Karoline Herfurth: „Ich habe mich viele Jahre an einem Idealbild abgekämpft“

Karoline Herfurth: „Ich habe mich viele Jahre an einem Idealbild abgekämpft“

Endlich ein Film, in dem Frauen ihre Schwangerschaftsstreifen zeigen und die Dellen in den Oberschenkeln: „Wunderschön“ von und mit Karoline Herfurth.

Die Schauspielerin und Regisseurin Karoline Herfurth
Die Schauspielerin und Regisseurin Karoline HerfurthBerliner Zeitung/Markus Wächter

Vier Frauen, die mit ihren Schönheitsidealen hadern und mit ihren Vorstellungen vom Leben – darum geht es in Karoline Herfurths Film „Wunderschön“, der schon seit 2020 auf seine Veröffentlichung wartet. Martina Gedeck, Emilia Schüle und Nora Tschirner sind dabei, und Karoline Herfurth führt nicht nur Regie, sie spielt auch eine Frau, die nach zwei Schwangerschaften weder mit ihrem Körper noch mit ihrem Leben zufrieden ist. Hier spricht sie über Frauen, die sich selbst in Mülltonnen stecken, die Wirkung auf deren Töchter und darüber, was sie selbst gelernt hat.

Liebe Frau Herfurth, finden Sie sich schön?

Ähm. Ja.

Dann gehören Sie also nicht zu den 91 Prozent der Frauen in Deutschland, die etwas an sich auszusetzen haben?

Ich übe seit einigen Jahren, diesen Muskel nicht mehr zu trainieren. Und ich bin meiner Freundin Nora Tschirner sehr, sehr dankbar, dass sie mich in diese Richtung hat schauen lassen. Ich gucke mich nicht mehr an, um festzustellen, was ich an mir auszusetzen habe. Ich habe mich viele Jahre extrem an einem Idealbild abgekämpft, habe immer die Diskrepanz zu mir gesehen. Aber inzwischen gelingt es mir ganz gut, meinen Fokus nicht mehr darauf zu richten. Das ist nämlich pure Zeitverschwendung, und ich bin total glücklich, dass ich mich da jetzt entspannen kann. Es ist viel schöner, sich damit zu beschäftigen, wodurch man sich in seiner Haut wohlfühlt. Und das ist meistens gar nicht das äußere Bild.

Damit haben Sie jetzt eigentlich schon erklärt, warum Sie diesen Film gemacht haben. Denn eine zentrale Botschaft, die „Wunderschön“ aussendet, ist, dass es nicht auf das Äußere ankommt.

Diesen Film zu machen – das war ein Prozess. Ich hatte den Film gesehen, den Nora zusammen mit Taryn Brumfitt produziert hat, „Embrace“.

Ein Dokumentarfilm, in dem die australische Aktivistin sich gegen die Unterwerfung unter Schönheitsideale wendet.

Nora und ich haben zusammen ein Fotoshooting gemacht, und da meinte Nora, sie wolle nicht in diese typischen Posen gehen, diese coolen Schönheitsposen. Sie wolle einen anderen Inhalt zeigen. Oder überhaupt einen Inhalt. Und ich war ganz irritiert, denn ich hatte mich mit so etwas einfach noch nicht beschäftigt. Dann hat sie mir den Fundraising-Aufruf von Taryn Brumfitt für „Embrace“ gezeigt. Das hat meine Welt verändert.

Inwiefern?

Es hat mich schockiert zurückblicken lassen, wie viel Zeit ich darauf verwendet habe, einem Bild zu entsprechen, das ich nicht bin. Dann kam „Embrace“ heraus, ein wahnsinnig toller, berührender Film. Darüber habe ich mich mit dem Produzenten Willy Geike unterhalten, und er meinte: Mach doch einen Film darüber, warum Frauen nie zufrieden mit sich sind. Warum es so schwer für sie ist, sich selbst zu lieben.

Warum können Frauen das nicht?

Das ist ein wahnsinnig weites Feld. Mir war schnell klar, dass man das aus dem Blickwinkel von verschiedenen Generationen erzählen muss, weil das so viele Aspekte hat, so viele Ursachen, die in jeder Lebensphase andere sein können. Manches ist dabei aus einer Intuition heraus entstanden. Zum Beispiel die Geschichte von einem Model und einem kleinen Mädchen. Am Ende holt dieses Model, das sich bis zur Erschöpfung selbst optimieren will, das kleine Mädchen aus der Mülltonne heraus. Und erst da habe ich verstanden, was für ein Symbol, was für ein wichtiges Bild das ist: Wenn wir uns und die ganzen kleinen Mädchen, deren Vorbilder wir sind, endlich aus diesen Mülltonnen herausholen, in die wir uns selber stecken und stecken lassen.

