Streit um Abspaltung: Linken-Spitze "stinksauer" auf Wagenknecht | BR24
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Streit um Abspaltung: Linken-Spitze "stinksauer" auf Wagenknecht

Geht sie oder bleibt sie? Sahra Wagenknecht denkt laut darüber nach, eine eigene Partei zu gründen. Jetzt hat die prominente Bundestagsabgeordnete zum ersten Mal einen Zeitplan genannt. Was das für die Linke bedeutet – eine Analyse.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Martin Schirdewan gilt in Berlin als Mann des Ausgleichs und der leisen Töne. Doch bei dieser Pressekonferenz im Karl-Liebknecht-Haus, der Parteizentrale der Linken, platzt es aus ihm heraus: "Stinksauer" sei er wegen der andauernden Spekulationen über eine Parteiabspaltung, sagt der Co-Chef der Linken. Das jüngste Interview von Sahra Wagenknecht zum Thema nennt er "verantwortungslos", "parteischädigend" und "respektlos gegenüber den vielen Tausend Mitgliedern vor Ort, die sich tagtäglich für die Linke einsetzen".

Linken-Spitze verstärkt Druck auf Wagenknecht

Bemühungen, die die prominente Bundestagsabgeordnete aus Sicht von Schirdewan mit ihrem Verhalten untergräbt: "Das muss sofort beendet werden." Wagenknecht ruft er dazu auf, "sich jetzt eindeutig von ihrer Idee der Gründung einer Konkurrenzpartei" zu distanzieren oder die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen – sprich: von sich aus der Linken den Rücken zu kehren.

Schirdewan: "Das kann die Partei nicht zulassen"

Natürlich weiß Schirdewan, dass solche Forderungen Wagenknecht bisher eher nicht beeindruckt haben. Deshalb schiebt er diesen Satz nach: Es könne nicht angehen, dass die Ressourcen von Partei und Fraktion für Pläne zur Gründung einer konkurrierenden Partei genutzt werden. Ein solches Vorgehen sei "mit der Ausübung eines Mandats für die Partei nicht vereinbar. Und das kann und wird die Partei auch nicht zulassen", so Schirdewan.

Riexinger im Zweifel für Parteiausschluss

Noch deutlicher wird einer seiner Vorgänger. Bernd Riexinger verlangt einen Parteiausschluss, falls auf die jüngsten Ankündigungen von Wagenknecht konkrete Schritte hin zu einer Neugründung folgen. Auf Twitter schreibt er, dann dürfe es für Wagenknecht "keinen Platz mehr in Partei und Fraktion geben".

Die Hürden für einen Parteiausschluss sind allerdings hoch. Laut Bundessatzung der Linken setzt ein solcher Schritt voraus, dass das betreffende Mitglied "vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen Grundsätze oder Ordnungen der Partei verstößt und ihr damit schweren Schaden zufügt". Die Entscheidung darüber liegt bei einer Schiedskommission.

Bei Schröder liegen die Dinge anders

Wie schwer der Vorwurf parteischädigenden Verhaltens zu begründen ist, zeigt beispielsweise der Fall von Gerhard Schröder. Der Altkanzler wehrt sich dagegen, wegen seiner engen Verbindungen zu Russland aus der SPD geworfen zu werden – bisher mit Erfolg. Anders als Wagenknecht hat Schröder aber nie damit geliebäugelt, eine neue Partei zu gründen, die in Konkurrenz zu seiner bisherigen stünde.

Wagenknecht will Klärung in den nächsten Monaten

Insofern hat Wagenknecht mit ihrem jüngsten Interview zu einer etwaigen Neugründung ihren innerparteilichen Gegnern im Karl-Liebknecht-Haus durchaus Argumente geliefert. Noch zu Monatsbeginn beantwortete sie die Frage nach einer neuen Partei im Interview mit der Zeitung "Rheinpfalz" eher ausweichend: "Darüber wird an vielen Stellen diskutiert."

Doch am zurückliegenden Wochenende wurde ein ZDF-Interview bekannt, in dem sie offen über ihre Pläne spricht – und erstmals einen Zeitplan nennt: "Ich gehe davon aus, dass innerhalb des nächsten Dreivierteljahres – maximal eines Jahres – die Entscheidung […] fallen wird." Das allerdings könnte bedeuten, dass sich der Streit zwischen Wagenknecht und großen Teilen ihrer Partei noch monatelang hinzieht. Dabei hat die Abgeordnete längst klargestellt, dass sie bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr für die Linke kandidieren wird.

Wagenknecht will Scheitern verhindern

Wagenknecht begründet ihr Zögern damit, dass eine Parteigründung an bestimmten Voraussetzungen hänge – etwa an funktionierenden Strukturen und einem "verlässlichen Team", das den Aufbau organisiert: "Die Erwartung, man könnte – selbst wenn man sich entschieden hätte – mal eben so eine Partei aus der Taufe heben, […] das wäre zum Scheitern verurteilt."

Ob Wagenknechts jüngste Äußerungen zu einer Neugründung die Stimmung in der Partei zu ihren Ungunsten drehen, ist offen. Das Verhältnis zur Parteispitze ist ohnehin zerrüttet, und auch auf Funktionärsebene hat Wagenknecht keinen großen Rückhalt mehr. Doch große Teile der Parteibasis halten nach wie vor zu ihr – und ihre mediale Strahlkraft ist ungebrochen.

Fraktionsstatus der Linken steht möglicherweise auf dem Spiel

Falls Wagenknecht die Partei nach einer Neugründung von sich aus verlässt, hätte das möglicherweise auch Konsequenzen für die Linke im Bundestag: Gingen nur drei weitere Abgeordnete mit, wäre der Fraktionsstatus verloren. Denn dann wäre die Mindestgröße von 36 Mandatsträgern unterschritten, die sich aus der Geschäftsordnung des Bundestags für Fraktionen ergibt. In diesem Fall könnte die Linke im Parlament nur noch als Gruppe agieren – mit weniger Geld und Ressourcen.

Fazit: Eine Trennung von Sahra Wagenknecht wäre für die Linke wohl mit hohen politischen Kosten verbunden. Der Dauerstreit aber lähmt die Partei seit Monaten. Ein Dilemma, das sich nur schwer auflösen lässt.

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