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Zweiter Weltkrieg Von Ribbentrop

Wie Hitlers Außenminister seine Freunde verriet

In der Weimarer Republik zählte Joachim von Ribbentrop vermögende Juden gern zu seinen Partnern und Freunden. Das änderte sich schlagartig, als er Außenminister des Dritten Reiches wurde.

Ein heiterer Schnappschuss aus den Ferien: Annelies von Ribbentrop mit ihren Kindern steht neben Fritz Bendix und seiner Tochter. Man kennt sich aus Berlin, von Cocktail-Partys und Abendessen. Joachim von Ribbentrop und seine Frau führen ein gastliches Haus in der Lentzeallee in Berlin-Dahlem. Und mit dem Textilfabrikanten Fritz Bendix von „Julius Bendix Söhne“ hält man gerne Kontakt – stammt er doch aus einer alten Berliner Familie.

Vorfahr Elkisch Joseph Bendix war schon im 18. Jahrhundert Kleiderhändler in der Jüdenstraße in Mitte (dort, wo heute der Fernsehturm steht). Nun ist Sommer 1926, wer Geld hat, macht Ferien am Meer. Und so trifft man sich in Westerland/Sylt in der Ferienvilla der Familie Bendix und plaudert über das Leben in der Hauptstadt.

Zehn Jahre später wird alles anders sein. Im September 1936 versteigert ein Auktionshaus unter Wert das Bild „Junges Paar in der Schmiede“ von Léonard Defrance. Der Fabrikant Bendix muss verkaufen, ist unter Druck. Das Geld geht ihm aus. Die großzügige Wohnung am Kurfürstendamm muss die Familie 1939 räumen, zieht erst an den Kaiserdamm, später wohnen sie in der Düsseldorfer Straße. Man zwingt ihn, den Namen Fritz Israel Bendix zu führen. Sein Textilunternehmen wird 1938/39 „arisiert“. Den Bendix ist kaum etwas geblieben. Was für ein sozialer Abstieg.

Und Ribbentrops? Die steigen auf. Joachim von Ribbentrop wird 1938 Hitlers Außenminister. Hitler ist von dem eleganten Mann beeindruckt, der so schön von London erzählen kann – eine Stadt, die Hitler niemals zu sehen bekommen wird. Und er hat ihm etwas zu verdanken. In der Ribbentrop-Villa verhandeln Hitler und von Papen unmittelbar vor der Machtergreifung miteinander, hier ist die Geburtsstunde des Dritten Reiches. 1932 tritt Ribbentrop in die NSDAP ein, seine Frau wenige Monate später. Ab Mai 1933 trägt er stolz die Ehrenuniform der SS.

Ein typischer Aufsteiger

Was für ein U-Turn. Auch die NS-Oberen wissen, dass die Ribbentrops in der Weimarer Zeit viele jüdische Freunde und Bekannte hatten. Familien wie die Bendix’. Die Zahl seiner arischen Freunde habe man damals an einer Hand abzählen können, schreibt 1943 hämisch Dr. Paul Schwarz in seinem Buch „This man Ribbentrop“ – der Autor ist ein ehemaliger Diplomat des Auswärtigen Amtes, der früh in die USA emigrierte. Ribbentrop sei halt immer dort gewesen, wo Macht und Geld zu finden war. Ein typischer Aufsteiger.

Ribbentrop ist ein leidenschaftlicher Netzwerker. Was bleibt ihm auch anderes übrig – er hat keine richtige Ausbildung, keinen Studienabschluss. Der Erste Weltkrieg kommt dazwischen. Aber er ist ein attraktiver Mann, mehrsprachig, ein ausgesprochen guter Tänzer und wunderbarer Geiger. 1920 lernt er bei einem Tennisturnier Annelies Henkell, eine Tochter des Sektdynasten, kennen – beide heiraten schnell.

Ribbentrop steigt in die Branche seines Schwiegervaters ein, er importiert Alkohol. Bald ist er der Alleinvertreter für Johnnie Walker und Pommery-Champagner. Das Geschäft mit dem Alkohol blüht; je labiler die Wirtschaft, desto exzessiver die Saufgelage. Ribbentrop wird reich. Man lässt sich gerne von ihm einladen, der Weinkeller gilt als einer der besten der Stadt. Am Ende jedes Abends lassen die Gäste ihre Visitenkarten in eine Schale gleiten – wieder ein neuer Kontakt.

