Frido Mann: Katia Mann hat sich nicht geopfert - WELT
Newsticker
Schlagzeilen, Meldungen und alles Wichtige
Die Nachrichten heute: Newsticker, Schlagzeilen und alles, was heute wichtig ist, im Überblick.
Zum Newsticker
  1. Home
  2. Kultur
  3. Frido Mann: Katia Mann hat sich nicht geopfert

Kultur Frido Mann

Katia Mann hat sich nicht geopfert

In zwei Biografien wird jetzt Katia Mann porträtiert. Lieblingsenkel Frido erinnert sich im Interview an seine widersprüchliche Großmutter und ihr Leben im Schatten von Thomas Mann.

WELT am SONNTAG: Keine deutsche Familie, ausgenommen vielleicht die Wagners, wird so fasziniert beäugt wie der Clan von Thomas Mann. Wie ertragen Sie den anhaltenden Voyeurismus, der in die intimsten Sphären Ihrer Familie vorgedrungen ist?

Frido Mann: Kommt darauf an. Heinrich Breloers TV-Spektakel war mir zuwider, weil es „Die Manns" als deutsche Skandal-Sippe vorführt. Dass es sich dabei um eine literarische Familie handelt, kam nur am Rande vor. Ein Lichtblick in der grassierenden Mannomanie dagegen ist die neue Katia-Mann-Biografie von Inge und Walter Jens, die sorgfältig erforschen, was diese Frau als selbstbewusste Chefin der Firma Thomas Mann für die Weltliteratur geleistet hat.

WamS: Die Muse und Managerin des Clans, die sich selbst als „Zubehör" bezeichnete, war lange nur eine Randfigur. Jetzt durchstöbern erstmals gleich zwei Biografien das Leben von Katia Mann, Ihrer Großmutter. Welche kommt der Wahrheit am nächsten?

Mann: Das Jens-Buch, weil es belegt, dass Katia Mann sich ihrem Mann nicht geopfert, sondern gewidmet hat - selbstbewusst und bescheiden. Das kann ich aus meiner Erinnerung bestätigen.

WamS: Während die Autorinnen der zweiten Biografie zuweilen krampfhaft Belege für ihre Unzufriedenheit suchen ...

Mann: Das Problem ist, dass sie ihr Leben mehr aus heutiger Sicht analysieren. Da wird zum Beispiel behauptet, dass Katia Mann sich ihrem Mann zuliebe die Brust verkleinern ließ. Zwar wurde damals bei uns nie über so einen Eingriff gesprochen, aber sollte das stimmen, dann tat sie es sicher nicht aus kosmetischen, sondern aus medizinischen Gründen.

WamS: Was fällt Ihnen spontan ein, wenn Sie an Ihre Großmutter denken?

Mann: Ihre Widersprüchlichkeit. Sie konnte ungeheuer zärtlich, liebevoll und großzügig sein, aber auch schroff, dominant und ungeduldig.

WamS: Inge und Walter Jens sind sich einig, dass „Frau Thomas Mann" intelligenter war als ihr Mann. Teilen Sie diese Meinung?

Anzeige

Mann: Auf jeden Fall hatte sie einen scharfen Verstand, unter dem Thomas Mann gelegentlich gelitten hat. Sie hat sich nicht untergeordnet, und er konnte es schlecht ertragen, von ihr widerlegt zu werden.

WamS: Auch Katias politischer Weitblick wird gerühmt ...

Mann: Sie hat schon 1923, zur Zeit der Inflation, hellsichtig vorausgesehen: „Ein Volk, das sich so etwas gefallen lässt, wird noch ganz andere Dinge mit sich machen lassen."

WamS: Sie waren der Lieblingsenkel von Thomas Mann. Hat Ihre Großmutter auch Prioritäten gesetzt oder waren ihr alle vier Enkel, egal ob Junge oder Mädchen, gleich lieb?

Mann: Soweit ich mich erinnere, hat sie immer versucht, Ungerechtigkeiten auszugleichen, uns allen ihre Aufmerksamkeit zu widmen.

WamS: Nach dem Tod von Thomas Mann haben Sie acht Jahre bei Ihrer Großmutter in der Schweiz gelebt und gelernt. Rückblickend eine schöne Zeit?

Mann: In den ersten vier Jahren war ich noch Schüler. Katia Mann hat mir beigestanden. Doch bei schlechten Noten kannte sie kein Pardon. Ich erinnere mich, dass ich sie mit der Ausrede „Ach, ich habe wieder Pech gehabt" gnädig stimmen wollte. Ungeduldig schimpfte sie: „Neunmal Pech ist Pech, zehnmal Pech ist Schuld." Nicht gerade angenehm, aber prägend.

