bis 1982 einer der fähigsten Präsidenten, den der Bundesnachrichtendienst (BND) je gehabt hat, und von 1993 bis 1998 ein guter Außenminister. Der das gerne noch länger geblieben wäre.

Das sehen seine Kritiker anders und haben ihm schweres Versagen vorgeworfen – Kooperation mit Diktatoren, verdeckten Waffenhandel, Zusammenarbeit mit Separatisten in Jugoslawien und vieles mehr. Kinkel aber hat den BND aus der DDR-Fixierung befreit. Er hat den Dienst erstmals weltweit Ausschau halten lassen. Das war für die Exportgroßmacht Bundesrepublik wichtig.

16. Mai 1979: BND-Präsident Klaus Kinkel (l.) trifft Bundespräsident Walter Scheel bei dessen Besuch beim Geheimdienst in Pullach (Bayern)
16. Mai 1979: BND-Präsident Klaus Kinkel (l.) trifft Bundespräsident Walter Scheel bei dessen Besuch beim Geheimdienst in Pullach (Bayern)
Quelle: pa/Ludwig Hamberger

Ein Geheimdienstler, dem Allüren fremd sind, war und ist ein eher seltener Menschenschlag. Kinkel gehörte dazu. Er wusste, wie man eine Behörde motiviert, die aus sehr unterschiedlichen Charakteren besteht – hier die Neuen, Jungen, aufgewachsen in der Demokratie, in den Dienst eingetreten nach der Großen Koalition und der Regierung Willy Brandts; dort Ältere, aufgewachsen in der Schlussphase der Weimarer Republik und in der NS-Zeit, Kriegsteilnehmer, geprägt vom lebenslangen Elitedenken des BND-Gründers Reinhard Gehlen mitsamt dessen Misstrauen gegenüber dem politischen Spektrum links von der Union.

Kinkel war der erste zivile BND-Chef, ein Partner der Briten, Franzosen und Amerikaner ohne Wehrmachtsvergangenheit. Das half ihm. Es half ihm auch, dass der BND zu Beginn seiner Amtszeit einen der bislang größten Erfolge erzielen konnte – die in letzter Minute gelungene Flucht des BND-Agenten und Stasi-Offiziers Werner Stiller.

Als Außenminister, und zuvor elf Jahre als Staatssekretär und dann Minister im Justizressort, hatte er weniger mit den Abgründen der menschlichen Grauzonen zu tun, dafür aber mit weltpolitisch komplizierten Situationen. Kinkel hat den Friedensprozess in Jugoslawien Mitte der 90er-Jahre mitgesteuert, und er hat erstmals versucht, mit einem radikalen islamischen Staat einen Dialog aufzubauen. Das war der Iran. Dafür wurde er viel verspottet und als naiv verschrien, aber Kinkel ließ nicht nicht beirren.

29. September 1995 in New York: Außenminister Kinkel (r.) und sein iranischer Kollege Ali Akbar Velayati
29. September 1995 in New York: Außenminister Kinkel (r.) und sein iranischer Kollege Ali Akbar Velayati
Quelle: pa/Ulrich Baumgarten

Er legte Gesprächsfäden, die in das vielschichtige iranische Establishment gesponnen wurden und mit dazu beitrugen, dass es überhaupt ein Atomabkommen mit Teheran gibt – so brüchig es auch aussieht. Der Fanatismus der damaligen schiitischen Geistlichkeit war noch größer als heute und das Mullah-Regime, vor dem Auftreten Osama Bin Ladens, für viele die Verkörperung der dunklen Seite der Zukunft schlechthin. Es gehörte Mut und Selbstvertrauen dazu, mit dem Iran das Gespräch zu suchen.

Auch Kinkels Unterstützung eines Dialogs mit dem serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic war keineswegs eine Haltung, die man mal eben beim Frühstückskaffee entwickelt, bevor wirklich wichtige Dinge anstehen. Milosevic war in der deutschen Öffentlichkeit eine Persona non grata. Mit ihm den Dialog zu suchen konnte für einen Politiker in Wahlkämpfen problematisch werden.

16. Mai 1996: Kinkel (l.) trifft Serbiens Präsident Slobodan Milosevic in Belgrad
16. Mai 1996: Kinkel (l.) trifft Serbiens Präsident Slobodan Milosevic in Belgrad
Quelle: pa/dpa/Str
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Als FDP-Bundesvorsitzender von 1993 bis 1995 kassierte Klaus Kinkel schwere Wahlniederlagen, die sein frühes Amtsende begründeten. Er warb unermüdlich in den damals neuen Bundesländern für die FDP, für die Demokratie, für das westliche Bündnis, für seine Lebenssicht. Er war dort so viel unterwegs wie wenige andere.

Mit seiner Bodenständigkeit und Tatkraft hätte er ja auch ein Datschenbesitzer im Osten sein können. Eben jemand, der sich durch die Unwegsamkeiten einer Diktatur eher angestachelt als niedergedrückt fühlt, der stolz auf kleine unerwartete Erfolge ist und Menschen, die großherrlich daherkommen, ein Schnippchen schlägt. Den Eindruck konnte er vermitteln, das öffnete ihm Herzen.

Dann der Tod seiner Tochter 1997 bei einem Fahrradunfall in Münster. Seitdem engagierte er sich für die Organspende – ein Thema, mit dem er sich erst nach diesem Schicksalsschlag beschäftigte, dann aber mit der Energie, zu der er fähig war. Er engagierte sich für viele Projekte mit Lebensbenachteiligten. Der Ruf der FDP, eine Partei für Kontenbesitzer zu sein, war mit Blick auf Kinkel üble Nachrede.

Der eigenen Krankheit hat er seit dem letzten Jahr ins Auge geschaut. Er war guten Mutes, aber auch realistisch. Mit 82 Jahren ist Klaus Kinkel am Montag an Krebs gestorben.

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