Zum 35. Todestag eines großen Theologen

Warum Karl Rahner sein Leben als Gottesdienst begriff

Veröffentlicht am 30.03.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Karl Rahner während der zweiten Sitzungsperiode der Würzburger Synode.
Bild: © KNA

Bonn ‐ Er gilt als einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts: Der Jesuit Karl Rahner, der 1984 mit 80 Jahren starb. Trotz seiner Erfolge blieb Rahner immer bescheiden. Grund war eine einfache Einsicht, die sein ganzes Leben prägte.

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Nur drei Jahre vor seinem Tod im Jahr 1984 hat Karl Rahner in einem Gespräch folgendes geäußert: "Wie lange dauert es noch, bis es für immer Abend ist? Ich weiß es nicht. So macht man weiter, solange noch Tag ist. Am Ende geht man mit leeren Händen fort, ich weiß es; aber so ist es gut. Dann schaut man auf den Gekreuzigten und geht. Was kommt, ist die ewige Unbegreiflichkeit Gottes." Diese Sätze des großen Theologen sind beeindruckend, denn sie scheinen im Widerspruch zu stehen zum Schaffenswerk, das Karl Rahner hinterlassen hat. Erst kürzlich wurde die Edition der Sämtlichen Werke Rahners mit immerhin 32 stattlichen Bänden, die einige Regalmeter füllen, abgeschlossen. "Am Ende geht man mit leeren Händen fort": Es war der tiefgläubige Blick Rahners auf den gekreuzigten Herrn, der ihn immer wieder neu spüren ließ, dass alles theologische Schaffen im letzten nur Stückwerk ist. Die "Unbegreiflichkeit Gottes" taucht daher in Rahners Theologie, besonders auch in der Frage nach der Theodizee auf. Selbst dem fleißigsten Theologen ist es nicht möglich, das Mysterium des dreifaltigen Gottes vollends zu ergründen. Rahner wusste darum.

Jesuit wie sein Bruder Hugo

In den März dieses Jahres fallen zwei besondere Jahrestage: Am 05. März wäre Rahner 115 Jahre alt geworden, heute jährt sich sein Todestag zum 35. Mal. 1904 wurde Karl Rahner in Freiburg im Breisgau geboren, 1922 trat er in den Jesuitenorden ein und folgte damit seinem Bruder Hugo, der wenige Jahre zuvor ebenfalls Mitglied der Gesellschaft Jesu geworden war. Nach der ordensüblichen Ausbildung, die Rahner unter anderem in Pullach und Feldkirch verbrachte, wurde er von Michael Kardinal Faulhaber am 26. Juli 1932 in München zum Priester geweiht. Da für Rahner ursprünglich ein Posten als Philosophieprofessor bestimmt war, führte ihn sein weiterer Weg zurück nach Freiburg, wo er unter anderem bei Martin Heidegger ein Spezialstudium im Fach Philosophie absolvierte. Das philosophische Doktorat konnte Rahner nicht abschließen, da er nicht auf die Änderungswünsche seines Betreuers in der Dissertation eingegangen war; er veröffentlichte sie schließlich 1939 unter dem Titel "Geist in Welt". Rahner war unterdessen nach Innsbruck zurückgegangen, wo auch sein Bruder Hugo weilte, der dort seine Habilitationsstudien vorantrieb. 1936 wurde Karl Rahner in Innsbruck im Fach Theologie zuerst promoviert und bereits ein halbes Jahr später habilitiert.

Karl Rahner während der Zweite Sitzungsperiode der Vollversammlung der gemeinsamen Synode der Bistümer der BRD in Würzburgvom 10.5. bis 14.5.1972
Bild: ©KNA

Karl Rahner während der Zweite Sitzungsperiode der Vollversammlung der gemeinsamen Synode der Bistümer der BRD in Würzburgvom 10.5. bis 14.5.1972

Im August 1937 sprach Rahner bei den Salzburger Hochschulwochen zum Verhältnis von Theologie und Philosophie; seine Gedanken veröffentlichte Rahner 1941 im Buch "Hörer des Wortes". Nach einer kurzen, aber sehr intensiven Dozententätigkeit wurde die Theologische Fakultät in Innsbruck im Juli 1938 von den Nationalsozialisten aufgehoben, ein Jahr später wurde das Jesuitenkolleg von der Gestapo besetzt. Von 1939 bis 1944 weilte Karl Rahner daher in Wien, wo er als Dozent in der inoffiziellen Ordensausbildung tätig war. Für ein gutes Jahr war Rahner anschließend in der Pfarrseelsorge in Niederbayern, wo er auch das Kriegsende erlebte. Nach einer kurzen Lehrtätigkeit in Pullach, wurde Karl Rahner 1949 zum ordentlichen Professor für Dogmatik an der Theologischen Fakultät Innsbruck ernannt, wo er bis 1964 wirkte.

Mit dem Beginn des Zweiten Vatikanischen Konzils wurde Rahner, der sich bis dato als Theologe längst profiliert hatte, zum Berater des Wiener Kardinals Franz König ernannt. Als Konzilstheologe engagierte er sich besonders bei der Ausarbeitung der Konstitution über die göttliche Offenbarung, die an vielen Stellen seine Handschrift erkennen lässt. Noch während des Konzils wechselte Rahner von Innsbruck nach München und wurde zum Nachfolger von Romano Guardini an der Philosophischen Fakultät ernannt, nur drei Jahre hatte er den Lehrstuhl für Religionsphilosophie und christliche Weltanschauung inne. Bereits 63-jährig folgte er einem Ruf nach Münster. Dort war er noch einmal einige Jahre als Dogmatikprofessor tätig, bevor er 1971 emeritiert wurde. Trotz der Befreiung vom akademischen Lehrdienst arbeitete Rahner weiterhin beinahe ununterbrochen an theologischen Fragestellungen. Zunächst wohnte er in München, bevor er 1981 zurück nach Innsbruck ging. Kurz nach seinem 80. Geburtstag ist Karl Rahner 1984 verstorben, er wurde in der Krypta der Jesuitenkirche in Innsbruck beigesetzt.

"Am Ende geht man mit leeren Händen fort": Trotz (oder vielleicht gerade aufgrund?) dieser Einsicht war Rahners Leben erfüllt von einem unglaublichen theologischen Schaffen. Andreas Batlogg (SJ) hat die Bibliografie Rahners einmal mit 4.000 Nummern angegeben, ohne Mehrfachauflagen und Übersetzung mitzuzählen. Und wer den typisch Rahner’schen Sprachstil kennt, der weiß, wie viel theologisches Wissen der Autor oftmals in einer einzigen dieser Nummern verpacken konnte. Prägend für die Theologie Rahners war besonders der Gedanke der Gnade, die er in besonderer Weise in der Selbstmitteilung Gottes erkennt. Herbert Vorgrimler hat deswegen auch diese Selbstmitteilung als den "Zentralbegriff" der Theologie Rahners identifiziert. Rahner selbst definiert den Begriff folgendermaßen: "Selbstmitteilung Gottes besagt Möglichkeit und Wirklichkeit, dass Gott nicht nur in Wirkursächlichkeit das von ihm verschiedene Andere schöpferisch hervorbringen kann und bringt, sondern in seiner eigenen ungeschaffenen göttlichen Wirklichkeit die reale Bestimmung der Kreatur werden kann (…), ohne dadurch aufzuhören, Gott, d.h. der von nicht Abhängige, zu sein, der, unendlich bleibend, von nichts anderem her bestimmt wird." Gott kann Mensch werden, ohne aufzuhören, Gott zu sein; Gott kann dies nicht nur, sondern Gott wird es auch in seinem Sohn Jesus Christus. In ihm teilt er sich selbst mit, aus freiem Entschluss, damit die Menschen Anteil an der göttlichen Gnade erlangen können. Soweit einer der Grundzüge der Rahner’schen Theologie.

Linktipp: Warum wir unbedingt Karl Rahner lesen sollten!

Der Jesuit Karl Rahner gilt als einer der größten, wenn nicht als der größte deutsche Theologe des 20. Jahrhunderts. Der Publizist und Theologe Ulrich Ruh erklärt, was Rahner uns heute noch zu sagen hat.

Doch Karl Rahner nur als Theologen zu betrachten, würde zu kurz greifen und seinem eigenen Selbstverständnis wohl auch nicht gerecht werden. Noch einmal Rahner im O-Ton: "Ich habe kein Leben geführt; ich habe gearbeitet, geschrieben, doziert, meine Pflicht zu tun, mein Brot zu verdienen gesucht. Ich habe in dieser üblichen Banalität versucht, Gott zu dienen, fertig." Zusammen mit seinem Diktum "Am Ende geht man mit leeren Händen fort" zeichnet sich ein eigentümliches Bild von Rahner: Es weist darauf hin, dass Rahner nicht nur der große theologische Lehrer war, der nach immer mehr Veröffentlichungen strebte. Karl Rahner war in erster Linie Gott-Sucher, Priester, Jesuitenpater. Die ignatianische Spiritualität prägte sein Leben und Wirken, er selbst hat sich gerne als Mystiker gesehen, als einen, der etwas erfahren hat. Die Erfahrung der Selbstmitteilung Gottes in Jesus Christus hat in Rahner den Raum für das noch Größere freigehalten, für den "Deus semper maior" (Ignatius v. Loyola), vor dem auch der beste Theologe noch mit leeren Händen steht.

Alles Schaffen als Gottesdienst

Karl Rahner hat darum gewusst und all sein Wirken und Schaffen daher als Gottesdienst gesehen. Aber als Dienst für einen Gott, der sich für die Menschen ansprechbar macht, der sich ihnen selbst zu erkennen gibt, der sich ganz und gar offenbart. Für einen Gott, der in Jesus Christus den Menschen zum Weggefährten geworden ist. Dieser Gedanke hat Rahner fasziniert. In einem Beitrag über das Gebet schreibt er: "Wenn wir aber plötzlich den Mut finden, doch in die (…) Finsternis hinein hoffend und vertrauend Du zu rufen, wenn wir es immer wieder tun, wenn wir nicht anmaßend verlangen, dass sofort auf diesen Ruf aus dieser schweigenden Finsternis heraus eine partikuläre Antwort kommt, die uns einfach umwirft und etwas anderes ist als eben die sanft und still bergende Anwesenheit dieses Geheimnisses selbst, dann merken wir, dass man Du zu Gott sagen kann, sich selbst in Vertrauen lassend und so wartend auf den Augenblick, da dieses Geheimnis unseres Daseins sein Antlitz unverhüllt zeigen wird als die ewige Liebe, die ein unendliches Du zu Du ist."

Von Fabian Brand