Trailer & Kritik: „Jim Knopf und die Wilde 13“ - WELT
WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Film
  4. Trailer & Kritik: „Jim Knopf und die Wilde 13“

Film „Jim Knopf und die Wilde 13“

Ein Spiegel des identitätssuchenden Deutschlands

Redakteur Feuilleton
„Jim Knopf und die Wilde 13“

Molly ist von der Wilden 13, einer Piratenbande, entführt worden. Jim Knopf und sein bester Freund Lukas der Lokomotivführer müssen sie unbedingt befreien. Dafür ist ihnen kein Weg zu weit, kein Wasser zu tief und kein Berg zu hoch.

Quelle: Warner Bros. Pictures

Autoplay
Dennis Gansel setzt seine Monumentalverfilmung von Michael Endes Kinderbuchklassiker „Jim Knopf“ fort. Noch spektakulärer, noch rasanter. Die eigentliche Geschichte kommt kaum vor. Sie könnte nicht deutscher und nicht wichtiger sein.

Es gibt Geschichten, die verhalten sich wie umgekehrte Scheinriesen. Scheinriesen, das sind – man muss das inzwischen vielleicht doch erklären – Wesen, die von Ferne riesig wirken, aber immer kleiner werden, je näher man ihnen kommt.

Michael Ende hat so einen Scheinriesen erfunden. Herr Tur Tur heißt er, und er leidet sehr darunter. Weil scheinbare Riesenhaftigkeit einsam macht.

Lesen Sie auch

Das kennt jeder Chef eines hierarchisch organisierten Unternehmens, wenn er sich noch einen Rest Menschlichkeit bewahrt hat. Aber das nur nebenbei.

Oder vielleicht gerade nicht nebenbei. Weil wir damit schon mitten in der Geschichte sind, die sich wie ein umgekehrter Scheinriese verhält.

Eine sehr deutsche Heldengeschichte

Eigentlich – und so von fern, aus der Erinnerung – ist die Geschichte, man kann sie jetzt in all ihrer Grandiosität im Kino bewundern, eine ganz einfache. Eine Heldengeschichte. Eine sehr deutsche noch dazu.

Von einem Helden mit ungeklärter Herkunft, der auszieht sich selbst zu finden. Was anders nicht geht, als dadurch, dass er seine Wurzeln, seine Heimat, seine Herkunft findet. Eine Abenteuergeschichte. Eine Nummernrevue.

Shoot Day 37 of 53; Sc 26, 25, 27: Gurumusch - Magnetic Rock / Chute / Hatch: Jim (SOLOMON GORDON) looking up at opening of chute. Jim and Luke (HENNING BAUM) look down into hatch in the ground. Jim and Luke reach the bottom. Jim Knopf und die Wilde 13 2020 Wams Kultur 27.09.2020
Immer mehr Licht in das Rätsel der Herkunft bringen Solomon Gordon als Jim und Henning Baum als Lukas
Quelle: Photography by Joe Alblas Warner Bros

Michael Ende hat sie erfunden. Jim Knopf heißt der Held. Ein schwarzes Baby. Im Postpaket gestrandet auf Lummerland, der Insel mit zwei Bergen, einem komischen König, einem Lokomotivführer, einer Frau namens Waas und einem Extrembürokraten namens Ärmel.

Dass der Anfang von „Jim Knopf und die Wilde 13“ von Nebel bestimmt ist – es gehen vor Lummerland ständig Schiffe zu Bruch, weil sie nichts mehr sehen. Man braucht einen Leuchtturm – ist natürlich auch metaphorisch. Aber auch das nur nebenbei.

Über Meere und Berge bis nach Mandala, bis nach China, ist er mit Lukas, dem Lokomotivführer, und Emma, der Dampflok, gereist in Endes erstem „Jim Knopf“-Buch und in Dennis Gansels erstem Film. Letzterer war mit zwei Millionen Zuschauern der erfolgreichste deutsche Kinofilm 2018 und einer der teuersten zudem.

„Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“

Auf nach Lummerland. Im Kino startet jetzt die Realverfilmung „Jim Knopf und Lukas der Lokomotovführer“. Mit Solomon Gordon als Jim Knopf und Henning Baum als Lukas, geht es auf eine Insel mit zwei Bergen.

Quelle: WELT

Anzeige

Auf der Suche nach sich selbst war Jim schon in Teil eins, hat Halbwesen getroffen, Kinder befreit, die wie er waren (nämlich entführt von Piraten, die sich die Wilde 13 nennen). Und hat einen fiesen Drachen überwältigt. Der, wenn er erstmal zum Goldenen Drachen der Weisheit geworden ist, ihm das Rätsel seiner Herkunft preisgeben wird.

Bevor wir jetzt zur eigentlich unverfilmbaren Scheinriesenhaftigkeit von „Jim Knopf und die Wilde 13“ kommen, müssen wir Dirk Ahner würdigen, der hat – den Druck von Millionen Ende-Lesern und fundamentalistischen Augsburger-Puppenkisten-Nostalgikern im Nacken – Endes Roman auf eine schnörkellose, familientaugliche Geschichte reduziert.