Anzeige

WamS: Katia hat Sie zunächst als eher schlichten Geist eingestuft. Später revidierte sie ihr Urteil: „Frido muss doch intelligenter sein, als wir gedacht haben." Nicht gerade schmeichelhaft.

Mann: Ich wusste gar nicht, dass Sie mich damals so negativ beurteilte. Als ich das jetzt las, musste ich schmunzeln. Aber sie hatte Recht. Ich wollte mich von der Familie lösen. Ich war unsicher, ungeschickt, vertiefte mich in die Religion, suchte meinen eigenen Weg. Und der war nicht leicht zu finden.

WamS: Thomas Mann ließ seinen Lieblingsenkel Frido in „Doktor Faustus" 15 Seiten lang qualvoll sterben. „Gottlob hat der Kleine seine Ermordung überstanden", notierte er zehn Jahre später lapidar. Wie haben Sie den literarischen Tod verkraftet?

Mann: Das Schlimmste war die Tabuisierung. Niemand hat mit mir darüber gesprochen. Erst als ich selbst anfing zu schreiben, mit 40, konnte ich mich mit dem Tod meines Alter Ego auseinander setzen. Und es hat 50 Jahre gedauert, bis ich ihn verstanden, bewältigt und als Schatten akzeptiert habe, der mir immer folgen wird.

WamS: Wie viel Nähe war möglich zu Ihrem Großvater, der ja gern auf Distanz ging?

Mann: Ich habe ihn als alten, geduldigen und verklärten Mann erlebt. Es gab Zärtlichkeit und Nähe, allerdings nicht körperlich. Thomas Mann reagierte erschrocken, wenn ich ihm einen Kuss geben wollte.

WamS: Also kein Bilderbuch-Opa?

Mann: Er war ein Geistesmensch. Er ist nicht mit mir unterm Sofa herumgekrochen. Dafür hat er viel vorgelesen, am liebsten Märchen von Andersen und Hauff. Diese Märchennachmittage und die langen Spaziergänge mit ihm sind mir unvergesslich.

WamS: Zur Literatur sind Sie auf Umwegen gekommen. Erst haben Sie Musik studiert, dann als Theologe promoviert, habilitierten sich als Medizinpsychologe. Ein Zickzackkurs, um dem Bannkreis des „Zauberers" zu entkommen?

Mann: 20 Jahre war ich auf der Flucht, weil ich nicht untergehen wollte wie mein Onkel Klaus, der an seinem Übervater gescheitert ist. Ich wollte weg vom Schreiben - und bin dann 1980, 25 Jahre nach dem Tod von Thomas Mann, doch zur Literatur gekommen.

WamS: Über Ihren Roman „Brasa" schrieb die „Frankfurter Allgemeine Zeitung": „Wer immer im Enkelroman eine Rolle spielt, Thomas Mann guckt über alle Schultern." Hat Sie das Urteil geärgert?

Mann: Ich kann es nicht nachvollziehen. Meine literarischen Themen sind Exil, Heimatlosigkeit und die brasilianischen Wurzeln meiner Familie. Literarisch fühle ich mich meinem Onkel Klaus viel näher als Thomas Mann. Aber mit Klischees müssen „Schattenmänner" leben.

WamS: Die Geschichte der Familie Mann ist überschattet von Selbstzerstörung und Verfall. Haben Sie destruktive Tendenzen auch bei sich selbst wahrgenommen?

Mann: Glücklicherweise sind sie nicht so intensiv wie bei meinen Verwandten, wie bei Klaus Mann oder meinem Vater Michael, die sich das Leben nahmen. Aber natürlich spüre ich unterschwellig diesen familiären Sog. Auch ein Erbe, das ich mit mir herumschleppe.

WamS: Apropos Lieblingsenkel: Sie haben mal gesagt, dass nach 2000 Schluss sei mit dem Lieblingsenkel. Jetzt haben wir 2003. Wie steht's mit Ihrem Vorsatz?

Mann: Ich habe die Verpflichtung, den Nachlass meiner Familie zu verwalten. Und wenn die Pflicht ruft, folge ich. Aber sie steht nicht im Zentrum meines Lebens. Ich will mich meinem literarischen Werk widmen. Insofern habe ich mich vom Lieblingsenkel verabschiedet.

Das Gespräch führte Susanne Kunckel.

Inge und Walter Jens: „Frau Thomas Mann - Das Leben der Katharina Pringsheim", Rowohlt, 19,90 Euro

Kirsten Jüngling und Brigitte Roßbeck: „Katia Mann - Die Frau des Zauberers", Propyläen, 22 Euro

Frido Mann hat zuletzt „Nachthorn" veröffentlicht, Nymphenburger, 22,90 Euro

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema