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Zweiter Weltkrieg Karl Dönitz

So radikal war Hitlers Nachfolger

Der letzte Reichspräsident gilt weithin als unbescholtener Marine-Offizier. In Wirklichkeit war Großadmiral Karl Dönitz bis zum 30. April 1945 ein fanatischer Hitler-Anhänger. Erst dann befreite er sich von seinem Dämon.
Leitender Redakteur Geschichte
Kombo Karl Dönitz Kombo Karl Dönitz
Selbstopfer für den "Führer": Hitler und Admiral Karl Dönitz
Quelle: pa/getty

Der Satz war so klar wie rätselhaft: „Ich ernenne an Stelle dessen den Großadmiral Dönitz zum Reichspräsidenten und Obersten Befehlshaber der Wehrmacht“, diktierte Adolf Hitler am frühen Morgen des 29. April 1945 seiner Sekretärin Traudl Junge. Das „an Stelle dessen“ im sogenannten Politischen Testament bezog sich auf Hermann Göring, den eigentlich designierten Nachfolger, dem Hitler jedoch noch vor der Ernennung von Dönitz „alle Rechte“ entzog.

Karl Dönitz also. Ein vermeintlich unbescholtener Marineoffizier. Scheinbar ein Repräsentant des „alten“ Offizierskorps, der seine Karriere noch in der Kaiserzeit begonnen hatte. Der auch nach dem Krieg im Nürnberger Prozess zu „nur“ zehn Jahren verurteilt wurde, die er bis auf den letzten Tag absaß.

Doenitz und U-Boot-Kommandant, Foto, 1944 Doenitz, Karl Grossadmiral (ab 1943 Oberbefehlshaber der Kriegsmarine, Mai 1945 Reichspraesi- dent; 1891-1980. - Doenitz, im Gespraech mit dem Komman- danten eines U-Bootes.- Foto (Weinkauf), 4. Dezember 1944. |
„Lieber ehrenvoll untergehen als die Flagge streichen": Dönitz mit einem heimgekehrten U-Boot-Kommandanten 1944
Quelle: picture-alliance / akg-images

Die Ernennung von Dönitz war auch überraschend, war er doch nie der NSDAP beigetreten – allerdings hatte Hitler ihn 1944 durch Verleihung des Goldenen Parteiabzeichens zum Mitglied ehrenhalber gemacht, mit der PG-Nummer 9.664.999. Doch andererseits war es fast zwangsläufig, denn auch ohne selbst einen Beitrittsantrag ausgefüllt zu haben, agierte Dönitz stets als überzeugter Nationalsozialist. Und zudem als glühender Anhänger von Hitlers Maxime des Kampfes bis zum Untergang.

Dönitz, 1891 bei Berlin geboren, trat 1910 als Offiziersanwärter in die damalige Kaiserliche Marine ein. Zu seinem Jahrgang gehörte der vier Monate jüngere Martin Niemöller. Beide meldeten sich im Ersten Weltkrieg freiwillig zur stark ausgebauten U-Boot-Waffe, dienten auch ein halbes Jahr gemeinsam an Bord von „U-39“. Dann übernahmen beide eigenständige Kommandos.

Während Niemöller nach der Niederlage 1918 aus der Marine ausschied (allerdings Freikorpsoffizier wurde, Antirepublikaner blieb und sich als erzreaktionärer Pfarrer profilierte), blieb Dönitz trotz der demütigenden Revolution Berufsoffizier. Nun machte er rasch Karriere – jedenfalls für die Verhältnisse der gerade einmal 15.000 Mann starken Reichsmarine: Der Oberleutnant zur See wurde 1921 Kapitänleutnant und 1928 zum Korvettenkapitän befördert.

