Judy Winter: „Über die Integrität in diesem Beruf nachzudenken, ist sehr abhanden gekommen“
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Judy Winter: „Über die Integrität in diesem Beruf nachzudenken, ist sehr abhanden gekommen“

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Familie Bundschuh - Unter Verschluss
„Familie Bundschuh - Unter Verschluss“: Susanne (Judy Winter, l.) und ihr Freund Carlo (Rüdiger Vogler, r.) sind in ihrem Kellerversteck beim Tanzen und Kiffen von Gerald erwischt worden. © Stefan Erhard/ZDF

Interview mit Schauspielerin und Sängerin Judy Winter über die gemeinsame Zeit mit Peter Zadek, Simmel-Verfilmungen, „Familie Bundschuh“, Hunde im Film, Altersrollen im Fernsehen und künstlerische Integrität.

Die Schauspielerin, Chansonsängerin, Synchron- und Hörspielsprecherin Judy Winter (eigentlich Beate Marie Richard; geboren am 4. Januar 1944 in Friedland/Oberschlesien) begann ihre Karriere am Theater Ulm und am Theater Bremen unter der Regie von Kurt Hübner beziehungsweise Peter Zadek. Ihren Durchbruch hatte sie 1971 in den Johannes-Mario-Simmel-Verfilmungen „Und Jimmy ging zum Regenbogen“ und „Liebe ist nur ein Wort.“ Seit 1998 stand sie als Marlene Dietrich mehr als 600 Mal auf der Bühne. Nun gibt sie bereits zum siebten Mal die flotte Oma Susanne in der Reihe „Familie Bundschuh“.

Zu Beginn Ihrer Filmkarriere stehen zwei Johannes-Mario-Simmel-Adaptionen, die beide im Jahr 1971 für Aufsehen gesorgt haben: „Und Jimmy ging zum Regenbogen“ und „Liebe ist nur ein Wort“, die deutsche Antwort auf die „Love Story“. Was haben Sie zuerst gedreht?

Zuerst den „Jimmy“, dann „Liebe“. Doch zuvor ebenfalls unter der Regie von Alfred Vohrer einen Krimi fürs Kino, der Underground-Kult-Status hat: „Perrak“ mit Horst Tappert als Kommissar, eine Art Vorläufer von „Derrick“.

Vor allem das für damalige Zeit sehr freizügige Melodram „Liebe ist nur ein Wort“ mit Ihnen und Wolfgang Schumacher, der unter dem Künstlernamen Malte Thorsten agierte, ist audiovisuell erlesen, was die damals noch unüblichen Zoom-Aufnahmen von Charly Steinberger und den poppigen Soundtrack von Erich Ferstl betrifft.

Die Musik war wirklich wundervoll! Vor allem Ferstls traurig-sinnliches Klavierthema, das mehrfach eingesetzt wurde. Wir haben viel „on location“ im Taunus, in und um Friedberg gedreht. Und der Film war einfach gut besetzt: Malte Thorsten, der mir nicht als Wolfgang Schumacher vorgestellt wurde, wurde gleich für seine allererste Filmrolle 1972 beim Deutschen Filmpreis mit dem Filmband in Gold als bester Nachwuchsschauspieler ausgezeichnet.

Jetzt ist er Musiker und Schriftsteller. Haben Sie damals nicht sogar Ihren eigenen Hund in die tragisch endende Liebesgeschichte zwischen einer von Ihnen verkörperten Millionärsgattin und einem zehn Jahre jüngeren Abiturienten eingebaut?

Ja, das war meine Deutsche Schäferhündin Maggie! Es sollte eigentlich laut dem Buch von Simmel ein Boxer sein, doch die Produktion fand keinen. Und dann sagte ich: „Gut, wir nehmen meinen Hund!“ Ich habe oft mit Tieren gedreht und einen Draht vor allem zu Hunden. Doch man kann machen, was man will: Es ist und bleibt immer ein fremder Hund. Bei Maggie war das was anderes. Schlau wie sie war, hat sie sich gleich auf Malte, alias Wolfgang, eingelassen, weil sie spürte, dass wir im Film eine enge Beziehung zueinander aufbauen mussten. Sie avancierte dann während der Dreharbeiten zu „seinem“ Hund. (lacht)

Judy Winter begann ihre Karriere am Theater.
Judy Winter begann ihre Karriere am Theater. © Jens Kalaene/dpa


Die Simmel-Filme waren seinerzeit kommerziell sehr erfolgreich. Warum waren Sie „nur“ in zweien dabei?

