Die Linke widmet sich in diesen Tagen mal wieder ihrem Lieblingsthema: dem internen Zoff. Entbrannt ist der neueste Streit am Vorsitz für den Ausschuss Klima und Energie im Bundestag. Es ist die einzige Ausschuss-Leitung, die von der Linken besetzt werden darf.
Vom Fraktionsvorstand nominiert werden soll der ehemalige Parteichef Klaus Ernst, 67, Industriegewerkschafter und bisher der Vorsitzende des Ausschusses Wirtschaft und Energie. Die Wahl seines Autos brachte ihm in der Vergangenheit den Spitznamen „Porsche-Klaus“ ein.
Jene Genossen, die einen ökologischeren Anstrich der Partei befürworten, sind bestürzt. Denn, so das Argument, Ernst vertrete nicht die klimapolitischen Positionen der Partei.
Doch es geht um mehr. Nämlich darum, wer den Ton angibt bei der Linken: Partei oder Fraktion? Der alte Machtkampf ist wieder entfesselt, die öffentliche Selbstzerfleischung geht in eine neue Runde.
Eine eigene Website gegen die Personalie
Nicht nur lieferten sich Linke-Mitglieder auf Twitter heftige Auseinandersetzungen. Zahlreiche Parteimitglieder und Aktivisten von Fridays for Future veröffentlichten einen Brief an die Fraktion.
Auf der Website mit dem Titel „Nicht euer Ernst“ wird dem Bundestagsabgeordneten unter anderem vorgeworfen, mit dem „Gaslobbyisten und Agenda 2010-Kanzler“ Gerhard Schröder (SPD) für die Ostseepipeline Nord Stream 2 sowie Gas als Energiequelle geworben zu haben.
Die Autoren fordern, „den Vorsitz dieses wichtigen Ausschusses jemandem aus der Fraktion zu übergeben, der/die wirksame Klimapolitik standhaft vertritt“. Insbesondere wird sich gegen Ernsts Ansatz gewandt, im Kampf gegen den Klimawandel vor allem auf technologische Lösungen zu setzen. „Die Rede von Technologieoffenheit ist meist eine Ausrede überhaupt keinen Klimaschutz zu machen“, heißt es.
Zu den Unterzeichnern gehören neben zahlreichen Landes- und Kommunalpolitikern auch zwei Mitglieder des Bundesparteivorstands; die Vorsitzende der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Dagmar Enkelmann, sowie die Fridays-for-Future-Aktivistinnen Luisa Neubauer und Carla Reemtsma.
Die Parteivorsitzenden Susanne Hennig-Wellsow und Janine Wissler verurteilten das Vorgehen zwar am Montag. Doch es blieb bei einer Kritik der Form, nicht des Inhalts. Man sei der Auffassung, dass der Vorsitz von jemandem besetzt werden solle, „der dieses Thema sehr gut verkörpern kann“, sagte Hennig-Wellsow. Das zu entscheiden, sei aber Sache der Fraktionsspitze. Man habe eine „intensive Debatte“ geführt und sei sich sicher, dass die Fraktion diese berücksichtigen werde.
Zutreffend ist, dass Ernst für einen anderen Kurs als den der beiden Parteivorsitzenden steht. „Die Linke abgewatscht!“, twitterte er etwa am Tag nach der Bundestagswahl.
„Eine linke Partei, die kaum noch bei den abhängig Beschäftigten verankert ist, aber jeder Bewegung hinterherläuft, grüner als die Grünen sein will ... Ein Warnschuss!“
„Würde Linke um Jahre zurückwerfen“
Im Kern geht es um die Frage, mit welcher strategischen Ausrichtung die Linke Wähler in Zukunft wieder für sich gewinnen kann. Viele Fraktionsmitglieder sind wie Ernst der Ansicht, es sei dann doch zu viel Klimaschutz im Wahlkampf gewesen. Man müsse sich wieder mehr von den Grünen abgrenzen. Die Parteiführung und auch ein nicht zu vernachlässigender Teil der vor allem jüngeren Parteibasis sind gegenteiliger Meinung: Man müsse Sozialismus und Klimaschutz noch viel mehr verbinden, auch um anschlussfähig an die Klimabewegung zu sein.
Erst vergangene Woche veröffentlichten die beiden Parteichefinnen einen Aufschlag für die strategische Neuausrichtung der Partei, in dem Klimaschutz eine zentrale Rolle spielt. Dass ausgerechnet Ernst als Ausschussvorsitzender die öffentliche Wahrnehmung der linken Klimapolitik entscheidend prägen würde, empfindet man im Karl-Liebknecht-Haus als unzumutbar.
„Klaus Ernst als Vorsitzender des Klimaausschusses wäre ein Affront gegen die Klimabewegung, weil er klimapolitisch keinerlei progressive Positionen vertritt“, sagte Parteivorstandsmitglied und Ende-Gelände-Aktivist Maximilian Becker WELT. „Aus meiner Sicht würde das die Linke in Sachen Klimapolitik um Jahre zurückwerfen.“
Entschieden werden soll die Personalie am Dienstag. Ob es dann zu einer Gegenkandidatur kommt, bleibt abzuwarten. Unter anderem ist der ehemalige Parteichef Bernd Riexinger im Gespräch. Im Vorfeld wollte sich Ernst zu dem Vorgang nicht öffentlich äußern.
Viel tiefgreifender als die Personalie selbst ist, dass der Streit derart eskalieren konnte. Die Gräben zwischen den verschiedenen Lagern scheinen unüberwindbar. Hinter den Kulissen wird schon davon gesprochen, eine Abspaltung sei vielleicht nicht das Schlechteste. Oder davon, dass die Partei sowieso nicht überleben werde.
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