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Wie Gesundheitsminister Jens Spahn mit Politik Millionen machte


Wie Jens Spahn mit Politik Millionen machte

  • Jonas Mueller-Töwe
Von Jonas Mueller-Töwe

Aktualisiert am 29.03.2021Lesedauer: 13 Min.
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Jens Spahn, der Millionen-Minister: "Der wollte ganz hoch hinaus", sagt jemand aus der Fraktion.Vergrößern des Bildes
Jens Spahn, der Millionen-Minister: "Der wollte ganz hoch hinaus", sagt jemand aus der Fraktion. (Quelle: ullstein-bild)

Das Vermögen des Gesundheitsministers ist kein Zufall. Recherchen von t-online zeigen: Spahn verknüpfte von Beginn an seine Karriere mit Investments. Es ist sein System des Aufstiegs.

Hartz IV bedeutet noch lange keine Armut. Eine Rentenerhöhung ist in erster Linie ein Wahlgeschenk für Senioren. Wer fürs Alter vorsorgt, darf nicht der Gekniffene sein.

Das sagt nicht irgendwer, sondern Jens Spahn. Ein Mann, der noch nie einen Hehl daraus gemacht hat, dass er sich den Job des Kanzlers zutraut. Wenn es um Fragen der sozialen Gerechtigkeit geht, war der heutige Gesundheitsminister noch nie um scharfe Worte verlegen. "Vorpreschen", nennt das einer seiner ältesten Vertrauten. Spahn sei schon immer "sehr ehrgeizig" gewesen.

Spahn, der mit seinen 40 Jahren bereits fast die Hälfte seines Lebens im Bundestag verbracht hat, beherrscht die Mechanismen der politischen Eigenvermarktung wie nur wenige andere. Hauptsache, die Lautstärke stimmt – und das, was beim Publikum hängen bleibt. Trotz vieler Zweifler hat er immer wieder politisch davon profitiert. Spahn kann Lautsprecher, Spahn kann Kampfkandidatur – und eines Tages möglicherweise auch Kanzler.

Das ist die eine Seite des Gesundheitsministers, die öffentliche, die politische. Die Seite, die es notwendig macht, auch die andere Seite des Jens Spahn zu erzählen.

Die nennen seine Anwälte privat. Seit den ersten Berichten über Spahns neue Berliner Villa haben sie sich große Mühe gegeben, diese Sicht der Dinge gegenüber Medien und Gerichten überzeugend darzulegen. Deshalb darf t-online bis heute den konkreten Kaufpreis nicht nennen. Der Minister hätte, im Gegensatz zu seinen markigen politischen Positionen, über die Immobilie gern gänzlich Stillschweigen bewahrt.

t-online hat ihn für diesen Artikel ausführlich um Stellungnahme gebeten, aber keine Antwort erhalten.

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Spahn ist möglicherweise bewusst, dass es sich im Sommer 2020 nicht um den optimalen Zeitpunkt für eine solche Akquise handelte. Hängen blieb: Als zahllose Menschen angesichts der Corona-Krise in Kurzarbeit waren oder bereits ihren Job verloren hatten, ging der Gesundheitsminister auf dem Immobilienmarkt auf Einkaufstour. Kein guter Eindruck.

Konnte er auch deswegen stets so locker über Hartz IV und Rentenerhöhung reden, seine politische Karriere sogar darauf aufbauen? Weil er selbst seit Langem in anderen finanziellen Sphären unterwegs ist: völlig losgelöst? Und nicht zuletzt: Wie kommt ein Abgeordneter und Minister an ein solches Vermögen?

Spahn mag um die potenziellen Folgen solcher Fragen für seine Karriere geahnt haben. Vielleicht ging er deswegen so rigoros gegen die Veröffentlichungen vor. Denn die Fragen könnten noch drängender werden.

