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Martin Michalik: Klimagerechtigkeit fängt vor der eigenen Haustür an

Martin Michalik ist klimapolitischer Sprecher und stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU in der Bremischen Bürgerschaft. Anfang 2020 bis Ende 2021 war er Vorsitzender der Enquete-Kommission Klimaschutz, die eine Klimaschutzstrategie für Bremen entwickelt hat. Im Gespräch mit denkhausbremen erläutert Martin Michalik, welche Rolle Klimagerechtigkeit in seiner politischen Arbeit spielt und was jede*r Einzelne im alltäglichen Handeln zum Klimaschutz beitragen kann (Foto: Ana Rodríguez).

Was bedeutet globale Klimagerechtigkeit für Sie? 

Für mich hat das Thema sehr viel mit Privilegien zu tun. Ich bin mir bewusst, dass ich im Vergleich zu vielen anderen Menschen auf dieser Erde sehr privilegiert lebe. Für mich ergibt sich daraus eine klare persönliche Verantwortung bei meinem eigenen Handeln, durch die ich ein Stück weit Gerechtigkeit schaffen kann. Zu welchen Bedingungen wird meine Kleidung produziert? Woher kommen die Lebensmittel, die ich im Supermarkt kaufe? Kann das Auto heute mal in der Garage stehen bleiben? Oder wenn ich schon eine Flugreise mache, kann ich die CO2-Emissionen kompensieren – etwa durch die finanzielle Unterstützung von Baumpflanzaktionen im Globalen Süden? Ich denke, das sind Fragen, die wir uns prinzipiell alle stellen können.

Sie waren zwei Jahre lang Vorsitzender der Enquete-Kommission, die zum Ziel hatte, eine Klimaschutzstrategie für das Land Bremen zu entwickeln. Im Abschlussbericht heißt es, dass “die Maßnahmen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Klimagerechtigkeit” entwickelt werden sollen. Was heißt das konkret?

Das ist richtig. Ich muss ehrlich sagen, dass ich mir über das Thema Klimagerechtigkeit lange Zeit gar keine Gedanken gemacht habe, das kam eigentlich erst durch den Enquete-Prozess. Wir haben uns über alle Fraktionen hinweg darauf geeinigt, dass dieser Aspekt mit erwähnt wird, um Bremens Verantwortung für den Globalen Süden gerecht zu werden. Gleichzeitig haben wir uns natürlich schon auch gefragt, wie groß denn letztlich der Wirkungsradius einer kleinen Stadt wie Bremen ist. Ich denke, wir müssen uns nichts vormachen: Bremen kann nur ein kleiner Teil der Lösung für die Probleme des Globalen Südens sein. Wir sind hier ja alle keine Politiker auf Bundes- oder EU-Ebene. Gerade Bremen ist aufgrund der aktuell schwierigen finanziellen Situation auch nicht in der Lage, jedes Jahr Millionen Euro in den Globalen Süden zu spenden. Das ist eine Illusion.

Deswegen ist in den Empfehlungen der Enquete etwa von Austauschprogrammen die Rede?

Genau. Wir haben versucht, uns zu überlegen, welchen anderen Beitrag wir zu globaler Klimagerechtigkeit leisten können. Zum Beispiel hat Bremen mit Windhoek und Durban Partnerstädte im Globalen Süden. Vielleicht gibt es da Möglichkeiten für einen regelmäßigen Austausch, auch von Mitarbeitern aus der Verwaltung. Außerdem haben wir uns beispielsweise für Stipendien für Studierende aus dem Globalen Süden ausgesprochen.

Mir ist hier nochmal wichtig zu sagen, dass der Auftrag der Enquete-Kommission letztlich darin bestand, eine ambitionierte Klimaschutzstrategie zu entwickeln, damit Bremen – im Einklang mit dem Pariser 1,5 Grad-Ziel – bis 2038 klimaneutral wird. Dafür hatten wir nur 18 Monate Zeit, wir standen also unter einem enormen zeitlichen Druck. Daher haben wir uns vor allem darauf konzentriert, was wir hier bei uns in Bremen vor der eigenen Haustür umsetzen können. In Zusammenarbeit mit den Experten, die Teil der Enquete-Kommission waren, haben wir uns vor allem auf die Maßnahmen fokussiert, die mit relativ geringem finanziellem Aufwand die meisten CO2-Emissionen einsparen.

Neben Politiker*innen und Wissenschaftler*innen waren auch gesellschaftliche Akteure als ständige Gäste in der Enquete-Kommission vertreten. Nach welchen Kriterien wurden die eigentlich ausgewählt?

