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* 18.10.1864 in Prag, † 17.10.1938 in Amsterdam ∎ Politiker, Ökonom und Publizist ∎ bedeutender Theoretiker des Marxismus und der Sozialdemokratie

Leben & Karriere

  • Nach dem Besuch des Gymnasiums in Melk (Österreich) von 1864 bis 1866 studierte Kautsky von 1874 bis 1878 Geschichte, Nationalökonomie, Philosophie und Rechtswissenschaften in Wien.

  • Als Student trat er 1875 der Sozialdemokratischen Partei Österreichs bei und publizierte zahlreiche Artikel für sozialdemokratische Zeitungen.

  • Von 1880 bis 1882 war er Mitarbeiter des Verlegers und Publizisten Karl Höchberg in Zürich, wo er auch Bekanntschaft mit Bernstein, Bebel und W. Liebknecht machte und sich mit den Zielen der Sozialdemokratie vertraut machte.

  • Als K. 1881 nach London reiste, lernte er →K. Marx und →F. Engels kennen, die für lange Jahre seine Entwicklung beeinflussten. Bis 1885 arbeitete K. eng mit Engels zusammen.

  • 1882 schlug K. dem sozialistischen Verleger J. H. W. Dietz die Herausgabe einer marxistischen Zeitschrift vor. Ein Jahr später (1883) wurde K. Chefredakteur dieser in Stuttgart gegründeten Zeitschrift mit dem Titel Die Neue Zeit (NZ), die sich unter seiner Leitung zum führenden marxistischen Organ der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung entwickelte.

  • 1885 übersiedelte K. mit der Redaktion der NZ nach London und kehrte fünf Jahre später – nach der Aufhebung der Sozialistengesetze in Deutschland – nach Deutschland zurück. Während dieses Aufenthalts in London entwickelte sich K. zum Marxisten. Im Dezember 1898 schrieb er im Vorwort zur Agrarfrage: „Meine Sympathien gehörten in den Anfängen meiner Beschäftigung mit dem Sozialismus durchaus nicht dem Marxismus. Ich trat ihm ebenso kritisch und zweifelnd entgegen, … Nur widerstrebend wurde ich Marxist.“

  • 1891, nach seiner Übersiedlung nach Berlin, verfasste K. den Entwurf des Erfurter Programms der SPD. Mit diesem Parteiprogramm kehrte die SPD (nach reformistischen Ansätzen des Gothaer Programms) teilweise wieder zu marxistischen Positionen zurück. Für den theoretischen Teil des Programms hat K. – nach eigener Aussage – Teile des Marx’schen Kapitals zusammengefasst. In den folgenden Jahren wich K. immer mehr davon ab und vertrat zunehmend zentristische Positionen. So stand er schließlich innerhalb der SPD in Distanz zur Parteirechten wie zur Parteilinken.

  • Nach der Spaltung der SPD wurde K. 1917 Mitglied der USPD, kehrte aber 1922 in die SPD zurück. Nach der Oktoberrevolution lehnte K. den orthodoxen Marxismus der Bolschewiki ab und wurde zum Gegner Sowjetrusslands. Er vertrat die Auffassung, dass ein Sozialismus ohne Demokratie denaturieren und zur Gewaltherrschaft führen müsse.

  • Im August 1924 ging K. nach Wien, wo er schriftstellerisch tätig war. Hier verfasste er bedeutende Werke, wie z. B. Sozialisten und Krieg und Die materialistische Geschichtsauffassung.

  • Nach dem Einmarsch deutscher Truppen emigrierte er 1938 nach Amsterdam.

Werk & Wirkung

  • Kautsky verfasste eine Vielzahl von Büchern, Broschüren und Aufsätzen, die zum Ziel hatten, den Marxismus zu popularisieren. So schrieb er rückblickend in einem Brief an Engels: „Mein Lebenswerk stand 1883 fest“, nämlich „die Propagierung, Popularisierung und, soweit meine Kräfte reichten, Fortführung der wissenschaftlichen Resultate Marxschen Forschen und Denkens“ (zit. n. Koth, S. 46).

  • Von 1883 bis 1917 war K. Chefredakteur der Neuen Zeit. Er strebte danach, in der N. Z. „ein Bild der gesamten internationalen Arbeiterbewegung zu geben“ (zit. n. Koth, S. 72). Er verfasste zahlreiche Artikel zu einer Vielzahl von Themen, die auf umfangreichen Recherchen beruhen und in einem aufklärerischen und einfachen Stil verfasst sind, ohne jedoch primitiv zu wirken. In dieser Phase galt K. international als angesehener marxistischer Theoretiker und als „Nachfolger“ Engels.

