Der ARD-Fernsehfilm „Kein einfacher Mord“ (filmpool fiction) entwickelt sich innerhalb von 20 Filmminuten vom Ehedrama zum Psychothriller. Dem Abziehbild vom h�uslichen Gl�ck folgt der Niedergang einer Ehe. Ein Todesfall nach einer versuchten Vergewaltigung ver�ndert die Beziehungssituation eines Paares grundlegend: Beide m�ssen wieder als Einheit funktionieren. Das Verschweigen der Tat, das Zusammenhalten als Ehepaar, das ist am Ende aber auch eine Frage der Moral. Wie weit werden die beiden gehen, um ihr privates Gl�ck zu sch�tzen? Als Zuschauer steht man von vornherein auf der Seite der ehemaligen Leistungs-Sportlerin und des einst erfolgreichen Chirurgen – was sicherlich auch an Laura Tonke und Felix Klare liegt. Zu den St�rken der NDR-Produktion geh�ren neben dem Buch von Stefan Rogall mit seiner Was-w�re-wenn-und-Wie-w�rden-Sie-entscheiden-Geschichte nicht nur die beiden Hauptdarsteller, sondern auch die filmische Umsetzung von Sebastian Ko. Das Prinzip dabei: So viel (Drehbuch-)Dialoge wie n�tig, so viel visuelle L�sungen wie m�glich.
Foto: NDR / Georges PaulyIn Gedanken schon l�ngst getrennt, doch die Situation erfordert von Nina (Laura Tonke) und Paul (Felix Klare), dass sie sich zusammenraufen – und sich vertrauen.
Die Ehe von Nina (Laura Tonke) und Paul Lieberstein (Felix Klare) steht vor dem Aus. Jahrelang haben die ehemalige Leistungssportlerin und der erfolgreiche Chirurg ein �bergl�ckliches Leben gef�hrt. Ein Paar wie aus dem Kitschroman. Eine Traumvilla in einem Hamburger Nobelviertel, Freunde aus besseren Kreisen, ein gut geratener Sohn, bald ein zweites Kind… Es folgt der Absturz ins Bodenlose. Hinter der Fassade einer perfekten Familie schlidderte der Ehemann in die Tablettensucht. Ohne „Papas kleine Helfer“ konnte er den hohen Anspr�chen, die er und seine Frau an ihr Leben hatten, nicht gen�gen. Jetzt ist die Beziehung kaputt, Entt�uschung, Dem�tigung, Wut sind die aktuellen Gef�hlslagen. Der erste Termin beim Scheidungsanwalt steht bevor. Und im freien Fall geht es bei den Liebersteins weiter: Als Nina Viktor Hoffmann (Sebastian Becker), dem Hockeytrainer ihres Sohnes Tim (Tyler Worbs), nicht nur sch�ne Augen macht, sondern nach einer zuf�lligen Begegnung am Abend mit zu ihm nach Hause geht, wird sie beinahe von ihm vergewaltigt. Es kommt zum Gerangel. In dem Moment dringt Paul, der den beiden gefolgt war, in die Wohnung ein. Er kracht durchs Glas, irritiert blickt sich Hoffmann um – und im Bruchteil einer Sekunde schl�gt Nina zu und trifft ihn t�dlich. Das Paar steht vor der Frage: Was tun? Zur Polizei gehen oder die Tat vertuschen? Ein Schlag auf den Hinterkopf, der (einst) tablettens�chtige Ehemann am Tatort... W�rde man den beiden die Notwehrsituation �berhaupt abnehmen?
Foto: NDR / Georges PaulyDer verh�ngnisvolle Abend. Schon das Kunstwerk im Hintergrund verhei�t nichts Gutes. Dieser Viktor (Sebastian Becker) erm�glicht Nina (Laura Tomke), ihre Ehe und ihren sozialen Niedergang zu vergessen. Sie will durchaus Sex, aber keine Gewalt!
Der ARD-Fernsehfilm „Kein einfacher Mord“ entwickelt sich innerhalb von zwanzig Filmminuten vom Ehedrama zum Psychothriller. Dem Abziehbild vom h�uslichen Gl�ck, noch in romantische „Guldenburgs“-Optik verpackt, folgt der Niedergang einer Ehe. Der Chirurg verliert seine Approbation, muss als Pharmavertreter Klinken putzen, und die einstige Vorzeigeehefrau arbeitet in einer Reinigung. Emotional ist die Beziehung ein Scherbenhaufen, da wollen beide wenigstens die Fassade so gut wie m�glich aufrechterhalten. Die Fassade, das ist vor allem ihre mond�ne Villa, die sie sich noch immer leisten wollen, offenbar als Zeichen daf�r, dass sie es eben doch geschafft haben. Der Totschlag macht nun alles noch komplizierter. Ohnehin ist es fraglich, ob Nina dem Druck der polizeilichen Ermittlungen standhalten wird. Pauls Bereitschaft, die Tat auf sich zu nehmen, signalisiert zumindest, dass sich die beiden nicht gegenseitig in den R�cken fallen werden. Im Gegenteil: Jetzt sind mehr denn je Absprachen, Zusammenhalt und R�cksichtnahme gefragt, um am Ende nicht alles zu verlieren. Wom�glich auch noch den Sohn, wenn mindestens einer von beiden ins Gef�ngnis geht. „Diese Bedrohung von au�en schwei�t die beiden zusammen, sie sind gezwungen, sich als Paar neu zu erfinden“, bringt es die weibliche Hauptdarstellerin Laura Tonke („Bist du gl�cklich?“) auf den Punkt. Ob das Paar seine zweite Chance nutzen kann, ist auch abh�ngig von Kommissarin M�rthesheimer (Barbara Philipp) und ihrem Kollegen (Bernd-Christian Althoff), die den Liebersteins zunehmend auf die Pelle r�cken.
