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Die bittere Heimkehr der Jutta Wachowiak

Sie war ein Star der DDR-Bühne und der Defa. Und sie gehörte zu den Organisatoren der Demonstration, die das Ende der DDR einleitete. 2006 wurde Jutta Wachowiak aus "ihrem" Theater vergrault und ging nach Essen. Nun kehrt sie mit zurück nach Berlin und spielt in einer Inszenierung von Thomas Langhoff.

Nur ein paar Treppen noch, dann öffnet sich eine verkehrte Welt. Die Kantine des Berliner Ensembles leuchtet so frisch und seidenmatt, dass niemand auf die Idee kommen könnte, hierbei handele es sich um die schärfste Theaterhöhle der Hauptstadt, von Helene Weigel bestuhlt und von Brecht mit Aura ausgeschlagen. Heute blickt George Tabori mannigfach und in genialischer Zauselpose als neuer Hausheiliger von der Wand. Brecht? Müller? Gestern. Mittendrin sitzt eine Frau mit ergrautem Haar, die eigentlich auch nicht hierher gehört, sondern fast ihr ganzes Bühnenleben ein paar Straßen weiter, im Deutschen Theater, verbracht hat und dann ins Exil nach Essen getrieben wurde: Jutta Wachowiak. Auf dem Tisch liegt ein etwas zerlesener, zusammengerollter Hefter: "Dona Rosita oder die Sprache der Blumen" steht darauf. Das neu übersetzte Lorca-Stück, das Thomas Langhoff heute zur Premiere bringt.

Unter den Tabori-Bildern denkt Jutta Wachowiak darüber nach, wie es ihr geht mit dieser dreifachen Rückkehr: in eine Stadt, in der sie mehr als 30 Jahre lang Theater spielte, zu einem Regisseur, mit dem sie auch ein halbes Leben verbracht hat, und in ein Stück, mit dem alles begann. Seltsam sei das, sagt sie leise, und gibt zu, dass sie in den ersten drei Probenwochen sehr damit zu kämpfen hatte, all diese kleinen Stiche der Erinnerungen zu verarbeiten.

Alles war wieder da. Denn dieses mystische Lorca-Stück hat sie in ihrem Debütjahr am Deutschen Theater schon einmal gespielt hat - mit den "ganzen großen Weibern" des Hauses wie Inge Keller, Elsa Grube-Deister und Lisa Macheiner. Später war die Arbeit mit Langhoff immer elektrisierend, bis seine Regie an Spannung verlor und ihr Magnetfeld plötzlich zusammenbrach: "Ich war damals wirklich aus meiner Mitte herausgerückt und bin erst lange Zeit danach wieder bei mir angekommen. Ich musste mich fragen, welche Spielregeln ich akzeptieren kann und welche nicht."

Eine lautet: Theater muss an Menschen herankommen und nicht nur an die Feuilletons. Das hat sie immer eisern verteidigt. Deshalb ist es ihr auch "völlig schnuppe", wenn sich das Deutsche Theater nun "Theater des Jahres" an die Fassade pinselt. Als sie 2006 dort Abschied nahm, hatte sie eine schwere Zeit überstanden: "Die haben keine Gelegenheit ausgelassen, einem zu erkennen zu geben, dass sie einen für eine zwangsweise übernommene Altlast halten." Die Beschäftigungslosigkeit ist aber nicht der einzige Grund, warum sie Anselm Webers Angebot annahm und ihm nach Essen folgte.

Sie verstand das Theater der Jungen nicht mehr, übersah Signale und verließ oft genug missgelaunt die Proben. Die Schauspielerin, die mit bald 70 Jahren Erfahrungen weitergeben wollte, wurde selbst zur Lernenden. Bei Rafael Sanchez. Bei Roger Vontobel. Bei David Bösch. "Ich habe gemerkt, dass die jungen Regisseure die emotionalen Verquickungen genauso sehen wie ich, aber ganz andere Bilder dafür finden und es nicht so angriffig meinen, wie ich immer gedacht habe. Plötzlich war mein Zugang viel größer und wir konnten einander vertrauen", sagt sie.

Gerade bei Bösch durfte sie, die auf der Bühne immer verhärmt und sinnlich sein konnte, anmutig und barsch, eben diese Züge des Besonderen besaß, wenig davon zeigen. Er verlangte ein innerliches Spiel von ihr, ein Beben im tiefen Untergrund, ein Nichtspiel letztlich. Und er war kompromisslos Sie ließ sich darauf ein.

In Essen, wo Jutta Wachowiak niemand kennt, wo das Deutsche Theater Berlin und das Ost-Kino Lichtjahre entfernt scheinen, wo niemand weiß, dass sie dreizehn (!) Jahre Maria Stuart war, hier fühlt sie sich keinen Tag fremd: "Essen ist wirklich die DDRigste Ecke, die man sich denken kann. Die rennen da auch alle mit einem angeschlagenen Selbstbewusstsein herum und hatten auch einen Zusammenbruch zu verkraften. Und zwar schon viel, viel früher." Sie schätzt, dass Intendant Weber diese Seelenlage kennt und im besten Sinne "kostbares Stadttheater" macht. Ärgerlich nur, wenn die Stadtväter so gar nichts honorieren und den Intendanten förmlich aus der Stadt treiben.

Wenn Jutta Wachowiak ihr grandios strenges wie eindringliches "Iphigenie"-Solo zeigt, in dem sie fünffache Gestalt annimmt, kommen jeden Abend hundert Leute. Sie verstehen vielleicht nicht alles, aber sie zeigen der Schauspielerin da oben, dass sie durchhalten können und auf ihrer Seite stehen. Solche Momente machen sie sehr glücklich. Zwei Stücke noch, dann ist in Essen Schluss. Im Sommer will sie ihren Vertrag nicht mehr verlängern und auch der Weber-Truppe nicht nach Bochum folgen. Es reicht dann.

Jetzt aber ist sie zurück in einer Stadt, die sie selbst mit verändert hat. Als vor 20 Jahren in der DDR die Gruppe der Nein-Sager immer größer wurde, stieg Jutta Wachowiak von der Bühne und stand in vorderster Reihe. Sie erinnert sich, wie Michael Gwisdek bei einer Ensembleversammlung seinen Zwiespalt beschrieb: Man dürfe hier jeden Abend Heiner-Müller-Texte vortragen, für die ein Arbeiter auf der Straße verhaftet worden wäre.

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Sie verließ den Turm, organisiert die Demonstration vom 4. November mit und arbeitete später in der Kommission, die die brutalen Übergriffe von Polizei und Stasi auf die Oktober-Demonstranten untersuchen sollte: "Es war so unerträglich, dass niemand, wirklich niemand der Beteiligten einen Unrechtsgefühl hatte. Niemand hat gesagt: Es tut mir leid, ich hätte das nicht machen dürfen." Sie kennt diese Figuren aus ihren Stücken, weiß, wie es ist, wenn das Innere gegen die Konventionen rebelliert. Manchmal entscheiden sich diese Figuren für das Menschliche. Aber das gibt es eben nur im Theater.

Dann muss sie los, und man denkt, dass sie auf der Bühne manche Stücke regelrecht durchgespielt hat. Bei Tschechow war sie Dienerin und Herrscherin, und bei Lorca einst eine der Ayola-Mädchen, heute spielt sie die Tante. Vielleicht gibt es nichts schöneres, als ein Leben mit guten Stücken zu verbringen. Nein, sagt Jutta Wachowiak, "das gibt es nicht." Und strahlt über das ganze Gesicht.

Karten und Termin-Informationen: www.berliner-ensemble.de

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