Ich wollte danach einfach nicht mehr unter Produzent Luggi Waldleitner drehen.

Gab es denn ein Zerwürfnis?

Es war aus politischen Gründen. Ich kann nicht mit rechten Leuten. Und er war sehr rechts, Halleluja!

Sie waren danach in zwei Meisterwerken der Krimireihe „Tatort“: „Tod eines Einbrechers“ und „Reifezeugnis“ dabei, wo Sie an der Seite von Dietmar Schönherr und Werner Bruhns beziehungsweise Christian Quadflieg und Nastassja Kinski brillierten.

Komisch, aber „Reifezeugnis“ kann man heute immer noch sehen, oder?

Absolut!

Das liegt nicht nur an unserem Spiel, sondern auch an der einfühlsamen Regie von Wolfgang Petersen. Dieser Fernsehfilm war berechtigterweise sein Sprungbrett nach Hollywood.

Wie kaum eine andere Schauspielerin Ihrer Generation wissen Sie ihre leicht rauchige Stimme wie ein kostbares Instrument bei Musikaufnahmen, Hörspielen und Synchronarbeiten einzusetzen. Hat es Ihnen viel bedeutet, dass Sie 1976 die Goldene Kamera für ihre Synchronisation von Liv Ullmann in Ingmar Bergmans „Szenen einer Ehe“ erhalten haben?

Darüber bin ich bis heute wirklich sehr stolz. Es war eine einmalige Auszeichnung. So eine Selbstanalyse mit Flüstern und Schreien für die deutsche Fassung begleiten zu dürfen, war schon toll. Liv Ullmann habe ich damals auch kennengelernt. Eine wunderbare Frau. Genauso wie Vanessa Redgrave und Shirley MacLaine, deren deutsche Altersstimme ich bin - zuletzt als erst furchterregender, dann weiser Drache Frau Mahlzahn in „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ und „Jim Knopf und die Wilde 13“.

Dann macht es Ihnen sicher auch Spaß, Hörspiele aufzunehmen, wie bei der legendären „Gruselserie“ des EUROPA-Labels?

Sicherlich. Es ist immer schön, von Berlin zu Heikedine Körting, der „Königin des deutschen Hörspiels“, nach Hamburg an die Rothenbaumchaussee zu kommen und dann am runden Tisch mit den anderen Kollegen die Dialoge einzusprechen. Bei ihr wird nicht immer „geixt“, sondern tatsächlich noch im Sprecher-Ensemble aufgenommen. Es macht auch Spaß, weil Hörspiele so Fantasie anregend sind. Sie geben nämlich keine Antwort. Man ist mit seiner Fantasie allein. Und das gefällt mir.

Es gibt viele Ansätze, Schauspielerin zu werden. Früher wollte man der Kunst dienen. Heute spricht man oft von Selbstverwirklichung. Mir hat mal Anthony Perkins gesagt, er hätte aus „selbsttherapeutischen Gründen“ den Beruf des Schauspielers ergriffen. Was war es bei Ihnen?

Ich wollte Tänzerin werden, und zwar im klassischen Ballett in Heidelberg, war aber dann zu hochgewachsen. Mit 13 war ich so groß wie heute, nämlich 175 cm. Auf der Spitze tanzend hätte ich nie einen Partner haben können. Und etwas anderes als klassisches Ballett kam für mich überhaupt nicht in Frage. Doch plötzlich habe ich mich unheimlich in einen Theaterschauspieler verliebt, der in Heidelberg engagiert war.

Wer ist denn das gewesen?

Es war der im Juni verstorbene deutsch-österreichische Schauspieler Frank Hoffmann. Bloß, er hat das damals nie gemerkt… Wenn er bei der Generalprobe war, lag ich irgendwo und wollte ihm zusehen und zuhören. Ich war völlig hin und weg! Dadurch wollte ich selbst Schauspielerin werden, einfach um mal mit ihm gemeinsam zu arbeiten. Das ist natürlich nie passiert, aber es war mein Hauptgrund! Die Schauspielerei hat mir sehr geholfen, den ich habe darunter gelitten, mit dem Tanzen aufzuhören.

