Normalerweise kommt es bei einer großen Angriffsoperation nicht auf die Minute an. „Dies war aber hier der Fall“, erinnerte sich der ehemalige Nato-Oberbefehlshaber in Mitteleuropa, Johann Adolf Graf von Kielmansegg (1906–2006) an den Westfeldzug im Zweiten Weltkrieg 1940. „Wenn wir nicht am 13. Mai abends über die Maas waren, dann war die Sache gescheitert, weil die Franzosen nun erkennen würden, dass der Schwerpunkt hier bei Sedan lag und nicht im Norden.“
Als Hauptmann im Generalstab war Kielmansegg 1940 für die Logistik der deutschen 1. Panzerdivision verantwortlich. Diese bildete mit zwei weiteren Panzerdivisionen unter dem Befehl Heinz Guderians die Speerspitze der sogenannten Panzergruppe Kleist, die den „Sichelschnitt“ ausführen sollte. Mit dieser Operation wollte die Wehrmacht die französischen und britischen Armeen ausschalten, die nach dem deutschen Überfall auf die Benelux-Staaten am 10. Mai 1940 in Belgien eine Verteidigungslinie aufbauten.
Der „Sichelschnitt“ sah vor, dass zunächst eine ganze deutsche Heeresgruppe von Norden aus eine Offensive wie im Ersten Weltkrieg vortragen sollte. Wenn die Alliierten daraufhin zum Gegenangriff übergingen, sollten sieben Panzerdivisionen von der Eifel aus durch die Ardennen zur Maas vorstoßen, dort die Befestigungen der verlängerten Maginot-Linie durchbrechen und anschließend dem Gegner in den Rücken fallen.
Gegen den Widerstand des Generalstabs hatte Hitler die Durchführung des von General Erich von Manstein entwickelten Konzepts durchgesetzt. Dafür wurden 1200 Panzer und fast 40.000 Fahrzeuge zum größten motorisierten Verband zusammengefasst, der bis dahin eingesetzt worden war. Es war ein Wettlauf, erinnerte sich Kielmansegg. Kam seine führende Division zu spät, „hätte der Gegner noch rechtzeitig operativ reagieren können“.
Um das zu verhindern, hatte der Hauptmann 20.000 Tabletten Pervitin an die Fahrer verteilt, einen Metamphetamin-haltigen Wachmacher, dessen Nebenwirkungen damals noch nicht bekannt waren. Das Hauptproblem jedoch war die Treibstoffversorgung. Denn um die vorgegebenen Ziele rechtzeitig zu erreichen, durften die Fahrzeuge keine Pausen machen.
Kielmansegg löste das Problem, indem er die präzise benötigten Mengen an Benzin in Kanistern entlang der 100 Kilometer langen Marschstrecke lagerte und die Transporter den führenden Gruppen zuwies. Den rollenden Fahrzeugen wurden die Gefäße hoch gereicht, deren Besatzungen die Tanks während der Fahrt füllten. Anschließend warfen sie die leeren Kanister neben die Straße, wo sie eingesammelt und erneut befüllt wurden.
Zwar verfügten die Alliierten über mehr und vor allem kampfstärkere Panzer. Aber ihre Generäle scheuten sich, diese in eigenständigen Großverbänden zu konzentrieren. Hinzu kam die Unterstützung durch die deutsche Luftwaffe, die es Guderians Panzer tatsächlich am 13. Mai ermöglichte, die Maas zu überqueren und anschließend die französischen Verteidigungslinien zu durchbrechen.
Von dort rollten die deutschen Panzer beinahe ungehindert zur Kanalküste. 340.000 englische und französische Soldaten konnten sich nach Dünkirchen zurückziehen. Ein Haltebefehl Hitlers ermöglichte es den Briten, die eingeschlossenen Truppen zu evakuieren.
Der „Blitzsieg“ förderte die Illusion, mit einer solchen Strategie auch den Krieg gegen die Sowjetunion gewinnen zu können. Dass es ein Vernichtungskrieg wurde, sollte Kielmansegg an der Ostfront bald erkennen. Er schloss sich den Offizieren an, die am 20. Juli 1944 das Attentat auf Hitler planten. Im Gegensatz zu vielen Kameraden überlebte er dessen Scheitern und konnte so ab 1955 in der Bundeswehr Karriere machen.
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