Wladimir Putin hält es wie Zar Peter I. und Zarin Katharina II.: Der Eroberer besucht das annektierte Land, um seine Macht zu demonstrieren. Und um wenig später zu verkünden, dass der Krieg nicht zu Ende sei, weil noch weitere Territorien „befreit“ werden müssten.
Putin gibt sich gern zarengleich: selbstherrlich, autoritär, autokratisch. Und er scheut sich nicht, seinen Vorgängern aus kaiserlicher Zeit nachzueifern, wenn das Popularitätsgewinne verspricht. Also flog er wenige Wochen nach der Annexion der Krim 2014 nach Sewastopol, um eine Flottenparade abzunehmen und sich als neuer Herr über die Halbinsel zu präsentieren. Schließlich hatte das Zar Peter der Große, nachdem seine Truppen 1695/96 die zuvor Städte Asow und Taganrog erobert und Russland damit zeitweilig Zugang zum Schwarzen Meer eröffnet hatten, mit seinem Besuch im September 1698 in Tanganrog zelebriert.
Und so hielt es auch Katharina die Große nach der Besetzung des Khanats der Krimtataren 1783. Damals (wie heute) schienen die europäischen Mächte davon überrascht und überrumpelt zu sein, weil man der Zarin ein solches Vorgehen gegen das Protektorat des Osmanischen Reiches nicht zugetraut hatte. Den Diplomaten am St. Petersburger Hof war verborgen geblieben, dass Katharinas Berater diesen Coup bereits seit 1781 vorbereiteten. Seinerzeit schrieb ihr zeitweiliger Liebhaber Fürst Grigori Potemkin (Potjomkin) an die Zarin: :
„Die Krim spaltet aufgrund ihrer Lage unsere Grenzen auf ... Stellt Euch einmal vor, dass die Krim Euch gehört und diese Warze an der Nase beseitigt ist, dann wird die Lage an den Grenzen mit einem Mal wunderbar.“ Also erging im Februar 1783 der Befehl, die Halbinsel zu erobern. Doch bereits damals klafften Wunsch und Wirklichkeit auseinander.
„Ich hatte mit der Besetzung der Krim bis spätestens Mitte Mai gerechnet. Jetzt ist schon Mitte Juli“, klagte die Zarin noch kurz bevor ihr am 27. Juli 1783 der Vollzug gemeldet wurde. Am selben Tag verkündete sie sofort, dass das Land fortan Teil des russischen Reiches sei. Und selbstherrlich, alle Einwände negierend, ließ sie Potemkin wissen: „Ist der Kuchen gebacken, wird jeder Esslust verspüren. Ich rechne ebenso wenig auf meine Alliierten als ich den Donner und das Wetterleuchten der Franzosen fürchte.“
Gut drei Jahre später, nachdem die Spuren des Krieges nicht mehr allzu offensichtlich, Bauern angesiedelt und Dörfer (keineswegs nur als Potemkinsche Dörfer) angelegt worden waren, beschloss die Zarin, auf die Krim zu reisen.
Am 18. Januar 1787 machte sich die kaiserliche Karawane – 14 Wagen, 124 Schlitten, 40 Gepäckwagen – bei minus 17 Grad auf den Weg. Denn im Winter versprachen die Schlitten ein besseres Vorankommen, die die miserablen Straßen waren gefroren und verschneit. Und da es nur wenige Stunden am Tag hell war, wurden am Weg Scheiterhaufen aus Tannen-, Zypressen-, Birken- und Fichtenholz entzündet.