Admiral Karl Dönitz, Kriegsmarine, Ritterkreuzträger, Befehlshaber der U Boote, II. WK | Verwendung weltweit
Karl Dönitz (1891-1980) als Befehlshaber der U-Boote im April 1940
Quelle: picture alliance / arkivi

Dönitz galt als „Führernachwuchs“; skeptisch war allein der viereinhalb Jahre ältere Marineoffizier (und Geheimagent) Wilhelm Canaris. Er bemängelte den Ehrgeiz und das Geltungsbedürfnis des jüngeren Offiziers. Dönitz hielt immer die traditionelle Vorstellung des „mit der Flagge untergehen“ hoch. Noch 1943 drohte er einem U-Boot-Kommandanten, der in aussichtsloser Lage kapituliert und seine Besatzung gerettet hatte, nach dem „Endsieg“ eine Bestrafung an: „Lieber ehrenvoll untergehen als die Flagge streichen.“

In der Weimarer Republik hatte Karl Dönitz wie alle Angehörigen der Reichswehr (zu der auch die Reichsmarine gehörte), kein Wahlrecht und durfte auch keiner Partei beitreten. Daher stellte sich für ihn nie die Frage, wie er zur NSDAP stand. Sein Jahrgangskamerad Niemöller dagegen wählte seit 1924 die Hitler-Bewegung und begrüßte Anfang 1933 Hitlers Ernennung zum Reichskanzler.

Mit der massiven Aufrüstung der deutschen Streitkräfte ab 1933 eröffneten sich auch für Dönitz große Karrierechancen. 1935 übernahm er die Aufgabe, eine neue deutsche U-Boot-Waffe aufzubauen – der Versailler Vertrag hatte der Reichsmarine Unterwassereinheiten verboten, doch Hitler hielt sich daran nicht mehr.

Admiral Donitz, commander of U-boat fleet, received by Hitler 23rd June 1942 Germany / Mono Print |
Selbstopfer für den "Führer": Hitler und Dönitz 1942
Quelle: picture-alliance / United Archiv

Ab Anfang 1936 trug Dönitz den Titel „Führer der U-Boote“ und schickte zwei seiner modernsten Boote vom Typ VII-a, U-33 und ZU-34, auf einen „schwarzen Einsatz“ in den Spanischen Bürgerkrieg. Das wurde erst 1991 aufgedeckt; der frühere „Führer der U-Boote“ hatte nach 1945 wahrheitswidrig stets jede Kenntnis dieses Einsatzes bestritten.

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Nach Kriegsbeginn 1939 wurde seine Dienststelle in „Befehlshaber der U-Boote“ umbenannt, bekam also den gleichen Titel wie 1917/18. Dönitz war inzwischen Konteradmiral und faktisch der zweite Mann der Kriegsmarine nach Großadmiral Erich Raeder, dem 15 Jahre älteren, in anderen Dimensionen denkenden Oberbefehlshaber.

Raeder setzte auf Überwasserschiffe, Dönitz auf U-Boote. Die ersten anderthalb Jahre des Krieges zeigten, dass Raeders Konzept falsch war. Die „Graf Spee“ versenkte sich in aussichtsloser Lage vor Montevideo selbst, die „Blücher“ ging bei der Invasion Norwegens verloren, die „Bismarck“ wurde im Mai 1941 von der Royal Navy versenkt.

Dagegen erzielten die U-Boote ab 1940 durchaus relevante Erfolge: Bis Anfang 1943 stiegen die Verluste der Alliierten auf dem Atlantik in sehr schmerzhafte Größenordnungen. Das hatte zur Folge, dass Hitler am zehnten Jahrestag seiner Ernennung zum Reichskanzler den schneidigen U-Boot-Admiral zum Oberbefehlshaber der Kriegsmarine beförderte.

1089 3 rotor Enigma image ii One of the rarest of all Enigma Machines, the M4 designed for use by the German Navy during World War II, leads Bonhams History of Science and Technology Sale in New York on 7 December. The fully operational machine dating from 1943 is estimated at US$280,000- 350,000. The M4 Naval Enigma (pictured, above left) was ordered in 1941 when the head of the German Navy Admiral Karl Doenitz believed, correctly, that the security of the Naval M3 Engima had been compromised. The M4 was reserved for deployment by U-boat forces on land and at sea to enable the Naval High Command to communicate securely with the U-Boat fleet. The machine in the sale is in fine condition and is, therefore, believed to have been used from a base on shore rather than from a U-Boat. |
„Der vermutlich gröbste Chiffrierfehler des Krieges“: eine deutsche Enigma-Maschine
Quelle: picture alliance / Photoshot

Ausgerechnet diese Ernennung, genauer: die Mitteilung darüber an alle Schiffe der Kriegsmarine, erwies sich als Katastrophe. Denn die Information wurde am 30. Januar 1943 chiffriert mit der Enigma gesendet – und wenig später wortgleich, aber natürlich unverschlüsselt vom Deutschen Nachrichtenbüro verbreitet.