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Berliner Zeitung/Markus Wächter
Zur Person
Karoline Herfurth, geboren 1984 in Ost-Berlin, besuchte die Ernst-Busch-Schauspielschule und studierte anschließend Soziologie, Politikwissenschaft sowie Russisch an der Humboldt-Universität.
Ihren ersten Kinofilm „Crazy“ drehte sie im Jahr 2000, international bekannt wurde sie 2006 durch die Rolle des Mirabellenmädchens in Tom Tykwers Produktion „Das Parfum – Die Geschichte eines Mörders“. Bei den Hofer Filmtagen 2012 präsentierte sie ihre erste Regiearbeit, den Kurzfilm „Mittelkleiner Mensch“. „SMS für Dich“ war 2016 ihr erster Langfilm als Regisseurin, sie spielte hier auch die Hauptrolle.

Schönheitsideale hat es immer gegeben. Aber an einer Stelle im Film heißt es, sie seien noch nie so detailliert und perfektionistisch gewesen wie heute. Liegt das an den sozialen Medien?

Ich bin ja ohne die sozialen Medien aufgewachsen und hatte auch schon das Gefühl, dass ich jede Stelle meines Körpers kenne und weiß, wie der auszusehen hat. In der Werbung sind diese Körperbilder sehr detailliert, sehr klar. Es werden da so subtile bis aggressive Nachrichten geschickt. Und je mehr das auseinanderfällt, der eigene Körper und das Bild, je unzufriedener man ist, umso empfänglicher ist man zum Beispiel zu konsumieren.

Das klingt alles sehr ernst und auch moralisch, aber Ihr Film ist auch sehr lustig.

Es ging mir auch gar nicht darum, zu belehren. Für mich war es eine Befreiung, mich nicht mehr zu optimieren. Ich finde es wahnsinnig schön, darüber nachzudenken, was mich ausmacht, was mich anzündet, was mir Spaß macht, was mir Lust bereitet, was mir schmeckt. Was macht einen denn schön? Dass ich einem äußeren Bild entspreche oder dass ich zum Erstrahlen komme, weil ich mich für etwas begeistere?

Aber Sie gucken schon noch in den Spiegel, oder?

Auf jeden Fall. Ich schminke mich auch total gerne und zieh mich sehr gern schön an. Aber weil ich Lust darauf habe. Ehrlich. Authentizität ist ein viel gebrauchtes und auch missbrauchtes Wort. Aber ich sehe wenig Menschen, die wirklich mit sich beschäftigt sind. Mit dem Inhalt ihres Lebens und nicht mit ihrer Hülle.

Ich sage meiner Tochter auch immer, dass die Hülle nicht so wichtig ist. Sie ist in dem Alter, in dem sie wahnsinnig lang vor dem Spiegel stehen und todunglücklich sind, wenn sie denkt, sie habe sich die falsche Winterjacke gekauft. Aber das prallt an ihr ab.

In „Embrace“ sagt eine Mutter, sie sei hilflos. Sie hat das Gefühl, sie löscht ein Feuer nach dem anderen und kommt doch nicht dagegen an. Ihre Tochter glaubt ihr nicht, dass sie genügt, dass sie toll ist. Und ich selbst bin auch nicht mit der Frage groß geworden: Hei, was macht dich aus? Was macht dich stark, was macht dich besonders?

Wie sind Sie denn aufgewachsen?

Die Fragen, die mir gestellt wurden, lauteten: Wie sollst du sein, was sollst du erfüllen? Diese Prägung geht so früh los. Man geht in die Schule, wird benotet, muss sich anpassen. Ich wünsche mir am allermeisten, dass die Kinder in Zukunft nicht so aufwachsen wie ich, sondern dass sie ganz andere Bilder haben. Dass es alle Bilder gibt, und jeder sich das aussuchen kann, auf das er Bock hat. Ich kann auch eine Kim Kardashian sein, ich kann mir die Wangenknochen anpassen lassen, wenn ich mich damit wohler fühle, aber ich kann eben auch einen ganz anderen Weg gehen.

In einer Szene, in der Emilia Schüle, die das Model spielt, mit anderen Models posiert, ist eine Frau dabei, die bei „Germany’s Next Topmodel“ mitgemacht hat. Ich hab mich gefragt, ob das eine indirekte Kritik an der Show von Heidi Klum ist?

Wenn es so ist, ist es mir nicht bewusst. Aber ich muss diese Modelshows gar nicht indirekt oder subtil kritisieren, ich kann auch ganz unsubtil sagen, dass ich die furchtbar finde. Da wird jungen Mädchen etwas von Individualität und Persönlichkeit erzählt, aber gezeigt wird etwas ganz anderes.

Sie selber spielen in Ihrem Film ja auch mit und haben dabei keine Scheu vor Hässlichkeit. Sie tragen eine Körpermaske, oder?

Das ist schon alles mein Körper bis auf den Bauch. Die Kilos hab ich mir tatsächlich draufgeschafft.

Karoline Herfurth in „Wunderschön“
Karoline Herfurth in „Wunderschön“Warner Bros. Germany

Wie hat sich das angefühlt, sich so zu präsentieren, mit Schwangerschaftsstreifen und so weiter?