Foto: NDR / Georges PaulyBei der Beerdigung von Viktor Hoffmann, der der Hockey-Trainer vom Sohn der Liebersteins war, machen Nina (Laura Tonke) und Paul (Felix Klare) ernste Miene zum falschen Spiel. Sie wissen gut, wie man eine br�ckelnde Fassade aufrechterh�lt.
Das Verschweigen der Tat, das Zusammenhalten als Ehepaar, das ist am Ende auch eine Frage der Moral. Wie weit gehen die beiden, um ihr privates Gl�ck zu sch�tzen? K�nnten sie es zum Beispiel verantworten, wenn eine andere Person massiv unter Verdacht geraten w�rde? Die Frage l�sst sich auch ans Fernsehpublikum weitergeben. „Kein einfacher Mord“ beginnt mit einer Ausgangssituation im Konjunktiv, die narrative Konstruktion ist hypothetisch: Was aus dieser Was-w�re-wenn-Versuchsanordnung folgt, die Reaktion auf das Dilemma, ist allerdings plausibel und psychologisch nachvollziehbar. So gro� die Verletzungen auch sind: Das Paar muss wieder als Einheit funktionieren. Als Zuschauer steht man von vornherein auf dessen Seite – und das, obwohl vor allem die Ehefrau anfangs nicht gerade sympathisch gezeigt wird und aufgekl�rte Menschen diese Gl�cksvorstellungen des gehobenen Mittelstands eher irritieren d�rfte. Doch nach dem Totschlag aus Notwehr setzen Drehbuchautor Stefan Rogall (Grimme-Preis f�r „Polizeiruf 110 – Kleine Frau“, zahlreiche „Wilsbergs“) und Regisseur Sebastian Ko („Tatort“-Episoden „Kartenhaus“, „Heile Welt“, „Mitgehangen“) auf das Mitgef�hl beim Zuschauer, bevor Nina und Paul schlie�lich – vor einer existentiellen Entscheidung stehend – zu echten Sympathietr�gern werden. Die Besetzung mit Schwiegermutterschwarm Felix Klare und Laura Tonke, die – so eigenwillig ihre Figuren auch sein k�nnen – seit jeher und selbst noch mit 48 Jahren immer auch etwas Besch�tzenswertes in ihren Blick zu legen vermag, unterstreicht die Emotionspolitik des Films.�
Foto: NDR / Georges PaulyIn den Waschk�chen-Bildern erf�hrt der Zuschauer einiges �ber den Seelenzustand von Nina (Laura Tonke). Die monotonen Bewegungen der Maschinentrommel mag eine Metapher f�r ihr sinnentleertes Leben sein, sie sind aber auch perfekt zum Gr�beln, genauso wie diese Gleichf�rmigkeit und Leere zum Meditieren einl�dt.
Zu den St�rken von „Kein einfacher Mord“ geh�rt auch die filmische Umsetzung. So viel (Drehbuch-)Dialoge wie n�tig, so viel visuelle L�sungen wie m�glich. „Erst machst du alles mit deiner Tablettensucht kaputt und dann spielst du den gro�en Retter“, h�lt Nina Paul vor und erkl�rt ihre Situation der letzten zwei Jahre: „Ich konnte keine Schw�che zulassen, weil ich Angst haben musste, dass du wieder r�ckf�llig wirst.“ Anfangs mischen sich Vorw�rfe in die Erkl�rungen. Solche S�tze lassen den Zuschauer besser verstehen, was in der Zeit, die im Film ausgespart bleibt, (psychologisch) vorgefallen ist, sind aber mehr als Informationss�tze f�r den Zuschauer. Tats�chlich erst jetzt, nach der Tat, redet das Paar wieder miteinander. Auf dieser Grundlage lassen sich viele Bilder besser lesen. Immer wieder dieser leere Blick Ninas – in der eigenen Waschk�che oder auch in der Reinigung. Die Maschinentrommel bewegt sich mechanisch und monoton. Eine Metapher f�r ihr sinnentleertes Leben. Aber auch das Motiv selbst ist gut gew�hlt: Immer muss die Ehefrau saubermachen, das Blut oder die Tomatenso�e auf der eigenen Bluse, und dann auch noch die schmutzige W�sche der anderen waschen. Auch f�r den Kontrast zwischen gesellschaftlicher Ordnung und individuellen Trieben hat Ko optische Entsprechungen gesucht und gefunden. Beispielsweise die Natur, der Garten, als Gegenentwurf zur geregelten Welt. „Das Haus symbolisiert das bessere, das gelungene Leben. Aber dann bricht immer wieder die Natur durch; alles, was die Figuren unterdr�cken an Trieben und Lust, l�sst sich nicht kontrollieren – und das bedroht die Welt.“ Eine realistisch-romantische Entscheidung des Paares auf der Zielgeraden k�nnte diesen Gegensatz aufl�sen.
Foto: NDR / Georges PaulyJetzt nichts Falsches sagen! Als die Polizei Lieberstein (Felix Klare) die Tatwaffe unter die Nase h�lt, kann dieser nur hoffen, dass sich Nina an das h�lt, was die beiden vereinbart haben. Nach zwei Jahren gesellschaftlicher Dem�tigung war das Spiel Mann & Frau gegen den Rest der Welt eigentlich ganz sexy, wird sich der Ex-Arzt denken, der jetzt als Pharmavertreter Klinken putzen muss. Nur, wie lange geht's gut?
Rainer Tittelbach arbeitet als TV-Kritiker & Medienjournalist. Er war 25 Jahre Grimme-Juror, ist FSF-Pr�fer und betreibt seit 2009 tittelbach.tv. Mehr
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