Filmmusikkomponist Johnny Klimek im Interview | concerti.de
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Interview Johnny Klimek

„Ich bin ein leidenschaftlicher Freak“

Komponist Johnny Klimek über seinen Weg in die Filmmusik, die Arbeit im Duo und künstliche Intelligenz.

vonJakob Buhre,

Der Erfolg von „Babylon Berlin“ reißt nicht ab. Mittlerweile ist die vierte Staffel der in den 1920er Jahren spielenden Serie im TV zu sehen. Zu hören ist dabei immer wieder die Musik von Johnny Klimek. Gemeinsam mit Tom Tykwer ist der australische Filmmusikkomponist für den Soundtrack verantwortlich.

Herr Klimek, als vielbeschäftigter Filmkomponist arbeiten Sie an bis zu drei Soundtracks gleichzeitig. Was macht die Arbeit an „Babylon Berlin“ für Sie einzigartig?

Johnny Klimek: Mir gefällt vor allem, dass wir in der Musik ganz verschiedene Dinge zusammenbringen. Da sind Sound-Elemente der zwanziger Jahre, es gibt Orchesterparts – und mit Elektronik schaffen wir einen modernen Kontext. Der Reiz besteht auch darin, sich mit dem Klang von Berlin zu beschäftigen: Damals wie heute ist es ein kulturelles Zentrum Europas, musikalisch nach wie vor wild und eine tolle Inspirationsquelle. Und wunderbar ist immer wieder, wie viel Freiheit mir Tom Tykwer lässt: Es gibt keine Regeln, sagt er zu mir.

Tom Tykwer ist nicht nur Regisseur, sondern komponiert auch Soundtracks, meist gemeinsam mit Ihnen. Wie sieht diese Zusammenarbeit aus?

Klimek: Zu Beginn eines Projektes setzen wir uns meistens für zehn bis vierzehn Tage zusammen, um Musik zu schreiben. Ich bereite dafür viel Material vor – Motiv-Ideen, Klänge und so weiter –, mit dem wir dann gemeinsam arbeiten. Nach dieser ersten Phase gibt es eine Aufnahme-Session mit Musikern, danach verschwindet Tom für vier bis fünf Monate zu den Dreharbeiten.

Wenn Tykwer einen musikalischen Einfall hat, wie vermittelt er Ihnen diesen?

Klimek: Tom spielt ganz okay Klavier, er sitzt dann also zum Beispiel am Flügel und spielt mir eine Melodie vor. Er ist sehr gut, wenn es darum geht, Themen zu erfinden. Das nehme ich auf, baue es in meine Musik ein, kümmere mich um die Orchestrierung und erstelle davon dann noch einige alternative Versionen. So bekommen wir viel Basismaterial zusammen, vielleicht etwa zwanzig Themen, die ich dann jeweils als Streicher-, Klavier oder Elektrovariante erstelle. Sobald die Dreharbeiten abgeschlossen sind, liegt dieses Material – in getrennten Spuren – für den Schnitt bereit, wo Tom dann damit herumspielen kann. Und schließlich komme ich wieder für ein paar Wochen hinzu, um mit ihm gemeinsam die Feinarbeit zu machen.

Sie schreiben also große Teile der Musik, ohne eine einzige gedrehte Filmszene gesehen zu haben?

Klimek: Ja, ganz genau. So arbeite ich inzwischen bei allen Projekten, zuletzt bei der Netflix-Serie „Kleo“, auch bei „The Matrix Resurrections“ war es so. Sobald die Regisseure verstehen, dass die Qualität der Musik, die wir abliefern, stimmt, vertrauen sie darauf. Wir gehen ins Studio, bevor der Schnitt beginnt – wobei manchmal auch noch später Aufnahme-Sessions hinzukommen, um bestimmte Dinge nachzubessern.

Sie müssen also keine Szenenbilder gesehen haben, um auf Ideen zu kommen?

Klimek: Nein. Wir denken natürlich an die Protagonisten, ich lese in Auszügen das Drehbuch. Bei „Babylon Berlin“ zum Beispiel gibt es eine Reihe von düsteren Charakteren, die inspirieren mich dann zu bestimmten musikalischen Ideen, genauso wie mich die wilde Atmosphäre Berlins inspiriert. Und dann geht auch sehr viel von Tom Tykwer aus: Als Regisseur weiß er sehr genau, was er will, das macht es einfach. Das gleiche Verhältnis habe ich inzwischen zu Lana Wachowski, mit der ich seit etwa sieben Jahren arbeite, sie liebt diese Vorgehensweise. Für mich ist es so auch viel angenehmer, als wie ich es früher bei amerikanischen TV-Serien kennen lernte, wo du binnen drei Tagen eine Serienfolge vertonen musst. Darunter sind oft Episoden, die dich zu kaum etwas inspirieren. Wenn mir ein Regisseur eine Vision vorgibt, ich diese verstehe und zusätzlich mit diesem Regisseur emotional auf einer Wellenlänge bin, kann ich loslegen.

Wie viel Ihrer Kompositionstechniken basiert auf klassischer Ausbildung? Oder sind Sie Autodidakt?

Klimek: Ich habe mir das tatsächlich alles selbst beigebracht – wobei ich keine Noten lesen kann.

Das überrascht.

Klimek: Nun, heute kann man alles am Computer erstellen, die Technologie ermöglicht es mir, die Musik genau nach meinen Vorstellungen zu realisieren. Und anschließend arbeite ich mit Orchestratoren, welche von meiner Musik die Noten erstellen. Ich sage ihnen, wo ich ein Crescendo brauche, wo ich mehr Bläser hören will… Und wenn ich bei Orchester-Aufnahmen etwas höre, was nicht meine Intention war, wird es geändert.