Recherchen von t-online legen nahe: Seit Beginn seiner politischen Karriere verfolgt Spahn eine eng mit seinem politischen Vorankommen verflochtene Investment-Strategie. Sie begann direkt mit seinem Einzug in den Bundestag. Seitdem profitierte der Privatmann Jens Spahn immer dann finanziell, wenn auch der Politiker Spahn einen Karrieresprung machte.

Mehr noch: Ohne seine politische Karriere, die er strategisch plante wie nur wenige andere, wären seine zahlreichen Investments wahrscheinlich kaum möglich gewesen. Interessenkonflikte hat der Minister dabei stets bestritten.

Doch im Zuge der Maskenaffäre steigen die Anforderungen der Öffentlichkeit an die Transparenz von Nebentätigkeiten der Abgeordneten und Minister. Wie stark darf ein Politiker persönlich von seinem Job profitieren? Mit Unternehmensanteilen, mit Immobilieninvestments, mit Nebentätigkeiten? Wie transparent muss das sein? Ist das alles Privatsache?

Selbst in der CDU wird die Kritik an dem langjährigen Hoffnungsträger immer lauter. Jens Spahn, der Millionen-Minister, wirkt wie ein sorgfältig geplantes Projekt.

1) Der Spatenstich zum "Projekt Spahn"

Es ist der 18. Oktober 2002, als sich Spahns politische Karriere und seine persönlichen Investitionen das erste Mal verbinden. Der junge CDU-Aufsteiger hat bereits ein rasantes Jahr hinter sich: Gerade erst die zweijährige Ausbildung zum Bankkaufmann abgeschlossen, entscheidet der 22-Jährige eine Kampfabstimmung gegen lokale CDU-Größen um die Kandidatur im Wahlkreis für sich und zieht schließlich in den Bundestag ein. Am 17. Oktober ist die konstituierende Sitzung des Parlaments.

Bereits damals signalisiert Spahn, dass er sich die Kanzlerschaft zutraut. Abgeordnete, die ihn damals erleben, sagen rückblickend, sein Ziel sei immer schon gewesen, ganz nach oben zu kommen. "Der wollte ganz hoch hinaus", sagt jemand aus der Fraktion.

Doch so richtig auskosten kann Spahn den Moment nicht, als er das erste Mal im Bundestag Platz nimmt und den Grundstein für seine politische Karriere legt, die parteiinterne Kritiker später immer mal wieder abschätzig als "Ich-AG" bezeichnen. Denn Spahn hat nur einen Tag später einen weiteren wichtigen Termin.

Es ist der Spatenstich zum zweiten Teil des "Projekts Spahn": der Aufbau eines Vermögens, das danach immer weiter wachsen wird – und dabei auch immer wieder Schnittstellen zur politischen Karriere des heutigen Bundesgesundheitsministers aufweist.

Wie aus Grundbuchunterlagen des Amtsgerichts Ahaus hervorgeht, die t-online vorliegen, erwirbt Spahn am 18. Oktober 2002 von einem Parteifreund seine vermutlich erste Immobilie, die er bis heute besitzt und als Hauptwohnsitz angibt. 91 Quadratmeter, Balkon, Garage, Stellplatz: Es ist nicht exklusiv oder extravagant, eher etwas Grundsolides, das der Berufseinsteiger sich zulegt. Wer will einem jungen Mann eine solche Investition in die eigene Zukunft verübeln?

Möglich machen dürfte sie allerdings erst Spahns Einstieg in die Welt der großen Politik.

Denn zwei Kredite in insgesamt niedrig sechsstelliger Höhe muss der 22-Jährige, der gerade erst seine Bankausbildung beendet hat, für die Etagenwohnung aufnehmen. Es sind keine üppigen Darlehen – als Lehrling mit rund 1.000 Euro brutto im Monat könnte er sie sich aber wohl eher nicht leisten.