Es gibt doch viele Frauen, die so aussehen. Und ich finde das nicht hässlich. Ich finde es unglaublich traurig und gelogen, wenn man sagt, dass die alle hässlich sind. Sie entsprechen halt nicht dem Schönheitsideal. Ich habe im Film den Körper einer Frau, die vor acht Monaten ein Kind geboren hat. Das ist doch was Wundervolles.

Ehrlich gesagt, ich kann Frauen verstehen, die sich vor Schwangerschaftsstreifen fürchten.

Ich kenne auch die Geschichten von Frauen, die Angst haben, sich am See zu zeigen. Und die froh sind, das Kind an der Hand zu haben, damit sie zeigen können, warum sie so aussehen. Das ist doch Wahnsinn. Das sind Spuren des Lebens. Mein Gott, dann ist da halt ’ne Delle, dann sind da Streifen. Wen interessiert’s? Warum kann ich mich nicht mit dem Kind beschäftigen, das dabei rausgekommen ist oder mit dem Leben, das ich gerade führe. Ich beschäftige mich auch gern mit meinem Körper, aber in vielleicht zehn Prozent der Zeit, die ich habe, und nicht in neunzig.

Es geht in Ihrem Film auch um Geschlechterrollen. Da gibt es den Klassiker: Die Frau passt zu Hause auf die kleinen Kinder auf, der Mann bastelt an seiner Karriere.

Ich hab mit 23 angefangen, Politikwissenschaften und Soziologie zu studieren. Bis dahin war ich mir dieser Geschlechterrollen überhaupt nicht bewusst. Ich bin in der Überzeugung aufgewachsen, dass wir in diesem Land alle gleich sind. Dass wir alle gleich viel wert sind und gleichbehandelt werden. Ich war dann total überrascht von der Realität. Denn natürlich ist das überhaupt nicht der Fall.

Wie sieht die Realität denn aus?

Siebzig Prozent der Partnerschaften sind gleichberechtigt, bis ein Kind kommt. Dann kommt das klassische Modell. Wobei Frauen auf dem Arbeitsmarkt schon vorher anders behandelt werden als Männer. Und die Sozialisationsarbeit, Hausarbeit und Versorgung von Kindern leisten meistens Frauen. Kostenlos. Ich hab mal gelesen, dass – würden die Sorge- und Pflegearbeit bezahlt – sich das kein Land leisten könnte. Ich finde es extrem wichtig, diese Arbeit als Arbeit anzuerkennen und als das zu sehen, was es ist: eine der grundlegendsten und wichtigsten Leistungen für eine Gesellschaft!

In der Corona-Zeit, als plötzlich Putzfrau und Babysitter weg waren, haben manche Frauen gemerkt, dass sie sich ihre Emanzipation nur gekauft hatten.

Für mich ist Emanzipation nicht der Kampf darum, als Frau gleich viel Erwerbsarbeit leisten zu dürfen wie der Mann. Ich möchte nicht eine Gesellschaft bedienen, in der es darum geht, mein Leben mit Arbeit zu verbringen. Und ich finde es total schön, wenn beide Eltern Teil der Familie sein möchten. Das ist doch auch der Trend. Die Menschen wollen leben, ihr Leben genießen. Und den Anteil, den Frauen an der Arbeitswelt nicht haben dürfen, dürfen Männer nicht an der Familienwelt nicht haben. Männer sind privilegiert, was Gesellschaftsteilhabe betrifft, wenn es darum geht, familiär liebevoll angebunden zu sein, sind sie es nicht. Das ist eine ungleiche Verteilung in beide Richtung. Die Balance müssen beide Geschlechter schaffen.

Es funktioniert halt oft nicht.

Das Wichtigste ist wahrscheinlich, dass sich der Arbeitsmarkt ändert, der muss familienfreundlicher werden. Die Gesellschaft ist ja nicht nur frauenfeindlich, die Gesellschaft ist familienfeindlich. Ich sehe nicht, dass Familien geschützt werden. Und Kinder werden nicht vor emotional unangebundenen Vätern und überlasteten Müttern geschützt.

Sie kommen aus Ost-Berlin. Waren Frauen in der DDR emanzipiert?

Ich kann es nicht sagen, ich war zu jung. Aber ich glaube, dass damals beide gleich viel arbeiten mussten. Die Kinder wurden dann halt abgegeben. Das war auch nicht besser. Das Ideal ist die Wahlfreiheit. Die gilt es in einer Gesellschaft zu schaffen. Dann können wir individuell entscheiden.

Dass die Frauen denken, nicht nur zu Hause bleiben zu dürfen, sondern arbeiten zu müssen, kann auch eine Form von Selbstoptimierung sein, oder?

Auf jeden Fall. Und es gibt hundertprozentig Frauen, die es das Schönste überhaupt finden, zu Hause zu sein. Warum denn auch nicht? Es wird halt nicht als Arbeit anerkannt, nicht als Teilhabe an der Gesellschaft. Dabei ist die Familienarbeit eine der wichtigsten Arbeiten überhaupt.