Nachruf auf US-Senator: Die drei Leben des John McCain

Nachruf auf US-Senator: Die drei Leben des John McCain

Er fiel vom Himmel. Am 26. Oktober 1967 stürzte er mit seinem Fallschirm aus den Wolken, mitten in einen kleinen See, mitten in Hanoi, der alten Stadt im Norden Vietnams. Es war Krieg, sein Krieg. McCain, damals 31 Jahre alt, war kurz zuvor mit seinem Kampfjet vom US-Flugzeugträger Oriskany gestartet. Er hatte den Befehl, ein Elektrizitätswerk in Hanoi zu zerstören, neben dem kleinen See. McCains Geschwader war berühmt für seine
Aggressivität und seine Effizienz. Er war kein Mann, der Zweifel hatte in seinen jungen Jahren, er war aus Überzeugung in diesen Krieg in Asien gezogen. Er hätte noch eine Schleife fliegen können, als er erkannte, dass er in Gefahr ist, als er bemerkte, dass die Luftabwehr ihn im Visier hatte. Doch er wollte sein Ziel treffen, zerstören. Dann aber traf eine Rakete ihn, den rechten Flügel seines Jets, und für McCain begann ein neuer Krieg.

Fünf Jahre und 140 Tage in Einzelhaft

Als er aus dem Flugzeug geschleudert wird, bricht er sich beide Arme und das rechte Bein, nahezu ohnmächtig rast er auf Hanoi zu, spät löst sich der Fallschirm, er schlägt ein in den sumpfigen Boden des flachen Sees, kommt wieder an die Oberfläche. Da sind die Vietnamesen. Sie ziehen ihn zu sich heran und beginnen auf ihn einzuprügeln. Sie hassen ihn, sie sind buchstäblich am Boden zerstört, in dieser Stadt, auf die seit Monaten die amerikanischen Bomben fallen. Dann aber kommt eine Krankenschwester, kommen andere, die ihm helfen. Er wird er mit einem Lastwagen weggeschafft, nach wenigen Minuten passiert der Wagen die Tore des „Hanoi Hilton“, des berüchtigten alten Gefängnisses, dem die amerikanischen Gefangenen diesen Namen gaben. McCain wird auf einer Trage ausgeladen, und er wird ein Gefangener bleiben, im Hilton und anderen Lagern in Hanoi, fünf Jahre und 140 Tage.

Als sie ihn am 14. März 1973 freilassen, nach Jahren der Einzelhaft, kann
er mit dem gebrochenen Bein noch immer nicht richtig gehen. Mit Holzkrücken unter den Achseln schiebt er sich Präsident Richard Nixon entgegen, als der ihn in Washington empfängt. Seine Arme wird McCain zeitlebens nicht mehr über den Kopf heben können.

Stimme gegen Folter, für Versöhnung und gegen Trump

Aber seine Stimme, die hat er danach Jahr um Jahr erhoben. Als Politiker, als republikanischer Senator, als ein konservativer Amerikaner, der 2008 als Präsidentschaftskandidat gegen Barack Obama antrat. Einen politischen Gegner, den er persönlich schätzte, so wie Obama es seinerseits auch tat. Denn seine Stimme, die erhob John McCain gegen Folter, für die Aussöhnung mit Vietnam, gegen die Lüge und am Ende gegen seinen republikanischen Parteifreund Donald Trump.

McCain war ein Mann, der so viel erlebt hatte, dass er sich schlicht nicht vorstellen wollte, dass jemand wie Trump Amerika führen sollte. Das war sein letzter Kampf, geführt mit Worten, Gesten und Überzeugungen.

Wenige Stunden, nachdem seine Familie den Abbruch der Chemotherapie bekanntgegeben hatte, stellte jemand ein Video ins Internet. Es zeigt den damaligen Präsidentschaftskandidaten McCain bei einer Kundgebung in Minnesota. „Ich kann Obama nicht trauen“, meldet sich eine republikanische Anhängerin zu Wort: „Ich habe über ihn gelesen und er ist nicht… hm…. Er ist ein Araber.“ Da greift John McCain das Mikrofon, schüttelt den Kopf und sagt: „Nein, meine Dame. Er ist ein ehrenwerter Familienmann und ein Bürger, mit dem ich in zentralen Fragen nicht übereinstimme. Darum geht es in der Kampagne. Er ist kein Araber.“

Zehn Jahre liegt die Szene nun zurück. Doch innerhalb kürzester Zeit wird der 30-sekündige Clip nun Hunderttausende Mal geteilt. Als der 81-jährige Senator am Sonnabendnachmittag auf seiner Ranch in Arizona dem Tumor erliegt, der seit einen Jahr in seinem Kopf wütete, ist er nicht nur im Netz längst zu einem Idol und Helden geworden. „Ein Löwe ist von uns gegangen“, klagt die republikanische Senatorin Susan Collins. Und so empfinden es viele Menschen in den USA.

