Biografie über Klaus Mann von Thomas Medicus – ein Leben im Rausch

Klaus Mann – ein Leben im Rausch

Thomas Medicus hat eine opulente Biografie über den ältesten Sohn Thomas Manns geschrieben. Sie ermöglicht eine Neubewertung des Lebens eines Getriebenen.

Klaus Mann, Frankreich, Le Lavandou 1933
Klaus Mann, Frankreich, Le Lavandou 1933Annemarie Schwarzenbach

Der Nachruhm des Schriftstellers Klaus Mann verlief in den 80er-Jahren vor allem über die Verfilmung von dessen Roman „Mephisto“. Während die literarische Vorlage zu seinem Erscheinen im Exilverlag Querido 1936 als Schlüsselroman über den Aufstieg des Schauspielers und Theaterregisseurs Gustav Gründgens aufgefasst worden war, inszenierte der ungarische Regisseur István Szabó seinen Film von 1981 als exemplarische Geschichte eines opportunistischen Künstlers und dessen diabolischen Pakt mit der Macht.

Klaus Mann mochte in den beiden deutschen Nachkriegsgesellschaften dabei als hellsichtiger Antifaschist erscheinen, der anders als sein zunächst zögerlicher Vater Thomas Mann im politischen Kampf gegen das NS-Regime von der ersten Sekunde an entschlossen und eindeutig Stellung bezog. Die Familie Mann als Spiegel der Zeit, gerade auch in ihren unterschiedlichen Temperamenten und Widersprüchen. Heinrich Mann war bereits im August 1933 vom Regime ausgebürgert worden, die Geschwister Erika und Klaus Mann ereilte der Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft Ende 1934. Wiederholt hatten die beiden ältesten Kinder des Literaturnobelpreisträgers die Eltern flehentlich zur Emigration gedrängt. Die Ausbürgerung von Katja und Thomas Mann sowie von deren Kindern Golo, Michael und Elisabeth erfolgte Anfang 1936, bis dahin hatten die Bücher Thomas Manns in deutschen Buchhandlungen noch verkauft werden können.

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Dandy, Bürgerschreck und Kosmopolit

„Wer war Klaus Mann?“, fragt Thomas Medicus am Ende seiner 500 Seiten starken Biografie über den Schriftsteller, dessen Lebensgeschichte nicht annähernd aufzugehen vermag in den vielfach kolportierten Berichten vom Drama des begabten Kindes und eines widerständigen Opponenten gegen die Hitler-Diktatur aus dem Exil heraus. Klaus Mann war jugendlicher Bürgerschreck, Dandy, Ästhet, todessehnsüchtiger Melancholiker, Kosmopolit, Junkie und Propagandist eines queeren Lebens, Jahrzehnte vor solch einer Begriffsfindung. Mit dem Vater, von dem so vieles ihn getrennt habe, so bilanziert Thomas Medicus, habe ihn Haltungsmoral und Repräsentationsbewusstsein verbunden. Wie all das und noch viel mehr zusammenkam und nebeneinander brodelte, beobachtet Medicus in seiner mit kühler Neugier betriebenen Studie zu einem fiebrigen Leben.

Auskunft dazu geben die in üppiger Form vorliegenden Selbstzeugnisse Klaus Manns. Nahezu alle seine Romane, Erzählungen und Theaterstücke sind autobiografischer Natur. Die skandalöse Wirkung, die nur schwach verschlüsselte Wirklichkeitsbezüge zu entfalten vermochten, hatte er früh erprobt. Eine kurze Erzählung mit dem Titel „Der Alte“ beschrieb die päderastische Atmosphäre in einer Internatsschule, in der sich Paul Geheeb als Gründer der reformpädagogischen Odenwaldschule peinlich genau beschrieben sah. Ein Eklat, allerdings ohne juristische Folgen. Der Vater Thomas Mann sah sich genötigt, beschwichtigende Briefe zu schreiben. Der Sohn indes gab sich uneinsichtig. Sein moralischer Rigorismus übertrumpfte jegliche Bedenken. Einer seiner besten Freunde aus Jugendtagen, der spätere Journalist Wilhelm E. Süskind, bekam das nach Kriegsende zu spüren. Weil Süskind, der Vater des Schriftstellers Patrick Süskind, nicht aus Deutschland emigriert war und für ein Blatt der deutschen Besatzungsmacht im Generalgouvernement Polen des NS-Verbrechers Hans Frank geschrieben hatte, blieb Klaus Mann gegenüber dem Freund aus frühen Tagen unversöhnlich.