Der Enigma-Experte Michael Pröse nennt diesen Funkspruch „den vermutlich gröbsten Chiffrierfehler des Krieges“. Denn er gab den britischen Codeknackern in Bletchley Park perfektes Material, die Marine-Enigma zu analysieren und bald zu brechen.

Nun wendete sich das Blatt. Obwohl es Warnungen gab, hielt Dönitz an dem Verschlüsselungsverfahren fest. Das führte zu steigenden, bald zu extremen Verlusten von U-Booten. Der Oberbefehlshaber reagierte darauf mit Durchhalteparolen und schickte immer mehr junge Männer in einen nahezu sicheren Tod. Gleichzeitig beförderte er das Vorhaben, „Kleinkampfmittel“ wie Sprengboote und bemannte Torpedos zu entwickeln.

Im Gegensatz zu den britischen und italienischen Vorbildern solcher Taktiken, deren Besatzung zwar hohe Risiken eingingen, war die unausgesprochene Idee bei der Kriegsmarine das Selbstopfer. Das wurde zwar nur verbrämt ausgedrückt, aber doch unter Marineoffizieren verständlich.

Nazi-U-Boot laut Medien bei Istanbul wiederentdeckt

Das Unterwasserfahrzeug soll 1944 auf Befehl von Dönitz vom eigenen Kapitän im Schwarzen Meer versenkt worden sein. Die Experten der türkischen Marine wollen die "U-23" nordöstlich von Istanbul entdeckt haben.

Quelle: Reuters

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Kurz vor der Normandie-Invasion am 6. Juni 1944 gab Dönitz zum Beispiel folgenden Befehl aus: „Das U-Boot, das dem Feinde bei der Landung Verluste beibringt, hat seine höchste Aufgabe erfüllt und sein Dasein gerechtfertigt, auch wenn es dabei bleibt.“ Die Seekriegsleitung, Dönitz’ Stab, fantasierte ganz im Stile Hitlers von einem „wuchtigen Waffengang“ im Westen, der die „schnelle Entscheidung des Krieges“ herbeiführen würde.

Das war natürlich eine Selbsttäuschung. Doch Dönitz hielt daran Monat für Monat fest – selbst noch am 25. April 1945, als er Hitler meldete, die Kriegsmarine können 9200 Mann zur Verteidigung der Reichshauptstadt bereitstellen, davon 7000 Mann sofort. Gegen mindestens zehnmal so viele und wesentlich besser ausgestattete Rotarmisten, die längst die nördlichen Stadtteile Berlins erobert hatten.

Der ehemalige deutsche Großadmiral Karl Dönitz in seinem Haus in Aumühle. 1981. |
Karl Dönitz kurz vor seinem Tod 1980 in Aumühle bei Hamburg. Die Beisetzung erfolgte ohne militärische Ehren der Bundeswehr
Quelle: picture alliance / IMAGNO/Votava

Am gleichen Tag übrigens verweigerte Dönitz den Abtransport von Flüchtlingen aus Mecklenburg nach Schleswig-Holstein über Wasser, wegen angeblichen „Brennstoffmangels“. Gleichzeitig befahl er, die 7. Infanteriedivision aus Südnorwegen abzuholen.

Vermutlich war es Dönitz’ Entsatzangebot, das ihm die Ernennung zu Hitlers Nachfolger einbrachte. In seinem letzten Funkspruch an den Führerbunker versprach der künftige Reichspräsident noch, „diesen Krieg so zu Ende zu führen, wie es der einmalige Heldenkampf des deutschen Volkes“ verlange.

Dann, nach der zunächst streng geheimen Nachricht von Hitlers Selbstmord, die am Abend des 30. April 1945 bei Dönitz eintraf, schien „die suggestive, ja dämonische Wirkung, mit der Hitler über Jahre hinweg das Denken und Handeln des Oberbefehlshabers der Kriegsmarine beeinflusst hatte, plötzlich abgefallen zu sein“. So urteilt der Marineoffizier und Militärhistoriker Werner Rahn. Es folgte 522 Stunden und 27 Minuten „Regierung Dönitz“.

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