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Ungereimtheit

Politiker fragen, Journalisten antworten

Baden-Württemberg / Lesedauer: 3 min

Im Untersuchungsausschuss zum NSU-Terror im Südwesten mehren sich die losen Enden
Veröffentlicht:16.02.2015, 20:24

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Mit dem NSU-Terror ist es wohl so, wie Stefan Aust es an diesem Montag im Stuttgarter Landtag formuliert: „Je weiter man sich in den Vorgang vertieft, desto mehr Ungereimtheiten findet man“, sagt der Buchautor, einstige „Spiegel“-Chefredakteur und heutige „Welt“-Herausgeber.

Der 68-jährige Journalist steckt im Landtag in einer ungewohnten Rolle: Erstmals in seinem Leben ist er als Sachverständiger bei einem Untersuchungsausschuss geladen. Aust soll den Abgeordneten helfen, eben jene Ungereimtheiten in der NSU-Mordserie herauszuarbeiten. Vor allem geht es den Parlamentariern um den Polizistenmord von Heilbronn 2007 und um die Frage, ob der NSU im Südwesten über ein Netz von Helfern und Informanten verfügte.

Via Buch zum Sachverständigen

Zum Sachverständigen gemacht hat ihn das Buch „Heimatschutz“, in dem er zusammen mit Co-Autor Dirk Laabs auf 856 Seiten über die der rechtsextremen Terrorzelle zugeschriebenen zehn Morde und zahlreichen Überfälle und Anschläge schrieb. Und eben über die vielen Ungereimtheiten.

Politiker fragen, Journalisten antworten – im parlamentarischen Betrieb läuft es meistens umgekehrt. Und dass Journalisten als Sachverständige in einem Untersuchungsausschuss aussagen, ist auch ungewöhnlich, zumal sie sich bohrenden Fragen mit dem Hinweis auf Informantenschutz entziehen können.

Es geht an diesem Montag auch weniger um Beweisaufnahme, als vielmehr um die Frage, wo die Abgeordneten bohren, welche Zeugen sie laden sollten.

Die Kernfrage ist nach wie vor offen: Waren die in Heilbronn ermordete Polizistin Michèle Kiesewetter und ihr schwer verletzter Kollege Martin A. Zufallsopfer einer Mörderbande, die es generell auf Repräsentanten des Staates abgesehen hatte? Der SWR-Journalist Holger Schmidt kann sich das gut vorstellen.

Weil weder Landes- noch Bundeskriminalamt einen eigenen Beobachter beim laufenden NSU-Prozess in München haben, soll Schmidt am Montag den Abgeordneten seine Beobachtungen mitteilen. Schmidt spricht zwar auch von vielen Zufällen bei dem Fall. „Ein Krimi-Autor hätte damit den Plot seines Lebens gefunden“, sagt er. Doch bei genauerem Hinsehen bleibe vieles Spekulation. Am Ende komme man „in den großen Bereich des Gegeben-Haben-Kann“, doch Belege fehlten.

Andere wollen hingegen nicht an so viele Zufälle glauben. Schmidts Kollege Thumilan Selvakumaran vom „Haller Tagblatt“ hält Verbindungen zwischen dem rassistischen Ku-Klux-Klan (KKK) im Südwesten (und speziell in Schwäbisch Hall) und dem NSU für wahrscheinlich. Immerhin war ein Polizist aus Kiesewetters Einheit KKK-Mitglied. Und V-Leute des Verfassungsschutzes , teils mit Verbindungen zum NSU, waren im KKK aktiv.

Vorgetäuschte Dämlichkeit

Wie Selvakumaran glaubt auch Aust, dass der Verfassungsschutz mehr über die rechte Szene wusste, als er heute zugibt. Die Abgeordneten sollten sich die Treffberichte zwischen den Dutzenden V-Leuten im Umfeld und ihren Verfassungsschutz-Führern vorlegen lassen, rät er. An das oft beklagte amtliche Vollversagen in Sachen NSU glaubt Aust nicht. Diese These sei vorgeschoben, um V-Leute zu schützen. Es gebe eine „Verschwörung vorgetäuschter Dämlichkeit in den Behörden“, sagt er.

Anders als die Journalisten kann der Ausschuss Zeugen laden und Akten ordern. Das will man auch. Von einem „Tag der Fragen“ spricht CDU-Obmann Matthias Pröfrock nach der Sitzung. Man habe „viele Arbeitsaufträge erhalten“, sagt Niko Reith (FDP). „Wir müssen diesen Dingen vollständig nachgehen“, erklärt Jürgen Filius (Grüne). Das braucht Zeit. Den Plan, bis zur Landtagswahl 2016 fertig zu werden, hält der Ausschussvorsitzende Wolfgang Drexler (SPD) für „sehr ambitioniert“.