In den 1960er Jahren waren Sie mit Theaterregisseur Peter Zadek liiert. Dieser arbeitete mit fast allen Schauspielergrößen zusammen, nur Oskar Werner, der 300 lukrative Filmrollen-Angebote aus „Verrat am künstlerischen Geschmack“ ablehnte, gab ihm stets einen Korb. Können Sie das nachvollziehen?

Ja, denn Oskar Werner ist nicht nur ein toller Schauspieler gewesen, sondern vor allem auch eine unbeschreibliche Persönlichkeit! Wenn ihm ein Angebot - besonders im modernen Regietheater – nicht zusagte, hat er immer eine Grenze aufrechterhalten. Er spürte, dass es richtig ist, wenn man sich nicht verkaufen soll. Man sollte auch heute als Künstler integer sein. Über die Integrität in diesem Beruf nachzudenken, wo jeder inzwischen alles annimmt, ist – glaube ich – sehr abhandengekommen.

Wie haben Sie Zadek eigentlich kennengelernt?

Schon bei meinem ersten Engagement überhaupt in Ulm. Es hat gleich gefunkt. Und dann waren wir sieben Jahre zusammen.

Stimmt es, dass Sie sich auch um seine zwei Kinder gekümmert haben, weil er aufgrund seiner Theatertätigkeit, sich außerstande sah, diese zu erziehen?

Sie waren mehr oder weniger ein halbes Jahr bei ihrer Mutter in London und den Rest bei uns in Deutschland. Es waren wunderbare Zeiten. Auch Peter Zadeks Vater, der ebenfalls bei uns lebte, war ein wunderbarer Mensch. Mit allen zusammen war ich damals sehr glücklich.

War das nicht aufregend, gleich am Anfang Ihrer Karriere, mit Zadek zu arbeiten und zu leben?

Wie aufregend das alles wirklich war, habe ich damals gar nicht bewusst wahrgenommen. Das konnte ich noch gar nicht. Da war ich noch viel zu jung für. Mir waren die Kinder am wichtigsten und der Opa. Die wirkliche Kunst habe ich gar nicht so mitgekriegt. Es war etwas „Normales“ für mich. Ich habe damals nicht zu mir selbst gesagt: „Peter Zadek, das ist ein toller Mann!“ Ich hatte keine Vergleichsmöglichkeit. Es war einfach eine wunderschöne, aber auch schwere Zeit.

Warum ist das eigentlich mit Ihnen und Zadek auseinandergegangen?

Das lag an mir. Ich wollte eigenständig werden. Das war blöd von mir im Nachhinein.

Zur Sendung

„Familie Bundschuh: Unter Verschluss“ mit Judy Winter am Donnerstag, 1. September 2022 um 20.15 Uhr im ZDF.

Kommen wir zu Ihrem neuen Fernsehfilm „Unter Verschluss“ ist bereits die siebte Episode der „Familie Bundschuh“. Wie sehr ist Ihnen die von Andrea Sawatzki erdachte Komödienreihe ans Herz gewachsen?

Es ist schön, dass man sich einfach trifft und keine Basis-Erklärungen mehr abgeben muss. Und dass man vom anderen weiß, ich meine jetzt innerhalb der Rolle. Es ist für mich wie nach Hause kommen. Ich mag auch meine Rolle der ständig angetrunkene Susanne gern. (lacht) Es ist einfach soooo … (spricht gewollt lallend) Ich weiß nicht, warum ich seit geraumer Zeit in jeder Rolle, die mir angeboten wird, eine Alkoholikerin spielen soll. Aber na ja …

Vielleicht können Sie das einfach gut spielen?

Ja, natürlich. Ab 40 geht es doch bergab mit der sexuellen Ausstrahlung. Natürlich macht sich das auch in den Rollen bemerkbar. Und dann erhält man weniger Angebote. Ist man so alt geworden, wie ich es jetzt bin, ist man entweder Komikerin oder spielt im Charakterfach. Und letzteres ist gar nicht so oft gewünscht. Das ist ja meistens so ernst … Wenn man Glück hat, rutscht man in die Komik. Und wenn die Leute lachen können, ist das nicht ganz verkehrt. (Interview: Marc Hairapetian)

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