Der scharfe Kontrast zu Trump

Die Lebensgeschichte des konservativen Admiralssohn gibt genug her, um ihn zu einer Legende zu machen. Doch letztlich verständlich wird das bedrückende Verlustgefühl, das die Amerikaner nun befällt, aus einem scharfen Kontrast heraus. Aus dem Kontrast zwischen einem Menschen wie McCain, der von Charakter, Prinzipien und Selbstdisziplin geprägt war, und dem derzeitigen Amtsinhaber im Weißen Haus. Ein Präsident, der McCain nicht als Helden sehen wollte und ihm den bemerkenswert unverschämten Satz zurief: „Ich mag Leute, die nicht gefangen werden, okay?“ So sagte es Donald Trump.

Er hoffte auf ein zweites Leben, und er bekam es

Zweimal hat John McCain versucht, sich in seiner Zelle in Hanoi umzubringen. Zweimal war er so weit, dass er die Schläge, die Schmerzen und die Verhöre nicht mehr ertragen konnte. Und auch die Einsamkeit nicht, denn er war schon lange nicht mehr John McCain, er war nur noch 3-2,1-3,1-3,1-1,2-4,3-3. Das ist die Abfolge der Klopfzeichen, die nach dem Code der amerikanischen Gefangenen seinen Nachnamen ergaben. Und so klopfte er immer wieder 3-2,1-3,1-3,1-1,2-4,3-3 gegen die Mauern, um den anderen zu zeigen: Ich bin noch da. Er hoffte auf ein zweites Leben, und er bekam es.

Ja, McCain hat aus dem Vietnam-Krieg gelernt, Folter und Misshandlungen verabscheut. Aber er war kein Pazifist. Es ist noch nicht so lange her, da galt McCain auch als Hardliner, als Relikt des Kalten Krieges. Im vermeintlichen Dienst für die Demokratie hat er stets eine interventionistische Politik der USA unterstützt. Bis zuletzt hatte er den Irakkrieg verteidigt. Doch als Vertreter des traditionellen Parteiflügels stand er stets für demokratische Werte, freien Handel und liberale Einwanderungsgesetze, die Trump offen bekämpft.

Seine Autobiographie, die McCain im Frühjahr schon sterbenskrank veröffentliche, macht den Kontrast überdeutlich: „Er scheint nicht interessiert am moralischen Charakter von Führern und ihren Regierungen“, schrieb der Senator da über den aktuellen Präsidenten: „Der Anschein von Härte scheint ihm mehr als Werte zu bedeuten. Schmeicheln sichert seine Freundschaft, Kritik seine Feindschaft.“ Als Trump in seiner Amtseinführungsrede die Presse als „Feind des Volkes“ diffamierte, kommentierte McCain: „So fangen Diktaturen an“. Im Juli des vorigen Jahres stimmte er dann im Senat gegen die Gesundheitsreform des Präsidenten. Spätestens damit war die Feindschaft zwischen den beiden Politikern besiegelt.

„Das ist egal. Der stirbt sowieso.“

Trump-Fans begannen im Internet den Kriegsveteranen zu verhöhnen. Eine Sprecherin des Weißen Hauses kommentierte McCains Kritik an der durch Foltervorwürfe belasteten neuen CIA-Chefin Gina Haspel mit den Worten „Das ist egal. Der stirbt sowieso.“ Und als Trump kürzlich vor Soldaten eine halbe Stunde lang das nach dem Senator benannte 716-Milliarden-Dollar-Militärausgabengesetz lobte, erwähnte er den Namen McCains nicht ein einziges Mal.

Denkbar knapp fällt nun auch die Würdigung aus, die der Präsident dem Verstorbenen zukommen lässt. Nur eine Beileidsbekundung für die Familie, der er seiner Gebete versicherte, brachte Trump per Twitter heraus. Hingegen erklärte der ehemalige Präsident George W. Bush: „John McCain war ein Mann von tiefer Überzeugung und ein Patriot höchsten Ranges“. Und Barack Obama betonte, er habe trotz vieler Unterschiede gemeinsame Ideale mit McCain gehabt. Dieser habe dem Land gezeigt, wie man das Wohl der Allgemeinheit über das eigene stellen könne: „Dafür stehen wir alle in seiner Schuld“.

Der angesehenste Kritiker Trumps

Mit McCains Tod verlieren die Republikaner den prominentesten und angesehensten Kritiker des Präsidenten. Zugleich schrumpft ihre Mehrheit im Senat auf eine einzige Stimme. Kurzfristig könnte das die Nominierungspläne Trumps für den neuen Bundesrichter Brett Kavanaugh verzögern, den die Demokraten verhindern wollen. Mittelfristig wird das Regieren für Trump möglicherweise aber leichter. Nicht nur McCain, der den Verteidigungsausschuss leitete, fällt als mächtiger Gegenspieler weg. Auch Bob Corker, der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, tritt bei den Zwischenwahlen im November nicht erneut an.

Der Leichnam von John McCain soll im Washingtoner Kapitol aufgebahrt werden – eine Ehre, die nur wenigen Senatoren zuteil wird. Die offizielle Trauerfeier soll in der National Cathedral stattfinden, bevor McCain in Annapolis beigesetzt wird. Der Veteran hat seinen eigenen Abschied genau geplant. Die Trauerreden sollen die ehemaligen Präsidenten Bush und Obama halten. Der amtierende Präsident Trump hingegen, das hatte der Todkranke noch erklärt, der sei an seinem Grab nicht erwünscht.