Bad Segeberg. Rückblick auf ein Leben: Ein Hausbesuch 2019 beim Ex-Landrat des Kreises Segeberg. Wie Weggefährten ihn erlebten.

„Knorrig“ war er, „gradlinig“, „preußisch korrekt“: So beschreiben Weggefährten den früheren Segeberger Landrat Anton Graf Schwerin von Krosigk. Vor 32 Jahren ist er nach exakt 8888 Tagen aus seinem Amt verabschiedet worden, aber viele Entscheidungen, die er maßgeblich auf den Weg gebracht hat, wirken im Kreis Segeberg bis heute nach.

In einigen Dingen war „der Graf“, wie er von seinen Mitarbeitern liebevoll genannt wurde, der Zeit weit voraus: Im Januar 1981 wurden bundesweit erstmals in einer Behörde Computer eingesetzt. Damals eine aufsehenerregende Angelegenheit, die bundesweit Schlagzeilen machte, In den meisten Unternehmen der freien Wirtschaft begann das Computerzeitalter erst später – von anderen bundesdeutschen Behörden gar nicht zu reden.

Im Souterrain ist eine erstaunliche Bibliothek untergebracht

Ortstermin am 6. November 2019: Besuch bei Anton Graf Schwerin von Krosigk in seinem Haus in Bad Segeberg. Der ehemalige Landrat öffnet die Tür persönlich und bittet seinen Gast hinein. Vom Flur aus geht es ins Souterrain, wo eine erstaunliche Bibliothek untergebracht ist. Viele ältere, zum Teil in Leder gebundene Bücher fallen in den Regalen auf, davor stehen gediegen aussehende Ledermöbel.

Graf Schwerin nimmt in einem der Sessel Platz, kerzengrade, so wie man es schon vor 30 Jahren, als er noch Landrat des Kreises Segeberg war, erlebt hat. Auch die Stufen in die unteren Räume nimmt er flott und flüssig – 94 Jahre alt ist er zu diesem Zeitpunkt. Anlass des Besuches ist ein geplanter Artikel über den Fall der Berliner Mauer vor genau 30 Jahren. Welche Erinnerungen hat der Graf an jenen Tag am 9. November 1989? Er weiß es noch recht genau und erzählt, wie er den Tag erlebt hat.

 Anton Graf Schwerin von Krosigk in der Bibliothek im Souterrain seines Hauses. Dort empfing er häufig seine Gäste.
 Anton Graf Schwerin von Krosigk in der Bibliothek im Souterrain seines Hauses. Dort empfing er häufig seine Gäste. © Frank Knittermeier | Frank Knittermeier

Die CDU wollte ihn als Landrat nicht haben

Bei diesen kurzen Informationen aber bleibt es nicht an diesem Vormittag. Anton Graf Schwerin von Krosigk erzählt von seinem Leben und dem Leben seiner Familie. Von den ehemaligen Gütern in Mitteldeutschland, vom DDR-Regime beschlagnahmt, aber inzwischen von einem Vetter Stück für Stück zurückgekauft.

Und er berichtet, was heute kaum noch jemand weiß: Bevor er 1966 zum Landrat gewählt wurde – damals übrigens auf Initiative der FDP und gegen die Stimmen der CDU – hatte er bereits einen ersten, vergeblichen, Anlauf genommen.

1959 bewarb Anton Graf Schwerin von Krosigk noch vergeblich um den Landratsposten

Bereits 1959 hatte sich der Verwaltungsjurist Anton Graf Schwerin von Krosigk, der am 21. Juni 1925 im nordrhein-westfälischen Heeren-Werve geboren wurde, erstmals als Landrat im Kreis Segeberg beworben. Damals erschien der Sohn des früheren Reichsfinanzministers Johann Ludwig Graf Schwerin von Krosigk den meisten Politikern noch zu jung für dieses Amt. Gewählt wurde damals ein anderer.

Im zweiten Anlauf wurde der Graf im Alter von 41 Jahren zum Landrat des Kreises Segeberg gewählt. Bis zum 3. Juli 1990 blieb er im Amt. Zweimal wurde er während seiner Amtszeit wiedergewählt.


Die Landräte der letzten 56 Jahre (von links): Jan Peter Schröder, Jutta Hartwieg, Georg Gorrissen und Anton Graf Schwerin von Krosigk.
Die Landräte der letzten 56 Jahre (von links): Jan Peter Schröder, Jutta Hartwieg, Georg Gorrissen und Anton Graf Schwerin von Krosigk. © HA | Frank Knittermeier

Gutes nachbarschaftliches Verhältnis

Nach dem etwa einstündigen Gesprächs eilt Graf Schwerin die Treppe in das Erdgeschoss behände wieder hinauf. Kerzengerade steht er an der Tür, verabschiedet den Gast freundlich und weist noch kurz darauf hin, wie gut das nachbarschaftliche Verhältnis in dieser Straße ist. Es bleibt der Eindruck, dass in diesem gediegenen, aber unauffälligen Haus ein Mann wohnt, der immer noch mitten im Leben steht. 94 Jahre? Auf 65, höchstens 70 Jahre, könnte er geschätzt werden.

