Münchner Volkstheater: Premiere von „Katharina Blum“ nach Böll
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Münchner Volkstheater: Bölls „Katharina Blum“ zum Start in die Spielzeit

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Szene aus „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ am Münchner Volkstheater.
Mit „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ hat das Münchner Volkstheater die Spielzeit eröffnet. © Gabriela Neeb/Münchner Volkstheater

Das Münchner Volkstheater ist in die Spielzeit 2022/23 gestartet. Zum Auftakt brachte Regisseur Philipp Arnold „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ nach Heinrich Bölls Erzählung auf die Bühne.

Fast 50 Jahre sind eine lange Zeit. Und klar, fast 50 Jahre hinterlassen Spuren – auch im Werk eines Literaturnobelpreisträgers. Als 1974 Heinrich Bölls Erzählung „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ herauskam, war die Republik in heller Aufregung. „Sollten sich bei der Schilderung gewisser journalistischer Praktiken Ähnlichkeiten mit den Praktiken der ,Bild‘-Zeitung ergeben haben, so sind diese Ähnlichkeiten weder beabsichtigt noch zufällig, sondern unvermeidlich“, schrieb Böll (1917-1985) recht hölzern zu Beginn seines Buchs und geißelte später „Bild“ – und somit auch die damalige Politik – als „fast schon regierungsamtliches Blatt“.

„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ erschien erstmals 1974

Ja, es waren andere Zeiten – in der Gesellschaft, in der Politik, im Journalismus –, als diese Geschichte erschien. Erzählt wird im nüchtern-drögen Stil eines Berichts, wie die Titelfigur, eine unauffällige – vor allem: unbescholtene – 27-Jährige durch ihre Beziehung zu einem Straftäter ins Visier der Boulevardpresse gerät, die fortan und mit Unterstützung der Polizei eine brutale Kampagne gegen Katharina Blum fährt. Die junge Frau glaubt schließlich, sich nur durch Mord am Reporter retten (rächen?) zu können. Böll nannte „Bild“ im Text zwar nur „ZEITUNG“, doch war stets klar, wen der Autor anklagte.

Szene aus „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ am Münchner Volkstheater
Starkes Doppel: Nina Steils (li.) und Ruth Bohsung in „Katharina Blum“. © Gabriela Neeb/Münchner Volkstheater

Und jetzt? Hat dieser Stoff noch Relevanz in einer Zeit, in der im Internet jeder und jede hetzen kann, und viele es auch tun? Heute hat die (anonyme) Meute bei Facebook, Twitter und Co. keinen Journalisten mehr nötig, um einen Shitstorm gegen Menschen oder Institutionen loszutreten. Das Münchner Volkstheater vermeidet Antworten auf diese Frage bei seiner ersten Premiere der neuen Spielzeit 2022/23 – und verschiebt den Fokus der Erzählung.

Münchner Volkstheater: Hausregisseur Philipp Arnold inszenierte „Katharina Blum“

Regisseur Philipp Arnold, der am Haus unter anderem bereits einen wunderbaren „Macbeth“ sowie einen schrillen „Bunbury“ eingerichtet hat, und Dramaturg Leon Frisch haben Bölls Prosa fürs Schauspiel adaptiert; am Donnerstag, 22. September 2022, war Premiere des knapp 90 Minuten langen Abends. Ihre Fassung sowie die Kostüme von Julia Dietrich belassen die Geschichte grob in den Siebzigern. Auch sonst bleibt die Inszenierung recht gewissenhaft an der Vorlage, was mitunter zur eher braven Böll-Wiedergabe führt als zu spannendem Theater.

Allerdings gelingt es Philipp Arnold letztendlich durch einen simplen Regie-Kniff, doch noch Funken aus dem gut abgehangenen Text zu schlagen: Er hat die Titelrolle zweifach besetzt – und mit Ruth Bohsung und Nina Steils zwei Schauspielerinnen gefunden, die wunderbar in dieser Konstellation arbeiten können. Sie machen diesen Abend sehenswert. Mit der Dopplung geht zudem die Wahrnehmung weg vom Blick auf die Mechanismen des Boulevardjournalismus sowie der Polizei und hin auf die Gefühlswelt des Opfers: Fein aufeinander abgestimmt bis in die kleinen Gesten hinein zeigen Bohsung und Steils die Verzweiflung, die Ungläubigkeit und auch die Wut ihrer Figur. Besonders eindrücklich ist das, wenn Bohsung vor dem Gaze-Vorhang steht und die darauf projizierten Bilder der Live-Kamera beobachtet, die wiedergeben, was in der Wohnung geschieht: Die Blum wird hier zur Zuschauerin des eigenen Lebens verdammt. Neben der starken Leistung dieses Duos bleiben die drei Schauspieler blass.

Ruth Bohsung und Nina Steils überzeugen am Münchner Volkstheater

Überzeugen kann die Inszenierung jedoch nicht nur durch die beiden Hauptdarstellerinnen. Sebastian Pirchers Filmarbeit und Viktor Reims Bühnenbild sind ebenfalls geglückt. Als die „ZEITUNG“ den ersten Artikel veröffentlicht, heben sich auch die Trennwände erstmals in die Höhe, die bis dato die Räume begrenzten – und schützten. Katharina Blum ist damit endgültig der Öffentlichkeit ausgeliefert. Heftiger Applaus.
(Lesen Sie hier unsere Kritik zu „Pussy Sludge“, der zweiten Premiere der Spielzeit 22/23 am Münchner Volkstheater.)

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