Nein, ein engstirniger Nationalist war er damals nicht. „Meine Eltern unterhielten zu französischen Familien freundschaftliche Beziehungen, die sich auf mich übertrugen und nicht nur die beiden Weltkriege, sondern auch den Zusammenbruch überdauert haben“, schreibt Ribbentrop 1946 in seiner Autobiografie. Als junger Mann lebt er vor 1914 länger in London, liebt die Stadt. Danach zieht er eine Weile nach Kanada, kennt auch die USA gut.

Er beruhigt seine jüdischen Freunde

Trotzdem lässt ihn das Deutsche Reich nie los. Für immer ins Ausland gehen? Nein. „Nach dem schweren Erlebnis des Ersten Weltkrieges war ich doch wieder zu sehr mit meiner Heimat verwachsen.“ Das Schicksal Deutschlands treibt ihn um. Das verbindet ihn mit dem jüdischen Textilunternehmer Fritz Bendix. Beide Männer haben im Ersten Weltkrieg gedient, beide lehnen den Versailler Vertrag ab.

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Von der Firma „Julius Bendix Söhne“ ist ein Glückwunsch-Buch zum Firmenjubiläum erhalten geblieben. „Zum 10. Januar 1920“ beginnt es – der Geburtstag der Firma fällt ausgerechnet auf den Tag, an dem der Versailler Vertrag in Kraft tritt. „Weltereignis – Frieden voller Schmach/ward besiegelt mit dem heutigen Tag“. So lautet der erste handschriftliche Jubiläumseintrag. Flott kriegt das Glückwunsch-Gedicht die Kurve, spricht von einem „ereignisreichen schönen Tag/Der uns Arbeitssegen bringen mag!“ und endet: „Heil! – Julius Bendix Söhne – Heil!“.

Als Ribbentrop sich um 1930 den Nazis politisch nähert, beruhigt er seine jüdischen Freunde. Sie sollten das antisemitische Gerede von Hitler nicht so ernst nehmen, das sei nur Wahlpropaganda. Im Übrigen richte sich dieser Antisemitismus ausschließlich gegen Ostjuden. „Hitler“, so zitiert ihn Schwarz aus seiner Erinnerung, „weiß genau, dass die Zahl der gefallenen deutschen Juden im letzten Krieg höher gewesen ist als die Zahl der gefallenen Aristokraten.“

Erstaunlich: Noch 1935 erhält der „Fabrikant“ Fritz Bendix – wie viele andere - „im Namen des Führers und Reichskanzlers“ das „Ehrenkreuz für Kriegsteilnehmer“. Eine Auszeichnung. Aber sie ist nichts mehr wert.

„Das Urteil ist völlig unhaltbar“

Im allerletzten Moment – 1941 – verlässt das Ehepaar Bendix Deutschland und gelangt über Russland, China und Japan in die USA. Die beiden Töchter sind schon vorher rausgekommen. Alles muss für die Ausreise in langen Listen deklariert werden, jede Kleinigkeit: 2 Zahnputzgläser, 2 Schlafanzüge, Nachthemden, 1 Mieder. In San Francisco angekommen, ändern beide den Vornamen. Nun heißen sie Frederic and Joanne Bendix. Die Fabriken in Schlesien, Österreich und der Tschechoslowakei sind verloren. Mr. Frederic Bendix muss als Vertreter anfangen. Aber sie leben.

Und Ribbentrop? Der behauptet nach dem Krieg, niemals Antisemit gewesen zu sein. Zwar hätten ihn einige Juden in der Weimarer Zeit gestört, die sich in „nicht immer erfreulicher Form politisch, wirtschaftlich und kulturell betätigten“, schreibt er nach dem Krieg aus seiner Zelle in Nürnberg. „Gerechter Weise muß ich aber auch sagen, daß ich in dieser Zeit viele jüdische Familien kannte, die genau so dachten wie meine streng national eingestellten Freunde und ich und ebenso unter der Niederlage litten, wie wir alle.“

Den Anklägern von Nürnberg fehlen damals die Dokumente, die Ribbentrop direkt mit dem Holocaust in Verbindung bringen. Alle Fragen perlen einfach an ihm ab. Nein, vom Judenmord will er nichts gewusst haben. „I don’t know at all.“ Die Ausflüchte helfen ihm nicht. Am 16. Oktober 1946 wird Joachim Ribbentrop in Nürnberg als Kriegsverbrecher hingerichtet. „Daß das Urteil völlig unhaltbar ist, weiß jeder“, schreibt er seiner Frau. Seine alten Freunde haben das anders gesehen.

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