Ein Stationendrama mit maximalen Schaueffekten, das Dennis Gansel fast noch überzeugeder als vor zwei Jahren mit geradezu perfider Perfektion in ein Überwältigungskino umgesetzt hat, wie man das von einem deutschen Film fast noch nie gesehen hat.

Shoot Day 14 of 53; Sc 97: Land That Must Not Be / Pirate Ship: Han Gong (HON PING TANG) and Jim (SOLOMON GORDON) looking out for Luke (HENNING BAUM) and pirates, pull them aboard. LiSi (LEIGHANNE ESPERANZATE). Jim Knopf und die Wilde 13 2020 Wams Kultur 27.09.2020
Endlich mal nicht nur Kulissen aus Nullen und Einsen: Szene aus "Jim Knopf und die Wilde 13"
Quelle: Photography by Joe Alblas Warner Bros

Ein technisch hochgerüstetes Märchen, dem man trotzdem seine Gemachtheit, die Herkunft aus handwerklich hergestellten Kulissen genauso ansieht wie den Puppenkistenfilmen der Sechziger ihre Klarsichtfolienmeere und die Fadenführung der Figuren.

Was man da sieht auf der Leinwand und was als Familienfilm das beste ist, was man sich in diesem Jahr anschauen kann, ist allerdings gewissermaßen nicht viel mehr als Herr Tur Tur im quasi gesetzlich vorgeschriebenen Corona-Abstand.

Lesen Sie auch
Wien, Michael ENDE, Schriftsteller, Autor, Die unendliche Geschichte; |
Michael Endes letztes Buch

Endes fast sechzig Jahre alte Legende vom fremden Kind, das als Gestrandeter unter Fremden aufwächst, beweist vielleicht gerade dadurch seine Überzeitlichkeit, dass Gansel sich so gar nicht darum kümmert, sie hervorzuheben. Sie zu aktualisieren. Einzusteigen in die Rassismusvorwürfe, die gerade auch gegen „Jim Knopf“ laut wurden in den vergangenen Jahren.

Vorwürfe, die sich aus den zugegeben eher problematischen Originalillustrationen und der leicht klischierten Gestaltung des Augsburger-Puppenkisten-Jim herleiteten. Und schon deswegen absurd waren, weil Ende mit seinem Erzählen bewusst gegen die Rassenideologie der Nationalsozialisten anging. Ein Kämpfer gegen die Entzauberung, die schnöde Nutzbarmachung der Welt: das denkbar falsche Opfer der Cancel Culture.

Wer sich selbst sucht, findet den anderen: Jim Knopf (XXX, r.) und XXX (XXX, l.)
Die Lummerländer (v.l.): Leighanne Esperanzate (Li Si), Annette Frier (Frau Waas), Uwe Ochsenknecht (König Alfons), Christoph Maria Herbst (Herr Ärmel), Solomon Gordon (Jim) und He...nning Baum (Lukas)
Quelle: Warner Bros
Anzeige

Jim Knopf, der seine geschichtlichen Wurzeln vielleicht in Jemmy Button hatte, dem Feuerländer-Jungen, der mit Charles Darwin fuhr, ist nämlich nicht nur ein Fremder, der in der Fremde glücklich wird, eine Heimat findet, ohne dass er das merkt.

Er ist ein Fremder unter Fremden, die einander selbst fremd sind. Die sich selbst die Frage ihrer Herkunft stellen müssten.

Wie kam Lukas nach Lummerland?

Weiß jemand etwas über die Dynastie von Alfons dem Viertelvorzwölften? Wie Frau Waas auf Lummerland strandete oder Herr Ärmel? Wie Lukas mit seiner Lok auf die Insel kam?

Lummerland ist ein Spiegel des identitätsvergessenen Deutschlands der Sechziger und des identitätssuchenden Deutschlands von heute.

Shoot Day 01 of 53; Sc 80 pt 3; Land that must not be / Cave: Jim (SOLOMON GORDON) tricks Pirates, they fight, knock each other out. Jim cuffs them. Pirate Captain (RICK KAVANIAN). Jim Knopf und die Wilde 13 2020 Wams Kultur 27.09.2020
Ihn gibt es zwölf Mal: Rick Kavanian ist alle Piraten der Wilden 13
Quelle: Photography by Joe Alblas Warner Bros

Weil wir nicht nur wie die Lummerländer sind. Sondern auch wie die Piraten. Die Wilde 13, die nur zwölf sind. Alle gleich. Alle mit nicht mehr an Identität als einem Buchstaben.

Piraten, denen Jim, der selbst ziemlich zufällig zu seinem Namen kam, in der vielleicht schönsten Szene Namen gibt. Und damit ein Leben, ein Wesen schenkt.

Ein Ort, an dem man glücklich ist

So geht das weiter. Hinter jedem Spektakel öffnet sich die nächste Tür zum Verständnis der Geschichte, der Gegenwart, der Welt.

Und am Ende, das ist vielleicht das Tröstlichste für alle, die sich vertrieben fühlen oder bedroht von Fremden oder die geflüchtet sind, am Ende gibt es für alle einen Ort, an dem sie glücklich werden.

Das ist, so klein die Geschichte anfangs auch daherkommen mag, schon ziemlich groß. Geradezu riesenhaft groß.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema