Relecture eines großen Theologen

Was Karl Rahner zur weiblichen Natur Gottes dachte

Veröffentlicht am 08.10.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Was Karl Rahner zur weiblichen Natur Gottes dachte
Bild: © KNA

Bonn ‐ Die Frage der Rolle von Frauen in der Kirche ist wieder verstärkt in die Diskussion geraten. Auch Karl Rahner, einer der einflussreichsten Theologen des 20. Jahrhunderts, hat sich mit diesem Thema auseinandergesetzt – und bringt so manche Verfechter des Bestehenden in Erklärungsnot.

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Wo steht die Frau in der katholischen Kirche? Kann sie Gott genauso repräsentieren wie ein Mann? Oder müssen Priester Männer sein, weil Jesus ein Mann war und nur Männer zu seinen Aposteln gemacht hat? Diese Fragen sind bleibend aktuell, nicht zuletzt etwa durch Maria 2.0, Fragestellungen des Synodalen Wegs oder die Bewerbung von sieben Frauen in Frankreich auf unterschiedliche kirchliche Posten, die bislang ausschließlich mit Männern besetzt werden.

So aktuell diese Fragen sind, so bleibend sind sie allerdings ebenso. Auch einen der ganz großen Theologen des 20. Jahrhunderts, Karl Rahner (1904-1984), haben sie schon beschäftigt. Anlässlich einer "Erklärung zur Frage der Zulassung der Frauen zum Priesteramt" (1976) der vatikanischen Glaubenskongregation befragte die Theologin und Autorin Anita Röper (1908-1993) Rahner zur geschlechtlichen Natur Gottes und veröffentlichte das Gespräch in einem schmalen Band mit dem vielsagenden Titel "Ist Gott ein Mann?" (1979).

Rahner referiert darin, dass Philosophen und Theologen der Scholastik festgehalten haben, dass sich Gott erkennen lässt; unter anderem durch die Vernunft, die Bibel oder auch die "Offenbarung äußerer und innerer Art". Zwar bleibt Gott dabei ein unergründliches Geheimnis, einzelne Aussagen über ihn lassen sich dennoch machen. Rahner zieht dazu die Schöpfung heran, denn alles Geschaffene mache Aussagen über seinen Schöpfer. "Alles, was in der Welt an Wirklichkeit gegeben ist, muß – natürlich in einer höheren, überbietenden, radikal anderen, neuen, unendlichen Weise – im voraus in Gott gegeben sein, sonst könnte er nicht der Grund, der Ursprung dieser geschaffenen Wirklichkeit sein."

Blume und Geist?

Allerdings lassen sich nicht alle Eigenschaften aller Dinge auf der Erde direkt auf Gott beziehen. Rahner nennt zwei Beispiele: Nur weil es Blumen und personalen Geist gibt – kann man deshalb beides gleichermaßen von Gott behaupten? Die Scholastiker unterscheiden nun zwischen "reinen" und "gemischten" Eigenschaften, um einen Transfer zwischen menschlichen und damit endlichen Eigenschaften zu einer Zuschreibung des darüber weit hinausgehenden Wesens Gott zu ermöglichen. "Es gebe Vollkommenheiten, Eigenschaften, Wirklichkeiten, die von vornherein in ihrem eigenen formalen Begriff eine innere Begrenzung, eine Negativität haben und aussagen", erklärt Rahner. So gehören etwa Eigenschaften wie eine bestimmte Größe, das Bedürfnis nach einem Stoffwechsel oder die Gebundenheit an einen bestimmten Ort zu den gemischten Eigenschaften, die von Gott formal nicht ausgesagt werden können.

Maria Magdalena trifft den auferstandenen Jesus Christus im Garten
Bild: ©picture alliance/akg-images/Orsi Battaglini

Maria Magdalena trifft den auferstandenen Jesus. In der Auferstehungsgeschichte der Bibel spielen Frauen eine herausgehobene Rolle - Zugang zur Priesterweihe haben sie in der heutigen Kirche nicht.

Anders dagegen sei es etwa bei Denken, Freisein, Bei-sich-selber-sein, Geistsein, Liebesein oder Liebend-Sein: "In ihrem formalen Begriff, so sagt die Scholastik, hätten diese Eigenschaften keine Negativität, so daß sie von Gott, wenn auch immer nur analog, formal ausgesagt werden können."

Nun steht natürlich die Frage im Raum, wie es mit der Geschlechtlichkeit aussieht: Ist das eine reine oder eine gemischte Eigenschaft? "Gibt es in der Dimension des geistig Personalen eine Art von Männlichkeit und Fraulichkeit, welche als reine Eigenschaften aufgefaßt werden könnten und welche sich als solche von Gott aussagen ließen, ja von ihm ausgesagt werden müßten?", fragt Rahner. Die Feststellung ist nicht ganz einfach, schließlich wird Geschlecht beim Menschen oft als Abgrenzung zum jeweils anderen definiert: Männer sind keine Frauen, Frauen sind keine Männer. Viel enger lassen sich die entsprechenden Definitionen kaum fassen, sind doch die Feststellungen darüber, was "typisch weiblich" und "typisch männlich" ist, in der Regel leicht widerlegbar – und jeweils beim anderen Geschlecht ebenso anzutreffen. Geschlecht nur über diese Abgrenzung zu formulieren, würde es ganz klar in die Kategorie der "gemischten" Eigenschaften einordnen. Rahner sieht die Sache jedoch anders: Zwar sei klar, dass "jedes der beiden Geschlechter in einer unaufhebbaren Weise auf das andere Geschlecht hingeordnet ist und darum nur in dieser Hinordnung, also in der Anerkennung einer gewissen Rezeption der Eigenschaften des anderen Geschlechts selber sein und sich vollenden kann".

Eine männliche und weibliche Tapferkeit

Allerdings ließe sich etwa von bestimmten Eigenschaften in einer gewissen geschlechtsspezifischen Weise sprechen: So seien Frauen und Männer gleichermaßen tapfer – aber auf unterschiedliche, nicht hierarchisch geordnete Weise. Worin diese Unterschiedlichkeit besteht, müsse aber offen bleiben, so Rahner, "weil sich das Geschlechtsspezifische von Männlichkeit und Fraulichkeit nicht in andere Aussagen übersetzen läßt, sondern es sich dabei um, wenn auch erfahrbare, unreduzierbare Eigentümlichkeiten des jeweiligen Geschlechtes handelt".

Das ist für ihn in der Bewertung einer möglichen Negativität von Geschlecht wichtig: Dass es eine Unterschiedlichkeit gibt, bedeutet keine Nachordnung. Als Beispiel nennt er die Trinität, in der die drei Personen zwar voneinander unterschiedlich sind, aber keine unterschiedliche Wertigkeit haben.

Bild: © picture-alliance /Christian Ohde / CHROMORANGE

Geschlechter werden oft zu sehr nur als Differenz zueinander gedacht, findet Karl Rahner.

Man könne Männlichkeit und Fraulichkeit nicht generell als ausschließlich aufeinander bezogene Begriffe auffassen, so Rahner weiter. Wenn es eine spezifisch männliche und spezifisch frauliche Menschlichkeit gebe, "dann gehen damit die Fraulichkeit und die Männlichkeit durch alle Dimensionen des Menschen hindurch, ohne dass damit immer notwendigerweise ein Verweis im engeren Sinn auf das andere Geschlecht gegeben wäre." Immerhin erlebt ein Mensch die Welt stets nur aus seiner eigenen geschlechtlichen Perspektive, aus der er sich nicht entfernen kann. "Selbst wenn es keine Männer gäbe, wäre trotzdem eine spezifisch weibliche Geistigkeit, Personalität usw. immer noch denkbar", fasst es Rahner zusammen.

Was lässt sich über Gott sagen?

Es sei also nicht auszuschließen, dass sich über Gott tatsächlich eine geschlechtliche Aussage machen ließe. Für Rahner wäre sie: "Beide gleichzeitig." "Warum sollte Gott nicht in seiner unendlichen Fülle, Lebendigkeit, Ursprünglichkeit dieses eigenartige, in keine Angaben materialer Art Übersetzbare von Mann und Frau – immer vorausgesetzt, ihre Verschiedenheit bedeutet keine Negativität – in sich haben können?" Dass kirchlicherseits stets von Gott als Vater gesprochen werde, erklärt Rahner damit, dass das Christentum in eine patriarchale Kultur hineingekommen sei – die Bezeichnung als Mutter hätte in diesem Zusammenhang als etwas Untergeordnetes gegolten.

In einem weiteren Kapitel geht es um die christologischen Aspekte der Geschlechtlichkeit. Denn Jesus Christus war ein Mann, das Wort wurde also als Mann Fleisch (Joh 1,14). Das stellt für Rahner die Frage der Bedeutung: "Ist in der Tatsache des Mannseins Jesu eine Bevorzugung des männlichen Geschlechts zu sehen oder gar eine Abwertung des weiblichen?" Auch hier strebt Rahner wiederum eine Unterscheidung an, nämlich nach Merkmalen Jesu, die für die Heilsfrage entscheidend sind: So gebe es etwa Kennzeichen von Jesus Christus, die zwar gegeben, aber für die Heilsfrage gleichgültig seien; dazu zählten etwa seine Körpergröße, Haar- oder Augenfarbe. Das seien Merkmale, "die zwar nicht einfach aus seiner personalen Geschichte ausgeschieden werden können, praktisch aber eben doch nur von der Bedeutung sind, daß sie angenommen und gelten gelassen werden müssen, ohne daß man sich darauf existentiell, personal und religiös im einzelnen beziehen müßte". Ähnlich sei es auch anders herum: Nicht alles, was Jesus in seinem Leben getan hat, müssen Christen von heute genauso tun. Jesus hat in ärmlichen Verhältnissen im Nahen Osten gelebt und beispielsweise keine Rücklagen für das Alter gebildet – darin müssten ihm die Gläubigen nicht nacheifern. Ebenso sei etwa eine Ehe oder das Familienleben Jesu in der Bibel kein Thema. "Es gibt also christliche Realisationen, die Jesus selbst uns nicht vorgelebt hat, die aber trotzdem in jenem totalen göttlichen Gesamtentwurf der Menschheit mit Jesus als Mitte und Spitze enthalten sind." In den menschlichen Dimensionen des Lebens war Jesus begrenzt, er konnte halt nur ein Leben als Mann führen, nicht gleichzeitig als Frau.

Zwei Funktionen

Gott wäre es möglich gewesen, eine Frau auf die Erde zu schicken – das hat er aber nicht getan. Rahner erkennt hier eine heilsgeschichtliche Funktion, die von der Heilsfunktion penibel zu unterscheiden ist. Denn Jesus kam in eine gesellschaftlich, politisch und kulturell geprägte Welt und wirkte in ihr – das heißt, in einer patriarchalischen Welt, in der die Frau dem Mann untergeordnet war. Eine Frau hätte wohl nicht so leicht eine öffentliche Wirkung entfalten können wie ein Mann. Hier sieht Rahner den Knackpunkt für die Bewertung der Geschlechtlichkeit Jesu: Man müsse sagen, "das Mannsein Jesu rangierte nicht unter Eigentümlichkeiten wie ein bestimmtes Aussehen, eine bestimmte Körperlänge, bestimmte Sprach- oder sonstige Gewohnheiten, sondern es war die damals notwendige Voraussetzung zur möglichen Erfüllung seines Auftrags, ohne eigentliche Heilsbedeutung." So sehr man mit dem Konzil von Chalcedon (451) sagen müsse, dass Jesus Gott ist, müsse man mit dem gleichen Konzil sagen, dass die von Menschen erfahrbare, reale, menschliche Wirklichkeit Jesu "ewig von der göttlichen Wirklichkeit verschieden" sei, denn sie sei "endlich, begrenzt, geschaffen, von der göttlichen unterschieden, geschichtlich, soziologisch bedingt". So sei die Männlichkeit Jesu zwar eine Aussage Gottes, aber keine besondere Selbstaussage. Das Mannsein Jesu liege einfach an der "der Inkarnation vorgegebenen geschichtlichen Situation und in nichts anderem".

In einem Essay für die Jesuiten-Zeitschrift "Stimmen der Zeit", der im Buch ebenfalls abgedruckt ist, äußert sich Rahner noch eingehend zu der Frage, was das denn für die Weihe von Frauen heiße. Der Vatikan argumentiere, so Rahner, stets mit dem Mannsein Jesu und seinem Handeln, dass er nur Männer zu seinen Aposteln gemacht habe. Es werde vorausgesetzt, dass Jesus nicht nur auf die Situation seiner Zeit reagiere, in der Männer hervorgehoben waren. Rahner wendet mit der Frage ein, bei wem in dieser Auseinandersetzung eigentlich die Beweislast liege. Denn durch die soziologischen Verhältnisse der damaligen Gegenwart lasse sich die Wahl von Männern als Gemeindeleiter vollständig erklären: "In der kulturellen und gesellschaftlichen Situation ihrer Zeit konnten sich praktisch Jesus und die erste Kirche keine weiblichen Gemeindeleiter und Vorsteher der Eucharistiefeier denken oder dies gar durchsetzen." Dass das im Gegensatz zur restlichen Praxis Jesu stehe, sei als Widerspruch in den damaligen Verhältnissen nicht vor Augen gewesen. Rahner vergleicht das mit der Sklavenhaltung, die ein Phänomen der Zeit war und den Maximen Jesu entgegensteht – aber dennoch einfach hingenommen wird. Verfechter des ausschließlich männlichen Priestertums müssten also ergänzende Gründe liefern. Im Bezug auf die Bibel und das frühe Christentum könne hier nur mit dem Argument der Gemeindeleitung gearbeitet werden, eine "eucharistische Sondervollmacht" sei im Neuen Testament "nicht unmittelbar greifbar".

In seinen Texten mahnt Rahner gern an, dass die Diskussion weitergehen müsse. Das ist sie, allerdings entfernte sie sich zum Teil von den Einlassungen Rahners. Papst Johannes Paul II. erklärte in "Ordinatio sacerdotalis" (1994), dass die Kirche "keinerlei Vollmacht hat, Frauen die Priesterweihe zu spenden, und dass sich alle Gläubigen der Kirche endgültig an diese Entscheidung zu halten haben". Beendet hatte er die Diskussion damit allerdings nicht – man möchte beinahe sagen: ganz im Gegenteil. Die Glaubenskongregation sah sich im Jahr darauf zu einer Erklärung genötigt: Das Nein zur Priesterweihe für Frauen gehöre zum Glaubensgut der Kirche, sei also keine Disziplinfrage wie der Zölibat für Männer. Ob das einen Karl Rahner überzeugt hätte? Er selbst kann zwar nicht mehr darauf antworten – seine Argumente haben jedoch bis heute Gewicht.

Von Christoph Paul Hartmann

Buchtipp

Anita Röper: "Ist Gott ein Mann?", Düsseldorf 1979