Erika und Klaus Mann 1927
Erika und Klaus Mann 1927Eduard Wasow

Rastlosigkeit bestimmte sein Leben

Gegenüber seiner Innenwelt, schreibt Medicus resümierend, habe es die Außenwelt bei ihm immer schwer gehabt. Auf treffende Weise hat Elias Canetti, der Literaturnobelpreisträger von 1981, den Sohn aus berühmter Familie nach nur einer Begegnung im Jahre 1937 charakterisiert: „(…) er saß eigentlich nicht, er rutschte hin und her, sprang auf, lief davon, wandte sich bald diesem, bald jenem zu, sah an ihm vorbei und sprach zu einem anderen, den er auch nicht sah (…)“ Rastlosigkeit bestimmte Klaus Manns Leben – im Ausleben sexueller Beziehungen ebenso wie hinsichtlich der Abhängigkeit von Drogen. „Gegangen“ notierte er in sein Tagebuch, wenn es zu einem der häufig wechselnden Kontakte mit jungen Männern gekommen war. „Genommen“ stand für die Einnahme Rausch erzeugender Substanzen.

Einen gewissen Halt schien Klaus Mann in den Jahren des Exils zu finden. Er organisierte, brachte Menschen zusammen und schrieb. Die Zeitschrift Die Sammlung hat er als einflussreiches Organ der Exilliteraten gegründet und angeleitet. Er war nicht nur Autor von Schlüsselromanen, sondern auch eine Schlüsselfigur des intellektuellen Deutschlands, dessen Zerrissenheit durch einen geeinten Widerstand gegen das NS-Regime kaum zu beheben war. Klaus Mann war einer zwischen allen Stühlen auch hier. Am Beispiel wetterwendischer Gefühlslagen und innerer Kämpfe mit geistigen Vorbildern wie Gottfried Benn, Stefan George und André Gide beschreibt Thomas Medicus das Klima eines globalen Weltanschauungsbürgerkriegs, der spätestens nach den Moskauer Schauprozessen zwischen 1936 und 1938 sowie dem Hitler-Stalin-Pakt jäh die Lebenslügen der internationalen politischen Linken und deren taktisches Verhältnis zu Menschenrechtsfragen offenbarte. Klaus Mann lavierte und rechtfertigte. Aus seinem Tagebuch, so Medicus, habe er eine Mördergrube gemacht. Seine klaren Einschätzungen zu Stalins Terrorregime hatte er wie gewohnt stichwortartig notiert, der öffentliche Intellektuelle aber schwieg.

Das Schweigen eines politischen Schriftstellers

Beim Erwerb der amerikanischen Staatsbürgerschaft und bei seinem Eintritt in die U.S. Army wäre ihm sein Glaube an die UdSSR als europäische Friedensmacht und als potenziell stärksten Gegner gegen den Faschismus, zu dem er sich lange bekannte, beinahe zum Verhängnis geworden. Klaus Mann hatte seine sexuellen Präferenzen offen gelebt, und obwohl er nie ein Kommunist war, hatte er lange die menschenverachtende Politik der Komintern gestützt. Beides hätte ihm beinahe die vielleicht glücklichste Zeit seines unglücklichen Lebens verwehrt, in der er schließlich als amerikanischer Soldat nach Europa zurückkehrte. Doch daraus wurde kein Aufbruch mehr – weder politisch noch im Ringen um sexuelle Selbstbestimmung und Emanzipation.

Thomas Medicus hält in seiner faktenreichen Biografie viele Fäden zur Lebensgeschichte eines Getriebenen in der Hand und macht deren oft fatales Zusammenwirken deutlich. Auf überzeugende Weise erweitert er das Psychogramm eines vordergründig als Vater-Sohn-Beziehung aufgefassten Konflikts zum Drama einer misslingenden Individuation, in der das Leben zuletzt allenfalls noch als aufgeschobener Tod zu ertragen schien. Im Januar 1949 bricht Klaus die Eintragungen in sein über viele Jahrzehnte geführtes Tagebuch, das Medicus für dessen Hauptwerk hält, ab. Er wünsche nicht, das Jahr zu überleben, schreibt Mann auf Englisch. Am 21. Mai 1949 begeht er im Alter von nur 42 Jahren im französischen Cannes Suizid. Selbst die zeitlebens innig mit ihm verbundene Schwester Erika hatte sich in den letzten Lebensjahren immer stärker von ihrem Bruder gelöst. Ihre Herzensabenteuer hatten sie lange gemeinsam durchlebt, sie aber war pragmatisch genug, sie zu überstehen.

Thomas Medicus: Klaus Mann. Ein Leben. Rowohlt Berlin, Berlin 2024. 542 Seiten, 28 Euro