Stanisics „Vor dem Fest“: Luxuriöse Lesung statt Theater-Abend
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Stanisics „Vor dem Fest“: Luxuriöse Lesung statt Theaterabend

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Eine Schauspielerin in Kittelschürze und mit wirren, halblangen Haaren steht im Vordergrund, im Hintergrund drängen sich fünf Personen zusammen und beobachten sie.
Schnelle Kostümwechsel machen aus einer Teenagerin eine Mittfünfzigerin. © Katrin Robbe

Das Schauspiel Hannover bringt Sasa Stanisics Roman „Vor dem Fest“ auf die Bühne, schafft es aber nicht, daraus eine echte Theatervorführung zu machen.

Hannover – Am Schauspiel Hannover gibt es aktuell einen ausgeprägten Trend, Stoffe auf die Bühne zu bringen, die ursprünglich nicht fürs Theater geschrieben wurden. Zugleich fällt eine gewisse Vorliebe für chorisch geprägte Inszenierungen auf. Dass beides sowohl einen hohen Unterhaltungswert als auch manche Tücken haben kann, zeigt nun die Umsetzung von Sasa Stanisics Erfolgsroman „Vor dem Fest“ im Schauspielhaus. Regie führt Lars-Ole Walburg, der somit an den Tatort zurückkehrt – er war in Hannover der direkte Vorgänger von Intendantin Sonja Anders.

Der Chor als zentrales Element ist hier kein Regieeinfall, sondern eine Übernahme: Stanisic lässt ein „Wir“ sprechen, das zugleich eine Bestandsaufnahme betreibt und als kollektives Gedächtnis fungiert. Der Text kreist um Vergangenheit, Gegenwart und nahe Zukunft des fiktiven Dorfs Fürstenfelde in der Uckermark, das offenbar allerlei Parallelen zum realen Ort Fürstenwerder aufweist – ohne dass man allerdings von einem Schlüsselroman sprechen kann. Und es geht zwar auch, aber keinesfalls ausschließlich um ostdeutsche Befindlichkeiten, mit denen sich der gebürtige Rostocker Walburg gut auskennt.

Der Regisseur beherrscht die Klaviatur der Theatermittel souverän, und das ist bei der Umsetzung eines Prosatextes im besonderem Maße gefragt. So lässt Bühnenbildner Robert Schweer in lichter Höhe ziemlich aus der Zeit gefallene Gegenstände vom Spielautomaten über die Trockenhaube bis zum Schild einer Bushaltestelle schweben, während sich im Verlauf öfters Podeste heben oder senken. Für akustische Momente, durchaus sehr geschmackvolle, sorgt Musiker Lars Wittershagen, der hier und da auch ein bisschen mitspielt. Die Kostüme von Nina Gundlach sind eher zweckdienlich als abgehoben und werden zuweilen in Windeseile gewechselt.

Die eigenartige Mischung aus Nostalgie, Aberglaube und Trotz auf der Bühne des Schauspiel Hannover hat etwas Anrührendes.
Die eigenartige Mischung aus Nostalgie, Aberglaube und Trotz auf der Bühne des Schauspiel Hannover hat etwas Anrührendes. © Katrin Robbe

Denn für die zahlreichen Figuren, die immer wieder aus dem Chor hervortreten, zeichnet ein nur sechsköpfiges Ensemble verantwortlich. Walburg konnte dabei auf die besonders profilierten Akteure Johanna Bantzer, Nikolai Gemel, Philippe Goos, Lukas Holzhausen und Viktoria Miknevich zurückgreifen, während Gast Katja Gaudard früher einige Hauptrollen in hannoverschen Inszenierungen gespielt hat und nach einem Intermezzo an der Berliner Volksbühne nun freischaffend tätig ist.

Das Sextett tummelt sich ausgiebig im tragikomischen Bereich, haben die besagten Figuren doch allesamt einen mehr oder minder schweren Knacks weg – seien es nun die steinalte Malerin Kranz, die beiden Fremden, die ausschließlich in Reimen sprechen, oder Herr Schramm, seines Zeichens „ehemaliger Oberstleutnant der NVA, dann Förster, jetzt Rentner und, weil es nicht reicht, schwarz bei Von Blankenburg Landmaschinen“. Teilweise sind die Umschwünge nachgerade virtuos, wenn etwa Miknevich im Handumdrehen die Teenager-Attitüde gegen das Gehabe einer Mittfünfzigerin tauscht oder Goos von Lada, dem Mann fürs Grobe, zu einem leicht unterbelichteten Reporter mutiert.

Wofür das Fest steht, weiß eigentlich keiner mehr

Da kommen auch mal ein paar ironische Momente ins Spiel, aber in erster Linie denunzieren weder Autor noch Regisseur die Figuren. Diese eigenartige Mischung aus Nostalgie, Aberglaube und Trotz hat durchweg etwas Anrührendes – dass es in Fürstenfelde mehr Todesfälle als Geburten gibt, ist den Einwohnern durchaus bewusst, aber unbeirrt erzählt man sich weiter die gar schrecklichen Gruselgeschichten aus der Dorfchronik, glaubt an ein Weiterbestehen – oder will zumindest daran glauben – und freut sich auf das unmittelbar bevorstehende Fest, obwohl niemand mehr weiß, worum es bei dieser Tradition eigentlich geht.

So weit, so gut. Aber es gibt Minuspunkte, und sie fallen ins Gewicht: So ist es auf Dauer schwer, der Sprache in allen Details zu folgen, und die Vorstellung ist mit knapp zwei pausenlosen Stunden arg lang. So dass früher oder später die Faszination zu schwinden beginnt und dem Eindruck weicht, einer szenischen Lesung beizuwohnen, wenn auch einer außerordentlich luxuriösen – unter Theater versteht man dann doch letztlich etwas anderes.

Weitere Veranstaltung: Am 25. Februar um 19 Uhr gibt es im Schauspielhaus eine Lesung von und mit Autor Sasa Stanisic. Angekündigt ist eine Werkschau unter dem eigenwilligen Titel „Gegen das Kind in Memory gewinnen“.

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