Karl Marx und die Neue Rheinische Zeitung: Das Proletariat? Aber wo ist es?
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Karl Marx und die Neue Rheinische Zeitung: Das Proletariat? Aber wo ist es?

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Karl Marx und Friedrich Engels mit einer Ausgabe der Neuen Rheinischen Zeitung.
Karl Marx und Friedrich Engels mit einer Ausgabe der Neuen Rheinischen Zeitung. © Imago

Heute vor 175 Jahren erscheint in Köln die erste Ausgabe der Neuen Rheinischen Zeitung, mit der Karl Marx als Chefredakteur und Friedrich Engels die Welt verändern wollen.

In einem Artikel von 1884 beschrieb Friedrich Engels die Situation der Neuen Rheinischen Zeitung: „So fingen wir am 1. Juni 1848 an, mit einem sehr beschränkten Aktienkapital, von dem nur wenig eingezahlt war, und die Aktionäre selbst mehr als unsicher. Gleich nach der ersten Nummer verließ uns die Hälfte, und am Ende des Monats hatten wir gar keine mehr. Die Verfassung der Redaktion war die einfache Diktatur von Marx.“

Das ist der Ton – ein demonstrativ ausgestellter Realismus -, der über Jahrzehnte so großen Einfluss auf die deutsche Linke haben sollte. Marx und Engels setzten auf die Wissenschaftlichkeit ihrer revolutionären Theorie. Sie hielten nichts von bloßer Empathie. Ein Großteil ihrer bisherigen Arbeit hatte in der Kritik des utopischen, des emotionalen Sozialismus bestanden. Ihre Hemdsärmeligkeit und ihr Vergnügen am Konflikt mit Freunden war geradezu so etwas wie ihr Markenzeichen. Die Begabung zur Polemik ist kein Nachteil für einen Journalisten. Schon garnicht, wenn er die Chance hat, mitten in einer Revolution über eine Zeitung zu verfügen.

Im Februar hatten die beiden ihrem „Bund der Kommunisten“ ein Programm gegeben: Das „Kommunistische Manifest“, einer der erfolgreichsten Texte des 19. Jahrhunderts. Er sagte der sich gerade erst herausbildenden Bourgeoisie an, dass sie dem Ansturm der Proletarier, die sie selbst erst heranzuzüchten sich aufmachte, erliegen werde. Nicht in hundert Jahren, sondern womöglich noch in diesem.

Das war ein Irrtum. Die Zeitung betrachteten Marx und Engels als ein Instrument, ihre Ideen unter die Leute zu bringen. Aber die Zeitung war auch eines, das sie mit den Realitäten schmerzhaft vertraut machte.

Die Neue Rheinische Zeitung erschien in Köln. In der Hauptstadt der damals wirtschaftlich fortgeschrittensten Region der deutschen Staaten. Aber selbst hier war nicht wenig zu sehen von einem Proletariat. Es gab noch nicht einmal eine ökonomische Basis für die Zeitung.

Anzeigen gab es so gut wie keine. Zeitungen lebten damals von ihren Käufern. Sechstausend Exemplare soll die Neue Rheinische Zeitung verkauft haben. Das genügte natürlich nicht, um Redaktion, Papier, Druck und Vertrieb zu finanzieren. Angesichts der damaligen Verkehrsverhältnisse war eine Erweiterung des Verbreitungsgebiets kaum möglich. Bereits in Frankfurt am Main gab es nur die Neue Rheinische Zeitung vom Vortag. Marx steckte eigenes Geld in die Zeitung. Die Druckmaschine kaufte er.

Diese Situation hatte redaktionelle Folgen. Das begann damit, dass es kaum Angestellte gab. Acht Redakteure machten die Zeitung. Wer von ihnen wirklich in der Redaktion saß und Artikel schrieb, ist nicht mehr zweifelsfrei festzustellen. Die Hauptarbeit lag wohl bei Marx und Engels. Georg Weerth machte das Feuilleton, Ferdinand Freiligrath stellte Gedichte zur Verfügung. Die Zeitung bestand im Wesentlichen aus langen Artikeln, ja ganzen Serien von Artikeln, die wir heute „Hintergrund“ nennen würde. Dazu wurden die Leser – soweit ich sehe niemals die Leserinnen – immer wieder aufgefordert, sich bereit zu halten für die bald einsetzende Revolution.

Und worum ging es den Zeitungsmachern? Engels beschrieb das 1884 so: „Das politische Programm der „Neuen Rheinischen Zeitung“ bestand aus zwei Hauptpunkten: Eine, einige, unteilbare, demokratische deutsche Republik und Krieg mit Rußland, der die Wiederherstellung Polens einschloß.“ Von proletarischer Revolution ist in der Rückschau nicht mehr die Rede. Die von Engels betonte Einigkeit darf man sich nicht als Kompromiss vorstellen.

