Joschka Fischer, auch mit 75 der zerknitterte Oberrealo
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Joschka Fischer, auch mit 75 der zerknitterte Oberrealo

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Milde-spöttischer Blick und oft leicht grantig: Joschka Fischer hat sich oft neu erfunden und ist doch der Alte geblieben.
Milde-spöttischer Blick und oft leicht grantig: Joschka Fischer hat sich oft neu erfunden und ist doch der Alte geblieben. © Soeren Stache/dpa

Der ehemalige Außenminister Joschka Fischer wird am Mittwoch (12. April) 75 Jahre alt. Er fordert mehr Unterstützung für die Ukraine.

Frankfurt - Er sieht zerknittert aus wie eh und je. Vielleicht sogar noch ein bisschen zerknitterter. Joschka Fischer, einst Mitglied der Gruppe „Revolutionärer Kampf“, Weggefährte von Dany Cohn-Bendit und Tom Koenigs in der Frankfurter Sponti- und Hausbesetzer-Szene, Reizfigur für die Konservativen und die Springer-Presse, dann Turnschuhminister in Hessen, heimlicher Grünen-Chef, brillanter Redner, Mann auf dem „langen Lauf zu mir selbst“, Außenminister in der ersten rot-grünen Koalition, Besserwisser, Lobbyist, Festredner, vielfacher Buchautor und Berater, hat sich immer wieder neu erfunden. Und ist doch ganz der Alte geblieben, die Stimme rau wie eh und je.

Am Mittwoch (12. April) wird Fischer 75 Jahre alt, als Elder Statesman. Seit 2005 ist er raus aus dem politischen Geschäft. Er hatte sich vorgenommen, seinen Nachfolgerinnen und Nachfolgern nie reinzureden. Daran hat sich der Mann mit den katholisch-fränkischen Wurzeln, der ehemalige Messdiener, der zum fünften Mal verheiratet ist, gehalten.

Manchmal lässt sich der langjährige Frankfurter trotzdem kurz blicken. In Frankfurt, um die Oberbürgermeister-Kandidatin und Grünen-Realpolitikerin Manuela Rottmann zu unterstützen, die dennoch nicht in die Stichwahl kam. In Berlin, wenn er zum Beispiel bei einem Kongress von Krankenhausmanager:innen, über „Deutschlands neue Rolle in Europa und der Welt“ referiert. Quasi auf der Weltbühne, wo er am liebsten seinen Platz einnimmt.

Joschka Fischer macht sich stark für die EU, für die Nato, für Aufrüstung

Der Oberrealo Fischer hat es immer verstanden, sich mit denjenigen in seiner grünen Partei anzulegen, die er für ideologisch verbohrt hielt. Heute warnt er nicht nur sie davor, „in alte Illusionen zurückzufallen“. Er macht sich für die EU stark, für die Nato, für Aufrüstung. „Wo stünden wir denn nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine ohne die Europäische Union, ohne die Nato?“ Der Mahner, gerade in Richtung der einstigen linken Weggefährten, gehört zu den Lieblingsrollen des Joschka Fischer. Legendär sind die Auseinandersetzungen, die Joseph Martin Fischer, genannt Joschka, sich auf Grünen-Parteitagen in den 90er Jahren mit den Protagonist:innen der Parteilinken lieferte – er, der schon vor seinem Beitritt zu den Grünen (erst im Jahr 1982) einen realpolitischen Arbeitskreis mitgegründet hatte. Insbesondere Jürgen Trittin, wie Fischer ein scharfzüngiger Redner, wurde zu seinem Widersacher.

Für die linke Parteibasis wie für Linke außerhalb der Grünen wurde der Außenminister Fischer zum roten Tuch, als er die Bundeswehr in den Kosovo schickte, weil neben der Lehre „Nie wieder Krieg!“ auch „Nie wieder Auschwitz!“ beherzigt werden müsse. Beim Bielefelder Parteitag 1999 entstand das ikonische Bild, als ein Gegner des Nato-Einsatzes in Kosovo Fischer mit einem Farbbeutel getroffen hatte und rote Farbe seine rechte Gesichtshälfte herunterrann; Fischers Trommelfell wurde verletzt, doch der Minister hielt seine Rede, noch kämpferischer als sonst.

Gerieben hat sich Joschka Fischer auch an der SPD

Gerieben hat sich Fischer auch an der SPD, nicht erst als Kanzler Gerhard Schröder das Verhältnis zu seinem Vize als „Koch und Kellner“ bezeichnete, sondern schon zu hessischen Zeiten. Der sozialdemokratische Ministerpräsident Holger Börner hatte Flughafen-Ausbaugegner:innen schon mal mit der „Dachlatte“ gedroht – doch gerade er fädelte erst eine Tolerierung, dann eine Koalition mit der ungeliebten ökologischen Konkurrenzpartei ein.

Da zeigte Fischer allerdings, dass er bereit war, für die eigenen Positionen sehr weit zu gehen: 1987 zerbrach die hessische Koalition, weil Fischer die Genehmigung für eine Atomanlage in Hanau verweigerte. Es passt, dass er seinen Geburtstag in der Woche feiert, in der die letzten deutschen AKWs abgeschaltet werden.

Niemand aus der Sponti-Szene hat den Marsch durch die Institutionen so erfolgreich umgesetzt wie Fischer. Auch wenn er in den Institutionen aneckte wie im Bundestag, als er dem Sitzungspräsidenten Richard Stücklen (CSU) nach einem Ordnungsruf zurief: „Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch, mit Verlaub!“

Als Landespolitiker wie als Bundesminister war Fischer der Frankfurter Rundschau eng und kritisch verbunden. Im Landtagsbüro der FR tauchte er in Wiesbadener Zeiten fast täglich auf, um die Lage und die Berichterstattung zu kommentieren. Er schätzte die Zeitung vor allem, weil sie viel dazu beigetragen hatte, alte Nazi-Seilschaften in der jungen Bundesrepublik aufzudecken. In Berlin wurde ihm später der FR-Lokalteil zur „Nabelschnur“ in seinen Frankfurter Wahlkreis, wie er bei der Feier zum 60-jährigen Bestehen der Zeitung erzählte, im Jahr 2005.

Einer der wichtigsten Sätze von Joschka Fischer: „I’m not convinced“

Es war das Jahr, in dem seine Zeit in der Bundesregierung und im Bundestag endete. Schröder hatte vorgezogene Wahlen erzwungen, ein schwerer strategischer Fehler, Rot-Grün verlor. Joschka Fischer holte im Wahlkampf das letzte aus sich heraus, krächzte bei Auftritten auf großen Bühnen, versuchte die Leute mit einer Zweitstimmenkampagne zu motivieren. Vergebens.

Das Kapitel Außenminister endete nach sieben Jahren. In Erinnerung bleibt nicht zuletzt Fischers Satz „I’m not convinced“ („Ich bin nicht überzeugt“) zu den angeblichen Beweisfotos, mit denen die USA ihren Angriff auf den Irak rechtfertigten. Deutschland machte nicht mit – eine der wichtigsten Entscheidungen, an denen Fischer beteiligt war, und eine schwierige für den überzeugten Transatlantiker.

Doch keine Frage, ein Pazifist war Fischer nie. Heute vertritt er angesichts des Ukraine-Krieges eine klare Position. „Gemessen an der Tragödie, die die Ukraine erlebt, kommt unsere Unterstützung immer noch zu zögerlich“, heißt es in einem Aufruf, den Fischer unterschrieben hat. Die Lieferung von „Leopard“-Panzern sei nur „ein wichtiger Schritt, weitere müssen folgen“.

Vor fünf Jahren hat der ehemalige Minister zu seinem Geburtstag auf Fischer-typische Manier eine Art Lebensbilanz gezogen. „Was bringt es, sich zu fragen, was habe ich geleistet? Sie können eh nichts mehr daran ändern“, sagte er damals der Süddeutschen Zeitung. Das gilt mit 75 nicht weniger. (Pitt von Bebenburg)

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