So erreicht man am 9. Februar Kiew. Doch die Weiterfahrt mit dem Schiff nach Cherson zog wegen der spät einsetzenden Eisschmelze auf dem Dnepr bis in den späten April hin. Die Abfahrt begleitete eine Groteske, wie Weikard, der Leibarzt Katharinas, berichtet. Auf der Anhöhe hatten sich viele Leute versammelt. Darunter drei alte Generäle, die die Menge ermuntern wollte, „Hurra“ zu rufen. „Das Volk schwieg und ließ die drei Alten allein ein klägliches Trio abächzen. Man beorderte geschwind Soldaten herbei, welche endlich das bis an die Schiffe schallende Hurra abschreien mussten.“
Der habsburgische Kaiser Joseph II., der seit Mai an der Reise teilnahm, bemerkte bereits damals: „Die Kaiserin vergeht vor Lust, mit den Türken einen Krieg anzufangen.“ Denn die Krim genügte ihr nicht. Otschakow (heute Otschakiw), die strategisch wichtige osmanische Festung an der Mündung von Dnepr und Bug, war ihr nun die „Warze an der Nase“.
Die Gelegenheit ließ nicht lange auf sich warten. Die Regierung von Sultan Abdülhamid I. sah die Reise als Provokation an und erklärte im August Russland und dem mit ihm verbündeten Österreich den Krieg. Das Zarenreich war auf diesen Folgekrieg jedoch nicht vorbereitet, weil Potemkin dem Heer eine – noch längst nicht abgeschlossene – Reform, verordnet hatte. Und auch die Österreicher sahen sich außerstande, wie verabredet, gegen das damals wieder osmanische Belgrad vorzugehen.
Deshalb zog Potemkin sogar in Erwägung, die Krim aufzugeben. Doch Katharina wies ihn zurecht: „Darauf kann ich nicht eingehen. Wegen der Krim wird der Krieg geführt ... Wie sollen wir auf so große in Krieg und Frieden errungene Vorteile verzichten?“ Und sie fügte hinzu: „Hier sind nicht Worte, sondern Taten notwendig, um Ehre, Ruhm und Nutzen des Herrschers und des Standes zu bewahren.“ Ihr ging es, auch wenn sie sich sonst gern als „aufgeklärt“ gab, offensichtlich mehr um ihr Ansehen als Monarchin als um das Wohl des Landes und ihrer Landeskinder.
Als die Kämpfe im Frühjahr 1788 erneut begannen – eine „Winterpause“ war damals bei fast allen Kriegszügen üblich –, schienen die Türken im Vorteil zu sein, denn Russland war geschwächt, weil die Schweden zur selben Zeit Kronstadt und St. Petersburg bedrohten. Frankreich, von diesen Konflikten nicht berührt, bot sich deshalb als Vermittler an. Doch Katharina reagierte empört auf diese Vorschläge: „Man hat unverschämterweise gewagt, meinem Minister die Rückgabe der Krim vorzuschlagen.“
Also wurde die Belagerung von Otschakow monatelang fortgesetzt. Der Grund sei, wie ein österreichischer Beobachter in der Potemkins Armee indigniert notierte: „Eine verrückte Anwandlung von Menschlichkeit, die zwar aufrichtig gemeint, aber fehl am Platze ist. Sie lässt ihn (Potemkin) Menschenleben schonen, deren Opfer nun einmal für den Erfolg dieses Unternehmens wichtig ist.“
So konnte die Festung erst im Dezember eingenommen werden, nachdem die russische Flotte die zahlenmäßig weit überlegenen Türken zur See besiegt hatte. Stolz formulierte Katharina: „Das Tedeum wurde unter dem Lärm von 101 Kanonen in meiner Gegenwart bei 25 bis 28 Grad Kälte gesungen. Die öffentliche Freude ist groß.“ Nur Potemkin blieb skeptisch: „Je größer die Erfolge sein werden, desto gemäßigter muss unsere Politik sein.“ Aber er fügte auch hinzu: „Aufrichtigkeit in der Politik ist nicht notwendig.“
Im Frieden von Jassy 1792 musste das Osmanische Reich nicht nur endgültig auf das Khanat der Krimtataren verzichten, sondern auch auf weite Teile der Ukraine. Sie wurden zu „Neurussland“.
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