Ein frisch gewählter Bundestagsabgeordneter hingegen kann im Jahr 2002 vermutlich schon eher auf eine Finanzierung hoffen. Spahns wirtschaftliche Situation ändert sich mit dem Mandat fast so, als würde ein Hartz-IV-Empfänger im Lotto gewinnen: 6.878 Euro brutto beträgt die monatliche Diät für Abgeordnete zum damaligen Zeitpunkt, meistens steigen die Bezüge sogar im Laufe der Legislaturperiode. Ein sicheres Gehalt also für die kommenden vier Jahre.

Und für Spahn ein guter Zeitpunkt, um zu investieren: sowohl finanziell in das "Immobilienportfolio", wie er es später nennen wird, als auch durch Sacharbeit, Netzwerke und Öffentlichkeit in seinen politischen Aufstieg.

2) Der Gesundheitsexperte und Lobbyist

Spahns politische Ambitionen bemerken seine Parteifreunde schnell: Er spricht gern und oft mit anderen Kollegen im Bundestag, und besonders gern mit solchen, von denen er sich einen persönlichen Vorteil verspricht. Unter den Kollegen gilt Spahn schnell als Karrierist. Seine Devise lautet: bekannt werden, nicht unbedingt beliebt. Orientiert am Vorbild Konrad Adenauers.

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Dabei sucht Spahn sich Lücken aus, die andere lassen. Zum Beispiel das komplizierte Thema Gesundheitspolitik.

Der Journalist Michael Bröcker schreibt in seiner Biografie: Spahn wähle das Gebiet seiner künftigen Expertise nach den Aufstiegschancen. Gesundheit ist irgendwie immer wichtig, viele andere Politiker scheuen die komplexen Themen. Und die Gesundheitsexperten der Union sind zumeist älter, werden das Feld also bald räumen.

Spahn schlägt zu – und steigt bald auf. Rasch ist er Obmann der Unionsfraktion im Gesundheitsausschuss. Das liegt nicht nur daran, dass man in der Politik schnell ein Experte ist. Es hat auch damit zu tun, dass Spahn nicht auf den Kopf gefallen ist. Strategisches Vorgehen setzt voraus, dass man in der Lage ist, Schritte systematisch zu planen.

Das gilt für die Politik wie auch die private Anlegestrategie. Denn der erste Karriereschritt in der Fraktion geht mit ersten Investitionen im Privatbereich einher: Während Spahn in der ersten großen Koalition unter Angela Merkel ab 2005 an einer Gesundheitsreform werkelt, gründet er mit seinem Bürochef und einem befreundeten Lobbyisten die Agentur "Politas". Sie berät auch Kunden aus dem Pharmabereich.

Natürlich folgt daraus nicht zwangsläufig, dass sich der Abgeordnete Spahn und der Investor Spahn gegenseitig begünstigen. Lassen sich die Rollen aber jederzeit sauber trennen? "Politas" jedenfalls wirbt mit guten Kontakten in den Bundestag: "Ganz gleich, ob es um eine Anhörung, ein Hintergrundgespräch oder um eine Plenardebatte geht. Wir sind für Sie dabei."

Spahn wird dem "Focus" zufolge an mindestens einer Gewinnausschüttung beteiligt und verdient mit. Als das diskrete Firmenkonstrukt Jahre später doch noch auffliegt, will Spahn seine Anteile längst verkauft haben. Interessenkonflikte sieht er nicht. Es wirkt so, als seien sich der politische Aufstieg und die private Vermögensstrategie bereits zum zweiten Mal sehr nahe gekommen.

Es gibt allerdings auch ein drittes Mal. Und wohl auch ein viertes, fünftes und sechstes.