  • Ab 1887 wurde K. vom Dietz Verlag die Aufgabe anvertraut, die Internationale Bibliothek herauszugeben. Im selben Jahr erschien in dieser Reihe sein populärwissenschaftliches Werk Karl Marx’ ökonomische Lehren, „eine Schrift, welche die ökonomischen Lehren von Marx kurz zusammenfaßt, allgemein verständlich darstellt und erläutert“, wie K. im Vorwort zur ersten Auflage schreibt. Weiter heißt es dort, diese „soll nicht nur eine Darstellung der Marx’schen Lehren, sondern auch ein Leitfaden zu dem Studium der Marx’schen Werke im Original sein.“ Mit der knapp 270 Seiten umfassenden Schrift machte K. das Das Kapital einer breiten Öffentlichkeit bekannt und trug wesentlich zu einer Verbreitung des wissenschaftlichen Sozialismus bei. Bis 1914 wurde das Buch, von dem Engels meinte, es sei „nicht schlecht, wenn auch nicht immer ganz richtig“, in elf Sprachen übersetzt und 1930 erschien die 25. Auflage.

  • 1899 erschien sein Werk Die Agrarfrage, in der er die Entwicklung der Landwirtschaft unter kapitalistischen Bedingungen analysiert. In der Einleitung schreibt K., man müsse „alle die Veränderungen untersuchen, denen die Landwirthschaft im Laufe der kapitalistischen Produktionsweise unterliegt. Wir müssen untersuchen, ob und wie das Kapital sich der Landwirthschaft bemächtigt, sie umwälzt, alte Produktions- und Eigenthumsformen unhaltbar macht und die Nothwendigkeit neuer hervorbringt“, um zu sehen, „ob die Marxsche Theorie in der Landwirthschaft anwendbar ist, oder nicht, und ob die Aufhebung des Privateigenthums an den Produktionsmitteln gerade vor dem vornehmsten aller Produktionsmittel, dem Grund und Boden, Halt zu machen hat.“ Lenin kam in einer Rezension zu der Einschätzung, dass die Agrarfrage „die hervorragendste Erscheinung der neuesten ökonomischen Literatur“ sei.

  • Von 1905 bis 1910 gab K. den von Marx geplanten, jedoch nicht verwirklichten „vierten Band“ des Kapitals – die Theorien über den Mehrwert – heraus. Allerdings nahm K. eigenwillige Veränderungen in der ursprünglichen Konzeption vor, sodass diese Ausgabe Mängel aufweist.

  • K. gilt nach →Marx und Engels als der bedeutendste Theoretiker des Marxismus. Allerdings müssen sein Werk und Wirken in ihren historischen Dimensionen betrachtet werden. Nach →Lenin sei zwischen drei Schaffensperioden zu unterscheiden: einer marxistischen, einer zentristischen und einer antikommunistischen. Zwoch sieht in K. den „bedeutendsten sozialistischen Theoretiker“; demgegenüber trete seine Bedeutung als Wirtschaftswissenschaftler zurück. „Das größte und bleibende Verdienst des marxistischen Theoretikers, sozialistischen Gesellschaftsphilosophen und Historikers Kautsky“ liege darin, „mit seinen geschichtlichen Untersuchungen den Boden für die Auffassung bereitet zu haben, daß alle politischen und ökonomischen Begriffe, Vorstellungen und Erkenntnisse im Marxismus nur als historische Kategorien gesehen werden dürfen, die jeweils auf ihre soziologische Bedingtheit zurückgeführt und aus ihr heraus verstanden werden müssen“ (Zwoch, in: HdSW, Bd. 5, S. 603). Schumpeter würdigt K.s Werk, obwohl sich in seinen Schriften „nichts eigentlich Originelles“ findet, als eine „historisch bedeutsame Leistung“ (S. 1074).

Wichtige Publikationen

  • Karl Marx’ ökonomische Lehren, 1887

  • Das Erfurter Programm in seinem grundsätzlichen Teil erläutert, 1892

  • Die Vorläufer des neueren Sozialismus, 1895

  • Die Agrarfrage: Eine Uebersicht über die Tendenzen der modernen Landwirthschaft und die Agrarpolitik der Sozialdemokratie, 1899

  • Die Soziale Revolution, 1902

  • Die Diktatur des Proletariats, 1918

  • Die materialistische Geschichtsauffassung, 1927