Die Auswahl der Gäste war schwierig, das waren wirklich harte Verhandlungen. Wir hatten eine lange Liste an Institutionen, die wir gern dabeigehabt hätten, kleine wie auch große. Am Ende war entscheidend, dass wir über sie möglichst viele Menschen erreichen, was ja auch maßgeblich für die gesellschaftliche Akzeptanz der Klimaschutzmaßnahmen ist. Deswegen haben wir uns letztlich für wenige große Akteure mit einem entsprechenden Multiplikator-Effekt entschieden, wie Handwerkskammer, BUND oder NABU.

Ein großer Teil der Menschen in Bremen hat einen Migrationshintergrund. Uns ist aufgefallen, dass in der Enquete-Kommission keine einzige Organisation dabei war, die explizit die Perspektiven dieser Menschen vertritt.

Wie gesagt, es musste ein Kompromiss her und wir sind davon ausgegangen, dass wir Menschen aus migrantischen Communities auch über die in der Enquete-Kommission vertretenen gesellschaftlichen Akteure erreichen – je nachdem, welchen Beruf sie ausüben und in welchem Verein sie sich engagieren.

An den Klimadebatten beteiligen sich vor allem diejenigen, die nicht ums alltägliche Überleben kämpfen müssen. Menschen mit wenig Einkommen oder mit Fluchterfahrung sind oft nicht repräsentiert. Beschäftigt Sie das in Ihrer politischen Arbeit?

Ja, sehr sogar. Ich nehme an vielen klimapolitischen Veranstaltungen teil und treffe dort häufig Menschen, die einen akademischen Hintergrund haben und denen es wirklich schon von Haus aus gut geht. Das sind dann ganz andere Gespräche, als wenn ich zu Hause in der Vahr eine Bekannte von früher treffe, die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern ist. Die ist im Survival-Modus. Mit ihr brauche ich gar nicht erst anzufangen, über Biofleisch oder Photovoltaik-Anlagen zu sprechen, weil sie einfach andere Sorgen hat, als sich Gedanken darum zu machen, wie sie ihren Alltag möglichst klimaschonend gestalten kann. Ich denke, hier zeigt sich ganz deutlich: Bei Klimagerechtigkeit geht es nicht ausschließlich um den Globalen Süden, sondern auch um die Menschen hier vor Ort, die noch nicht in der Lage sind, Klimaschutz zu leben. Die müssen wir unterstützen.

Wie könnte das gehen?

Zum Beispiel, indem man politische Vorgaben so gestaltet, dass Einzelfälle berücksichtigt werden können. Etwa beim neuen Solargesetz für Bremen, das Hauseigentümer ab Juli 2024 dazu verpflichtet, bei grundlegenden Dachsanierungen Photovoltaikanlagen zu installieren. Aber nehmen wir als Beispiel mal ein 80-jähriges Rentnerpaar, bei denen das Dach undicht ist und die sanieren müssen. Will man die zusätzlich auch noch wegen neuer Solarzellen auf dem Dach wirtschaftlich so belasten? Für solche Fälle braucht es praxistaugliche Antworten. Am Ende wird man es nur mit Akzeptanz schaffen – und da hat die Politik eine ganz klare Vorbildfunktion.

Wie meinen Sie das?

Ich denke, solange die Menschen beispielsweise keine Photovoltaikanlagen auf Verwaltungsgebäuden oder Schulen sehen, ist es schwer, sie davon zu überzeugen, selbst zu investieren. Vor allem, wenn das langsame Tempo beim Ausbau solcher Anlagen damit begründet wird, dass die Sanierungen aktuell sehr teuer sind. Das sind sie für Privatpersonen ja auch.

Insgesamt ist die konkrete Umsetzung der neuen Klimaschutzstrategie bislang noch sehr mau…

Da stimme ich Ihnen zu. Zur Wahrheit gehört natürlich aber auch, dass die Welt noch eine andere war, als wir den Abschlussbericht der Enquete-Kommission im Dezember 2021 veröffentlicht haben. Das war nur wenige Monate bevor Russland die Ukraine angegriffen hat. Damals hat auch noch niemand mit einer solchen Eskalation des Nahost-Konflikts gerechnet, so wie wir es heute erleben. Die Welt ist ins Wanken geraten, für viele Menschen fühlt es sich derzeit nicht mehr so stabil an.

Dazu kommt der immer stärkere Fachkräftemangel und natürlich die gestiegenen Bauzinsen, die die Umsetzung von Klimaschutzmaßnahmen erschweren. Baumaterialien sind sehr teuer geworden. Das stellt schon einiges aus dem Enquete-Bericht in Frage. Selbstverständlich müssen wir weiter daran arbeiten, Bremen klimaneutral zu machen – aber wir dürfen dabei die Realität nicht aus den Augen verlieren.

Das Gespräch führten Jana Otten und Jonas Daldrup