3) Der Rentenkritiker und Aufsichtsrat

Denn während Spahn sich weiter in die Gesundheitspolitik einarbeitet, profiliert sich der junge Aufsteiger auch als Rebell. Und da eignet sich Kritik an der Rentenpolitik besonders gut. Spahn, der die private Vorsorge fürs Alter öffentlich befürwortet und mit seiner Eigentumswohnung in Ahaus ja durchaus als Vorbild gelten könnte (wäre sein Investment denn bekannt), lehnt die Rentenerhöhung im Jahr 2008 als "Wahlgeschenk" ab.

Die Senioren-Union in seiner westfälischen Heimat will deswegen sogar verhindern, dass Spahn erneut für den Bundestag nominiert wird. Für einen Moment scheint der Aufstand der Alten seine Karriere zu stoppen.

Doch am Ende gilt auch bei ihm, was viele Jungpolitiker als Ziel definieren: Hauptsache, dein Name erscheint in den Medien und die Leute wissen, dass es dich gibt. Spahn, der Gesundheitspolitiker, ist nun eben auch "Rentenkritiker". Ein Unbequemer, der auf dem Weg in die erste Reihe ist – das schärft sein politisches Profil.

Und es nützt ihm auch außerhalb des Bundestags.

Kurz darauf, Mitte 2009, wird Spahn zeitweilig in den Aufsichtsrat der Signal Iduna Pensionskasse berufen. Nur weil er wenig später zum gesundheitspolitischen Sprecher der Union aufsteigt, legt er 2010 den Posten nieder. Um den Anschein von Interessenkonflikten zu vermeiden, wie er betont.

4) Der Verwaltungsrat und Investor

Weniger Bedenken hat er hingegen bei einem Mandat in seiner Heimat. Auch im Münsterland hat Spahn während seiner Arbeit im Bundestag einen Schritt nach vorn gemacht: Beflügelt von seinen mittlerweile zehn Jahren im Stadtrat von Ahaus und seiner wachsenden bundesweiten Bekanntheit zieht er 2009 in den Kreistag ein, während sein alter Freund Kai Zwicker mit Spahns Unterstützung Landrat wird.

Zwicker ist ein Mann mit hoher Stirn und einer kleinen Lücke zwischen den Schneidezähnen. Mit dem heute 53-Jährigen ist Spahn seit seinen Tagen in der Jungen Union eng verbunden. Mit ihm plante er seine erste Bundestagskandidatur, mit ihm setzte er sie 2002 im Wahlkreis durch. Das Duo überstand auch weitere Kampfabstimmungen.

Wer heute bei Zwicker anruft, hört noch immer nur Gutes über den Minister. "Spahn ist hier im Westmünsterland sehr angesehen", erzählt er. Wie kaum ein anderer Politiker setze er sich für die Menschen ein und halte den Kontakt. Klar: Er sei "sehr ehrgeizig", ein "Homo Politicus". Doch trotzdem: "Er wirkt nicht abgehoben, sondern verwurzelt – hier vor Ort."

Die Wurzeln dürften auch finanzieller Natur sein. Denn im Kreis Borken haben Zwicker und Spahn auch gleiche Aufgaben. Eine davon ist über mehrere Jahre hinweg die im Verwaltungsrat der Sparkasse Westmünsterland, in den sowohl Spahn als auch Zwicker 2009 berufen werden.

Die Sitze in den Aufsichtsgremien der Sparkassen werden nicht nur im Kreis Borken oft an Kommunalpolitiker vergeben. Das dient beiden Seiten: Die Politik sichert sich so ihren Einfluss, wenn mal irgendwo etwas Gutes getan werden muss. Und die Sparkassen sichern sich den Rückhalt der Kommunen, wenn es um die Verteidigung ihrer Privilegien geht. Es ist das typische Geben und Nehmen. Dass die Posten gut dotiert und mit verhältnismäßig wenig Arbeit verbunden sind, macht sie umso beliebter.