Engels erinnert daran, dass die kleinbürgerlichen Demokraten – andere gab es so gut wie nicht – in Deutschland sich in zwei Lager teilten. Da waren die Norddeutschen, die sich auch unter einem preußischen „Kaiser“ - so schrieb er 1884 – wohlgefühlt hätten und die Badischen, denen eine föderative, an der Schweiz orientierte, Lösung vorschwebte. „Das Interesse des Proletariats verbot ebensosehr die Verpreußung Deutschlands wie die Verewigung der Kleinstaaterei. Es gebot die endliche Vereinigung Deutschlands zu einer Nation, die allein den von allen überkommenen kleinlichen Hindernissen gereinigten Kampfplatz herstellen konnte, auf dem Proletariat und Bourgeoisie ihre Kräfte messen sollten.“

Diesen Kampfplatz hat es bis heute nirgendwo gegeben. Eine rein proletarische Revolution hat auf dem Globus noch nicht stattgefunden. Die Zeit des Proletariats, die sich damals ankündigte, ist vorbei. Nicht weil Ausbeutung und Vernichtung beendet wären, sondern weil sie dabei sind, wieder einmal ihre Methoden zu ändern. Die Revolutionen des 20. Jahrhunderts waren keine proletarischen. Es waren Revolutionen der Bauern. „Das Kommunistische Manifest“ ist ein Hymnus auf einen Gott, der niemals kam. Vielleicht verdankt es gerade dieser Tatsache seinen auch heute noch wirkenden ästhetischen Reiz: eine offensichtlich gescheiterte Hoffnung aufbewahrt in einem unerschrockenen Blick auf die Tatsachen.

Wer in den 60er und 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts Karl Marx las, der tat es oft in Schulungen. Dort wurde gerne „Lohnarbeit und Kapital“ gelesen. Ich erinnere mich noch an das Ächzen und Stöhnen, mit dem wir auf die Marxsche „Anstrengung des Begriffs“ reagierten. Hier wurde der Erzählstrom, der das Kommunistische Manifest durchzieht, gestoppt. Jedes Wort hatte eine Bedeutung. Eine neue, genau definierte, die man nur exakt so verwenden durfte. Wie viel Stunden wurden verbracht mit der Bemühung, zu verstehen, was Marx mit „Wert“ meinte. „Lohnarbeit und Kapital“, das unsere Köpfe zum Rauchen brachte, erschien das erste Mal in der Neuen Rheinischen Zeitung. In einer Folge von Leitartikeln, die das Proletariat aufklären sollte über seine Lage und wie es aus ihr herauskäme. Ein Meisterstück unfreiwilligen Humors. Es zeigte nämlich vor allem Karl Marx bei dem vergeblichen Versuch, aus den eigenen begrifflichen Verwirrungen herauszufinden. Als Engels dann später eine Neuauflage herausbrachte, griff er beherzt in die Marxxschen Konstruktionen ein. Was hat es mit dem zweiten Punkt des von Engels konstatierten Programms der Neuen Rheinischen Zeitung auf sich? Krieg gegen Russland?

Engels erläuterte das so: „Die auswärtige Politik war einfach: Eintreten für jedes revolutionäre Volk, Aufruf zum allgemeinen Krieg des revolutionären Europas gegen den großen Rückhalt der europäischen Reaktion – Rußland. Die Ereignisse von Wien, Mailand, Berlin mußten den russischen Angriff verzögern, aber sein endliches Kommen wurde um so gewisser, je näher die Revolution Rußland auf den Leib rückte. Gelang es aber, Deutschland zum Krieg gegen Rußland zu bringen, so war es aus mit Habsburg und Hohenzollern, und die Revolution siegte auf der ganzen Linie.“

Nichts davon trat ein. Die Polen hatte Engels dann auch vergessen. Wie er auch vergessen hatte, dass nicht nur Russland sich auf dem Territorium der einstigen Adelsrepublik Polen breitgemachte hatte, sondern auch Preußen und Österreich. Die Zerstörung Polens war deren gemeinsames Werk. Die Wiederherstellung Polens konnte nicht das Ergebnis eines Krieges allein gegen Russland sein. Sie setzte die Zerstörung der Herrschaftsverhältnisse in Preußen und Österreich voraus. Der Krieg gegen Russland war kein Mittel zur Förderung der Revolution. Er wäre nur möglich gewesen nach deren Sieg.

„Am 19. Mai 1849 stellte die Neue Rheinische Zeitung nach 301 Ausgaben mit einer ganz in rot gedruckten Ausgabe ihr Erscheinen ein, nachdem die letzten Aufstände der Märzrevolution im Rheinland niedergeschlagen worden waren. Marx, Dronke und Weerth wurden als Nichtpreußen des Landes verwiesen.“ (Wikipedia) Zu den Kleinanzeigen in der letzten Ausgabe der Neuen Rheinischen Zeitung gehörten nicht nur ein Hinweis auf die Abbonementsbedingungen der Kölnischen Zeitung, sondern auch diese Zeilen: „Am Dienstag den 22. Mai 1849, Vormittags 10 Uhr, wird der Unterzeichnete auf dem Altenmarkte zu Köln, Tische, Stühle, einen Ofen, einen Kleiderschrank etc., gegen baare Zahlung öffentlich meistbietend verkaufen. Der Gerichtsvollzieher, Simons.“

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