Spielen Sie Klavier?

Klimek: Ein bisschen, ein paar Grund-Akkorde. Ich bin kein guter Pianist, sondern die engagiere ich. Ich habe tolle Musiker um mich herum und bin mittlerweile selbstbewusst genug, um zu delegieren, zu erklären, was ich möchte. Und viele wunderbare Musiker lieben es, so dirigiert zu werden. Genauso wie ich es liebe, von Tom Tykwer dirigiert zu werden.

Wie haben Sie eigentlich Tom Tykwer kennengelernt?

Klimek: Mein musikalischer Werdegang begann als Bassist, und als ich nach dem Fall der Mauer nach Berlin kam, bin ich in die dortige Techno-Szene eingestiegen. Musiker wie Gudrun Gut, Blixa Bargeld oder Nick Cave haben mich inspiriert, ich kam mit Elektronik in Berührung, mit meinen Geschwistern entstand die Band The Other Ones. Mit der hatten wir schließlich einen Hit, und von den Einnahmen konnte ich mir auf einmal ein eigenes Studio-Setup leisten, so wurde ich unabhängig. Bald darauf trat Tom Tykwer in mein Leben, wir machten gemeinsam den sehr elektronischen Soundtrack zu „Lola rennt“, und anschließend kamen die ersten Anrufe aus Hollywood.

Hatten Sie anfangs Schwierigkeiten, sich ohne Notenkenntnisse in diesem Beruf zu etablieren?

Klimek: Es war nicht immer einfach, klar. Als ich zum Beispiel mit Tom Tykwer und Reinhold Heil an der Musik zu „Das Parfum“ gearbeitet habe, da haben wir mit Sir Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern zusammengearbeitet, mit den Besten der Besten sozusagen. Das hat mich erst etwas eingeschüchtert, aber dann habe ich mich in die Arbeit gestürzt. Dabei passieren mir auch Fehler, aber die muss ich machen, um daraus zu lernen. Ich bin ein leidenschaftlicher Freak, der ständig Dinge ausprobiert, experimentiert. In den 25 Jahren als Filmkomponist habe ich so für mich eine Technik entwickelt, mit der ich mich wohlfühle, und zusätzlich die Fähigkeit, großartige Musiker zu finden und etwas Tolles aus ihnen herauszuholen.

Sehen Sie sich bei der Arbeit an einer Filmmusik eher als Handwerker oder als Künstler?

Klimek: Mich selbst zu beurteilen fällt mir schwer. Tom zumindest bezeichnet mich als Künstler, am Ende ist es wohl eine Mischung aus beidem. Einerseits gibt es Raum für künstlerischen Ausdruck, weil mir die Regisseure viel Freiheiten lassen, andererseits muss ich aber auch den Emotionen im Film und dem Handlungsverlauf gerecht werden. Manchmal entsteht Musik für eine Szene komplett aus dem Experimentieren heraus. Das ist etwas Besonderes, weil der Klang dann einzigartig und für den Zuschauer nicht erwartbar ist.

Zurück zu „Babylon Berlin“: Wie viele der Geigen, die wir in der Filmmusik hören, sind echt?

Klimek: Alle.

Theoretisch bestünde ja die Möglichkeit, mit Hilfe von digitalen Sound-Bibliotheken einen Orchesterklang am Computer nachzubauen…

Klimek: Innerhalb des Entstehungsprozesses benutze ich so etwas auch, beispielsweise um Musikideen zu präsentieren. Doch wenn ein Regisseur für Orchesterklang keine richtigen Musiker einsetzen will, bin ich nicht dabei, das lehne ich ab – weil ich ohne ein echtes Orchester nicht den bestmöglichen Klang realisieren kann.

In Hollywood streiken Schauspieler und Drehbuchautoren, die in Sorge sind, dass die Studios sie eines Tages durch Künstliche Intelligenz ersetzen werden. Was denken Sie, wie stark die KI-Entwicklung die Filmmusikbranche treffen wird?

Klimek: Als Komponist bin ich da, ehrlich gesagt, nicht so besorgt. Ich denke, eine KI wird niemals so einen Klang zustande bringen können, wie wir ihn für „Babylon Berlin“ kreiert haben. Wir arbeiten da mit schrägen Harmonien, hohen Frequenzen – so etwas schafft man nicht mit irgendwelchen Sound-Bibliotheken. Andererseits interessiert mich natürlich auch, was passieren würde, wenn ich eine KI frage, mir ein bestimmtes Thema zu schreiben. Bislang habe ich das noch nicht ausprobiert. Wer weiß, vielleicht kann man sie eines Tages auffordern: Schreib mir einen Hollywood-Soundtrack im Stil von Hans Zimmer – und dann kommt womöglich ein konventioneller Score heraus, wie man ihn so ähnlich schon mal gehört hat.

Glauben Sie denn, dass die Studios auch in zwanzig Jahren noch Orchestermusiker für Filmmusik einsetzen werden?

Klimek: Ja. Denn das, was ich von echten Musikern bekomme, kann mir eine KI nicht liefern. Ich habe auch meine Zweifel, ob wir jemals an den Punkt kommen, wo eine KI so etwas reproduzieren kann.

Welche Ihrer bisherigen Arbeiten repräsentieren für Sie am besten den „Klimek-Sound“?

Klimek: Ich würde da zwei Filme nennen: „The International“ und „Cloud Atlas“. Das sind meine beiden Favoriten, weil uns da eine sehr gute Kombination von Elektronik und Orchester gelungen ist. Durch diese Projekte habe ich sehr viel darüber gelernt, wie man mit einem Orchester umgeht.

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