Es gibt in all den Verwaltungsräten all der Sparkassen in dieser Republik vermutlich viele Mitglieder, die dort weniger beizutragen haben als der ausgebildete Bankkaufmann Spahn. Vielleicht hängt sich der Bundestags- und Kreistagsabgeordnete ganz besonders in die Arbeit vor Ort rein. Oder er ist aus anderen Gründen einfach ein Glücksgriff.

Auf jeden Fall mausert er sich binnen eines Jahres zu einem der Bestverdiener im Verwaltungsrat mit seinen mehr als zwei Dutzend Mitgliedern. Wie aus den Jahresabschlüssen der Sparkasse hervorgeht, fallen zwischen 2011 und 2015 für Spahn jährlich rund 10.000 Euro brutto an.

Das ist für jemanden, der in dieser Zeit jährlich zwischen gut 90.000 und rund 110.000 Euro Diäten im Bundestag bekommt, nicht unglaublich viel. Aber es ist eben wesentlich mehr als bei den meisten anderen Verwaltungsräten der Sparkasse. Nur die Landräte erhalten mehr.

Und parallel zum Posten im Verwaltungsrat ergeben sich weitere Möglichkeiten.

Im Jahr 2012, so steht es in den Grundbuchunterlagen der Stadt Ahaus, die t-online vorliegen, tritt die Bank, bei der Spahn einen Kredit für seine Eigentumswohnung aufgenommen hat, einen Teil der Forderung ab – an die Sparkasse Westmünsterland, in deren Verwaltungsrat Spahn zu diesem Zeitpunkt sitzt.

Das ist nicht verboten. Die Sparkasse gibt jedes Jahr in ihren Abschlüssen an, in welcher Höhe sie Kredite an die Verwaltungsratsmitglieder vergeben hat. Bis Ende 2012 führt sie insgesamt rund 2,77 Millionen Euro offene Forderungen auf. Es handelt sich dabei um sogenannte "Organkredite", die besonders auf Interessenkonflikte geprüft werden müssen.

Marktunübliche Vorteile ziehen die Verwaltungsratsmitglieder angeblich nicht aus dieser Konstellation. "Es gibt bei der Sparkasse Westmünsterland keine Sonderkonditionen für aktive oder ehemalige Mitglieder des Aufsichtsorgans", heißt es seitens der Sparkasse auf Anfrage von t-online. Derlei Geschäftsbeziehungen unterlägen "einer besonderen Prüfungspflicht durch die Abschlussprüfer" – unter anderem hinsichtlich der "Marktüblichkeit von Transaktionen".

Es gibt keinen Hinweis darauf, dass der Fall bei Spahn anders liegt. Zu Geschäftsbeziehungen mit Kunden äußert sich das Geldhaus nicht. Doch die besondere Beziehung zur Sparkasse Westmünsterland bleibt Spahn auch nach seinem Ausscheiden aus dem Verwaltungsrat erhalten. 2016 übernimmt sie einen weiteren Teil des Kredits, den er für seine erste Eigentumswohnung aufgenommen hat.

Es wird nicht das letzte Darlehen für den CDU-Aufsteiger sein. Spahn hat längst zu weiteren Karriereschritten angesetzt.

5) Der Staatssekretär und Start-up-Anleger

Zwar hat Angela Merkel, die Spahn in herzlicher Abneigung verbunden ist, ihn auch bei der Aufstellung des Kabinetts 2013 ignoriert. Doch mit Ausdauer und Durchsetzungsvermögen hat sich der ehrgeizige Politiker ein Jahr später einen Platz im CDU-Präsidium erkämpft. Erneut nicht auf die freundliche Art, sondern in einer Kampfabstimmung gegen Hermann Gröhe, den Wunschkandidaten der Kanzlerin.

Überhaupt hat Spahn sich derart als parteiinterner Kritiker positioniert, dass es taktisch geschickter scheint, ihn einzubinden. Dann muss er eher mittragen, was CDU und Regierung beschließen. Zumal er in der Partei längst nicht mehr nur als ehrgeizig gilt, sondern als einflussreich.

Es ist der damalige Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble, der Spahn in die Regierung einbindet, indem er ihn zum Parlamentarischen Staatssekretär in seinem Ressort macht.

Eigentlich ist der Job des "PSt" eine Sackgasse: Im Ministerium nehmen einen die Beamten nicht ernst, und die Kollegen neiden einem weniger die Tatsache, dass man Termine für den Minister wahrnehmen muss, auf die der keine Lust hat, als das attraktive Gehalt. Zwar wird einem die Diät gekürzt, dafür gibt es aber eine stattliche Vergütung von mehr als 10.000 Euro.

Was für andere eine Karriere-Sackgasse ist, ist für Spahn eine Einbahnstraße. Er nutzt den Job im Ministerium, um sich ein weiteres kompliziertes Themengebiet zu erschließen: Finanztechnologie.

Parallel zu seiner Arbeit im Ministerium entdeckt er dabei auch ein neues Geschäftsfeld für seine Investitionen. Eine "pfiffige Idee" wird Spahn das Produkt später nennen, in das er 15.000 Euro steckt.

Für sein Geld erhält der Parlamentarische Staatssekretär Anteile in Höhe von 1,25 Prozent an der "Pareton GmbH". Das Start-up entwickelt eine Steuer-Software. Und für Steuern ist, nun ja: das Bundesfinanzministerium zuständig.

Erneut gilt: Verboten ist das nicht, den besten Eindruck macht es aber eben auch nicht. Zumal Spahn sogar doppelt zum Zuge kommt: Für das Investment erhält der Mann, der von Steuergeldern bezahlt wird, noch 3.000 Euro staatlichen Zuschuss aus einem Fördertopf des Wirtschaftsministeriums, für den natürlich auch die Steuerzahler aufkommen.

Erst nach Kritik zieht Spahn sich aus dem Unternehmen zurück und zahlt den Zuschuss zurück. Ob er beim Verkauf Gewinn gemacht hat, erzählt er bis heute nicht. Es erscheint allerdings plausibel, denn Spahn hat durchaus Gespür für richtige Investments.

6) Der Netzwerker und Spekulant

Schließlich profitiert er in den Jahren danach auch vom Immobilienmarkt, der in ganz Deutschland boomt, in Berlin aber besonders. 2015 kauft er laut "Stern" und "Tagesspiegel" eine Wohnung in Berlin-Schöneberg. Dafür wird demnach "ein hoher sechsstelliger Betrag" fällig. Mieter wird übereinstimmenden Medienberichten zufolge der FDP-Chef Christian Lindner. Sogar noch eine weitere Immobilie im selben Kiez leistet Spahn sich zwei Jahre später. Dieses Mal wird sogar ein "sehr hoher sechsstelliger Betrag" fällig.

Diese Kaufpreise werden noch von Bedeutung sein.

Denn Spahn, der 2018 Gesundheitsminister wird, sorgt zu dieser Zeit mit einer erneuten Spitze für einen öffentlichen Aufschrei. Ein "Vorpreschen" würde das sein alter Freund Kai Zwicker vermutlich nennen.

"Niemand müsste in Deutschland hungern, wenn es die Tafeln nicht gäbe", gibt er im Frühjahr 2018 zu Protokoll. "Hartz IV bedeutet nicht Armut." Es sei hingegen die Antwort der Solidargemeinschaft auf Armut. Damit habe jeder das, was er zum Leben brauche.

Es sind Sätze, die selbst Abgeordnete und Parteifreunde mit ähnlicher Meinung den Kopf schütteln lassen. Für politisch unklug halten sie das. So verprelle man Wähler. Von der Verbundenheit mit der Basis ist an dieser Stelle wenig zu spüren. Andererseits ist Spahn mit ebensolchen Äußerungen weit gekommen. Mit "Das wird man ja noch sagen dürfen"- Positionen.