Welche Erinnerungen haben ehemalige Weggefährten an den ehemaligen Landrat? Einer, der ihn neun Jahre an der Spitze der Kreisverwaltung erlebt hat, ist Klaus-Peter Schroeder, damals in den 1980er-Jahren „normaler“ Kreistagsabgeordneter, heute am selben Ort Fraktionsvorsitzender der FDP. „Der Mann hat kein Geschwafel zugelassen“, sagt der Kreispolitiker aus Norderstedt. Auf den alten Landrat lässt er nichts kommen, nur gute Erfahrungen habe er mit ihm gemacht.

Als Landrat war Graf Schwerin bodenständig und gradlinig

Schroeder erinnert sich, dass die Grünen einst versucht hatten, dem Grafen nationalsozialistische Tendenzen zu unterstellen. „Die mussten aber einen Rückzieher machen.“ Weder während seiner aktiven Zeit, noch später sei er jemals in Verdacht gekommen, in diese rechte Richtung zu tendieren. „Er war bodenständig und gradlinig“, erinnert sich der FDP-Politiker. „Für die damalige Zeit ein guter Mann.“

Das bestätigen auch andere Politiker, die Anton Graf Schwerein von Krosigk noch aus seiner aktiven Zeit kennen. „Nut Gutes“ weiß der frühere SPD-Fraktionsvorsitzende Arnold Wilken zu berichten. Als Kreistagsabgeordneter und Bürgermeister von Högersdorf hatte er früher engen Kontakt zum damaligen Landrat.

Von seinen Mitarbeitern verlangte der Landrat viel

Der FDP-Politiker Wolfgang Schnabel aus Bad Segeberg spricht von einer „eindrucksvollen Persönlichkeit“, sein früherer Fraktionskollege Joachim Behm aus Bad Bramstedt beschreibt ihn so: „Ein vorbildlicher Herr, der seinen Beruf ernst nahm und ein absoluter Sachkenner war.“ Er habe immer den Eindruck gehabt, dass er seinen Beruf gerne ausübt.

Innerhalb der Kreisverwaltung wurde Graf Schwerin von Krosigk hoch geschätzt, aber auch ein wenig gefürchtet. „Ich habe von meinen Mitarbeitern viel verlangt“, sagte er einmal. Seiner Einschätzung nach gehörte die Segeberger Kreisverwaltung während seiner Dienstzeit zu den effizientesten in Schleswig-Holstein. „Meine Kreisverwaltung war die beste im Lande, und das lag daran, dass meine Mitarbeiter mit viel Schwung und Freude arbeiteten“, sagte er während einer Rede anlässlich seines 90. Geburtstages.

In die Amtszeit des Landrats fiel auch die Gründung der Stadt Norderstedt

Was bleibt, wenn ein Landrat nach 24 Jahren Dienstzeit geht? Im Falle von Anton Graf Schwerin von Krosigk eine ganze Menge – zumal im Kreis zu seiner Zeit eine deutliche Aufbruchsstimmung spürbar war. In die Amtszeit des Landrates a. D. fielen wichtige Neuerungen und Entscheidungen für den Kreis. So wurde der Kreis Segeberg durch die Kreisgebietsreform von 1970 und die Gründung der Stadt Norderstedt schlagartig erheblich größer.

Die Errichtung der zentralen Mülldeponie in Damsdorf und Tensfeld, der Bau des Kreiskrankenhauses Kaltenkirchen, der Kreisberufsschule in Norderstedt, der Kreissporthalle in Bad Segeberg und die Erweiterung der Kreisberufsschule waren weitere Ereignisse. Ebenso gehören die Gründung der Kreismusikschule und der Aufbau eines Netzes an Beratungsstellen zu den Leistungen des Kreises in Graf Schwerins Amtszeit.

Die U-Bahn-Verlängerung nach Norderstedt-Mitte wollte der Landrat nicht

Nicht immer lag der damalige Landrat richtig. So sprach er sich klar gegen den Bau der U-Bahn von Garstedt nach Norderstedt-Mitte aus und empfahl stattdessen, lieber die Alster-Nord-Bahn zu modernisieren und im Zehn-Minuten-Takt fahren zu lassen. Hätten die Politiker damals auf ihren Landrat gehört, würde Norderstedt heute vermutlich anders aussehen.

Die Familie – Anton Graf Schwerin von Krosigk und seine im vergangenen Jahr im Alter von 95 Jahren verstorbene Ehefrau Hildegard haben vier Kinder – bedeutete ihm viel. In den 1980er-Jahren ließ Graf Schwerin zum Beispiel im Foyer des Kreistagssitzungssaales ein großformatiges Bild aufhängen, dass sein damals in New York lebender Sohn Wilfried angefertigt hatte. Der nämlich ist ein Maler, Dozent und Drehbuchautor, dessen Werke in vielen großen Kunstmuseen, auch im New Yorker Museum of Modern Art, zu sehen sind. Einige Zeit was das Gemälde abgehängt, jetzt ist es aber wieder im Kreishaus zu sehen.