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Joseph Wirth (1879–1956)

Badischer Demokrat und Reichskanzler

Als Demokrat, Vertreter des linken Flügels der Zentrumspartei und Reichskanzler wurde Wirth zu einem einflussreichen Verfechter der Weimarer Demokratie. In der Tradition des aufgeschlossenen badischen Katholizismus ebenso verwurzelt wie in der liberal-demokratischen Revolution von 1848/49, positionierte er sich entschlossen gegen die rechtsextremen Feinde der Demokratie. Von diesen als „Erfüllungspolitiker“ diffamiert und verfolgt, rief Wirth nach der Ermordung Walther Rathenaus zur Verteidigung der Demokratie auf und äußerte im Reichstag die bis heute viel zitierten Worte: „Da steht der Feind – und darüber ist kein Zweifel: Dieser Feind steht rechts!“ Aufgerieben zwischen der Last der Versailler Reparationsforderungen, der Überwindung der außenpolitischen Isolation Deutschlands, der entschiedenen Ablehnung des NS-Regimes und schließlich auch der Frage der deutschen Teilung, ist sein Lebensweg ein Spiegel der wechselvollen Entwicklung Deutschlands in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Joseph Wirth wurde am 6. September 1879 in Freiburg geboren und war nach einem Studium der Nationalökonomie, Naturwissenschaften und Mathematik als promovierter Lehrer, Präsident einer karitativen katholischen Hilfsorganisation und seit 1912 als Mitglied des Freiburger Bürgerausschusses aktiv. Später machte er die soziale Frage zu seinem Hauptanliegen. Als Abgeordneter des Zentrums zog er 1913 in die badische Ständeversammlung und 1914 in den Reichstag ein. Im Ersten Weltkrieg leistete der für kriegsuntauglich befundene Wirth freiwilligen Sanitätsdienst. Obwohl er sich noch 1917 für die „Burgfriedenspolitik“ ausgesprochen hatte, begrüßte er nach der Novemberrevolution die Republik und stellte sein Leben in den Dienst des demokratischen Aufbaus.

Wirth amtierte zunächst als badischer Finanzminister und Reichsfinanzminister. 1921 wurde er Kanzler einer Weimarer Koalition aus SPD, Zentrum und DDP. Außenpolitisch isoliert, mit der alleinigen Kriegsschuld belegt und zu hohen Reparationsforderungen verpflichtet, befand sich die junge deutsche Demokratie in einer denkbar schwierigen Lage. Als Reichskanzler suchte Wirth eine umstrittene Verständigung mit Sowjetrussland und wollte die praktische Nichterfüllbarkeit der Versailler Forderungen durch deren möglichst konsequente Befolgung demonstrieren. 1921 trat sein erstes Kabinett zurück, nachdem der Völkerbundsrat Oberschlesien Polen zugeteilt hatte, obwohl sich bei einer Volksabstimmung fast 60 Prozent für den Verbleib bei Preußen ausgesprochen hatten.

Erneut von Reichspräsident Friedrich Ebert mit der Regierung betraut, bildete Wirth im Oktober 1921 sein zweites Kabinett, dem Walter Rathenau als Außenminister angehörte. Es gelang, die außenpolitische Isolation Deutschlands aufzubrechen. Mit dem Vertrag von Rapallo erfolgte die gegenseitige Anerkennung des Deutschen Reichs und der Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik bei gleichzeitigem Verzicht auf Reparationszahlungen. Rechte Kreise prangerten deshalb Wirth und Rathenau als „Erfüllungspolitiker“ an; Walter Rathenau wurde am 24. Juni 1922 ermordet. Im November 1922 scheiterte Wirths Versuch, aus allen demokratischen Kräften eine Koalition zu bilden. Nach seinem Rücktritt blieb er Abgeordneter und engagierte sich im „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ und als Herausgeber der Zeitschrift „Deutsche Republik“. Als sich 1925 das Zentrum mit der rechtsnationalistischen DNVP zu einer Koalition zusammenschloss, verließ Wirth aus Protest zeitweilig die Zentrumsfraktion. Er amtierte noch als „Reichsminister für die besetzten Gebiete“ und 1930/31 im Kabinett von Heinrich Brüning als Innenminister, bis er auf Betreiben von Reichspräsident Paul von Hindenburg entlassen wurde.

Im März 1933 protestierte Wirth leidenschaftlich gegen das „Ermächtigungsgesetz“, beugte sich jedoch dem Fraktionszwang und stimmte zu. Kurz danach emigrierte er in die Schweiz, lebte von 1935 bis 1939 in Paris, kehrte in die Schweiz zurück und unternahm zahlreiche Vortragsreisen zur Aufklärung gegen das totalitär-antisemitische NS-Regime durch Europa und die USA. Während des Zweiten Weltkrieges pflegte er Kontakte zum militärischen
Widerstand und formulierte als Mitglied der Arbeitsgemeinschaft „Das Demokratische Deutschland“ maßgebliche Grundsätze für den demokratisch-föderalistischen Neuaufbau. 1949 kehrte Wirth in die Bundesrepublik zurück und wandte sich gegen Adenauers Politik der Westintegration. In der CDU galt er als „linker Außenminister“, zumal er erstmals 1951 das Gespräch mit Moskau suchte, um die deutsche Teilung zu verhindern. Wegen seiner Kontakte in die DDR verweigerte ihm die Bundesrepublik einen Teil seiner Rente, während ihn die DDR finanziell unterstützte und ihn 1955 mit dem „Stalin-Friedenspreis“ auszeichnete.

Joseph Wirth starb am 3. Januar 1956 im Alter von 76 Jahren in Freiburg.

Download der Kurzbiographie (PDF)

Anregungen zum Weiterlesen:

  • BRAUN, Bernd/HÖRSTER-PHILIPPS, Ulrike: In jeder Stunde Demokratie – Joseph Wirth: ein politisches Porträt in Bildern und Dokumenten, Freiburg i. Br. 2016.

  • BRAUN, Bernd: Die Reichskanzler der Weimarer Republik. Von Scheidemann bis Schleicher, Stuttgart 2013.

  • HÖRSTER-PHILIPPS, Ulrike: Joseph Wirth 1879–1956. Eine politische Biographie, Freiburg 1998.

  • HÖRSTER-PHILIPPS, Ulrike: Joseph Wirth (1879–1956). Unbequemer Demokrat und Verständigungspolitiker, in: Reinhold WEBER/Ines MAYER (Hrsg.): Menschen, die uns bewegten. 20 deutsche Biografien im 20. Jahrhundert, Köln 2014,
    S. 34–41.

  • KÜPPERS, Heinrich: Joseph Wirth. Parlamentarier, Minister und Kanzler der Weimarer Republik, Stuttgart 1997.

  • WIRTH, Joseph: Reden während der Kanzlerschaft, Berlin 1925.

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