Ist es ein "Vorpreschen" oder ein "Vergaloppieren"?

Vieles spricht für Letzteres, denn plötzlich ist Spahns Gehalt in aller Munde. Als Minister und Abgeordneter bezieht er rund 20.000 Euro im Monat. Journalisten beginnen, sich für seine Immobilien zu interessieren. Stück für Stück werden seine Berliner Investitionen bekannt. Zunächst die Villa, dann die Wohnungen.

Und auch, dass er eine davon von einem Pharmamanager kaufte, der schließlich die Geschäftsführung der Gematik GmbH in Verantwortung des Gesundheitsministeriums übernahm und ein deutlich höheres Gehalt als sein Vorgänger kassierte.

Nun, mit den Grundbuchunterlagen aus Ahaus, die t-online vorliegen, fügt sich ein weiteres Mosaikteil des Spahn'schen Gesamtkunstwerks zwischen politischem und privatem Kapital hinzu.

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7) Der Gesundheitsminister und Privatmann

Spahn und seine Anwälte halten all das für Privatsache. Lange sind sie – zum Teil erfolgreich – gegen die Berichterstattung über seine Berliner Immobilien vorgegangen, wollten Auskünfte der Amtsgerichte einschränken lassen, Unterlassungserklärungen unterschrieben wissen. Zuletzt machten sie aber einen Rückzieher: Der Kaufpreis der Villa darf von einigen Medien wieder genannt werden.

Und es ist diese Berliner Villa und ihre Finanzierung, die Spahn zurückführen zu seinen Wurzeln im Kreis Borken. Dort, wo er mit seiner Bundestagskandidatur den Grundstein für sein Immobilienvermögen legte, erhält er laut "Business Insider" auch dieses Mal wieder ein Darlehen.

t-online liegen keinerlei Hinweise auf strafrechtlich relevantes Verhalten von Jens Spahn oder Personen in seinem Umfeld vor. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass bei den Kreditvergaben gegen Gesetze verstoßen wurde. Gleiches gilt für die Unternehmensbeteiligungen in seiner Zeit als Gesundheitspolitiker und im Finanzministerium. Damit ist die Frage, wie politisch das private Kapital ist, allerdings nicht beantwortet. Ob der Minister und seine Anwälte weiterhin versuchen werden, sie von Gerichten beantworten zu lassen, wird sich herausstellen.

Es ist allerdings längst nicht so, dass nur Journalisten oder vermeintliche Neider sich kritisch mit Spahn auseinandersetzen. Auch in seiner Partei wächst die Kritik. Christian von Stetten, der Chef des Parlamentskreises Mittelstand, sagte t-online: "Ich habe Jens Spahn immer sehr geschätzt und unterstützt. Ich spüre aber eine deutliche Verärgerung beim Wirtschaftsflügel der Union, dass er sich gegen Friedrich Merz bei der Wahl des Parteivorsitzenden gestellt hat."

Der Gesundheitsminister, über den noch vor wenigen Monaten keiner aus der Partei ein schlechtes Wort verlor, wirkt plötzlich angezählt. Es ist mittlerweile nicht nur ein Missmanagement der Pandemie, das ihm vorgeworfen wird. Jens Spahn wirkt mittlerweile für viele in der Partei wie ein Mann, dessen wichtigstes Ziel neben der persönlichen Politkarriere das Geldverdienen ist.

Er wird sich daran gewöhnen müssen, dass die Fragen umso lauter werden, je weiter seine Ambitionen von einst sich der Wirklichkeit annähern.

Vielleicht sollte Spahn einfach auf Markus Söder hören, der als CSU-Politiker seine Ohren besonders nah am Volk hat. In einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" riet der bayerische Ministerpräsident Abgeordneten, sich grundsätzlich zu entscheiden: "Politik oder Wirtschaft – Blaulicht oder Konto. Nur eines von beidem geht auf Dauer gut."

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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