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Weltgeschehen Sohn tötet Neonazi

Der Hass und der Junge, der ein Held sein wollte

Freier Korrespondent
Ein Ort voller Gewalt und Waffen? Oder lebte Jeff Hall mit seiner Familie - hinten links sein Sohn - eigentlich doch ganz normal? Ein Ort voller Gewalt und Waffen? Oder lebte Jeff Hall mit seiner Familie - hinten links sein Sohn - eigentlich doch ganz normal?
Ein Ort voller Gewalt und Waffen? Oder lebte Jeff Hall mit seiner Familie - hinten links sein Sohn - eigentlich doch ganz normal?
Quelle: JULIE PLATNER/The New York Times/Redux/laif
Jeff Hall (32) war ein Neonazi und Mitglied der US-Partei „National Socialist Movement“. 2011 wurde er von seinem damals elfjährigen Sohn erschossen. Jetzt steht der Junge vor Gericht.

Es gibt ein Foto, das zeigt Jeff Hall mit einer leicht abgeänderten Version der Stars and Stripes: Wir sehen eine amerikanischen Flagge, auf der wie eine große schwarze Spinne ein Hakenkreuz prangt. Ein anderes Foto zeigt den 32-jährigen Hall in einer schwarzen Uniform mit Mütze, am Kragenspiegel erkennt man die gezackten Buchstaben „SS“.

Wie ein strahlender Sieger sieht Jeff Hall auf keinem der Bilder aus: Gesichtsausdruck mürrisch, die Züge schwammig, auf dem einen Foto ist er auch noch unrasiert. Hall war ein Mitglied des „NSM“, des „National Socialist Movement“, einer amerikanischen Neonazi-Partei. Er war Klempner und arbeitslos.

Und er ist tot: Vor eineinhalb Jahren hat ihn sein Sohn – dessen Name hier aus Gründen des Jugendschutzes nicht genannt wird – erschossen.

Mitten ins Gesicht gefeuert

Jeff Hall machte am 1. Mai 2011 gerade ein Nickerchen auf dem Sofa, da hob sein Kind, das damals zehn Jahre alt war, einen Magnumrevolver des Kalibers 357 und feuerte ihm mitten ins Gesicht. Jetzt steht der Junge im kalifornischen Riverside vor Gericht; dort verübte er seine Bluttat. Ein Richter muss nun herausfinden, ob er dabei Recht von Unrecht unterscheiden konnte.

Dieses Drama hat allerdings nicht zwei, sondern vier Personen. Außer dem Sohn und dem Vater ist da noch eine Stiefmutter – Krista F. McCary. Offenbar hatte sie ursprünglich die Tat auf sich genommen, um den Jungen zu beschützen, ihr Geständnis aber später widerrufen. Und dann hat der Junge noch eine kleine Schwester. Es sieht so aus, als habe er ihr am Tag vor der Tat, als die beiden auf einer Schaukel im Hinterhof spielten, von seinem Vorsatz erzählt, den Vater umzubringen.

Die Schwester trat am vergangenen Mittwoch in den Zeugenstand. Ob sie vorab gewusst hätte, dass ihr Bruder die Tat plante, wollte der Ankläger von ihr wissen. Die Elfjährige habe mit dem Kopf genickt und „Ja“ gesagt, berichtete die Zeitung „ Riverside Press-Enterprise“. Ihr Bruder habe ihr vier Tage vor der Tat von seinen Plänen erzählt. An dem Morgen, an dem ihr Vater starb, schlief sie in ihrem Zimmer.

Mit Bleistift auf Lehrer eingestochen

Das Team der Staatsanwaltschaft wird von Michael Soccio angeführt. Er nennt es ein bloßes Ablenkungsmanöver, wenn davon geredet wird, dass das Opfer ein Neonazi war. „Dieser Junge ist nicht anders als andere Mörder“, sagte er am Anfang der Verhandlung; es hätte keinen Unterschied gemacht, wenn sein Vater „ein Mitglied der Friedens- und Freiheitspartei“ gewesen wäre.

Schon an seinem ersten Tag im Kindergarten habe der Junge mit seinem Bleistift auf einen Lehrer eingestochen. Für diese Tat gebe es nur ein Motiv: Der Junge sei erzürnt gewesen, dass sein Vater die Stiefmutter verlassen und das Sorgerecht für die Kinder erlangen wollte.

Er habe den Vater erschossen, um diese Entwicklung aufzuhalten. Soccio zeigte Fotos, die beweisen sollten, dass diese Familie sich nicht von anderen unterschieden habe – ein Bild zeigte sie fröhlich am Strand.

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Der Pflichtverteidiger Matthew Hardy hielt dagegen: Der Junge, der an einer Lernschwäche leidet, sei in einem Klima der Gewalt aufgewachsen. Regelmäßig hätten im Haus Treffen des „National Socialist Movement“ stattgefunden, Waffen seien etwas Normales gewesen, auch Schläge hätten dazugehört. Einmal sei er an die Grenze mitgenommen worden, wo sein Vater und dessen Parteigenossen ihm zeigten, wie man Mexikaner daran hindert, in Amerika einzureisen.

Häufige Temperamentsausbrüche

Durch diese gewalttätige Atmosphäre sei der Sinn des Jungen für Recht und Unrecht verzerrt worden. Er habe geglaubt, er werde zum „Helden“, wenn er seine Familie beschütze. Eigentlich sei aber die Stiefmutter – Krista F. McCary – für die Tat verantwortlich. Sie sei zornig gewesen, weil Hall sie einer anderen Frau wegen verlassen wollte. „Wir versuchen nicht zu suggerieren, sie habe ihn getötet“, sagte Hardy dem Richter. „Sie hat diesen jungen Mann hier verwendet, um ihn zu töten.“

Die 27-jährige Krista F. McCary machte vor Gericht die Aussage, der Junge, den sie wie einen Sohn geliebt habe, sei sehr wohl imstande gewesen, Recht von Unrecht zu unterscheiden. Er habe häufig Temperamentsausbrüche gehabt und sei dann schwer kontrollierbar gewesen.

Ihr Ehemann wiederum – das spätere Opfer – habe Drogen genommen und den Jungen mehr geschlagen als seine anderen Kinder; wenn er high war, sei die Familie in ein anderes Zimmer ausgewichen. Sie sei nicht zornig gewesen, dass ihr Mann ein Verhältnis mit einer anderen gehabt habe, erklärte sie. Wohl aber, dass sie die Ehe beenden wollte, weil sie seine Stimmungsschwankungen nicht mehr ertragen konnte: „Man wusste nie, mit welchem Jeff man es zu tun bekommen würde“, sagte sie.

Vater drohte mit Niederbrennen des Hauses

Die Staatsanwaltschaft zeigte ein Video, das den Jungen bei der Vernehmung durch die Polizei zeigte. Er sagte dabei aus, bei seiner Tat habe ihn eine Folge der Krimiserie „Criminal Minds“ beeinflusst, die vom Fernsehsender CBS ausgestrahlt wird. „Criminal Minds“ handelt von einer Einheit des FBI, die sich mit Verhaltensanalyse befasst; häufig geht es dabei um Verbrechen von Erwachsenen an Kindern.

„Ein böser Vater tat seinen Kindern etwas an, und das Kind tat genau das Gleiche wie ich – es erschoss ihn“, erzählte der Junge im Polizeiverhör. „Er sagte die Wahrheit und wurde nicht verhaftet, und die Polizisten glaubten ihm. Er war nicht in Schwierigkeiten oder so was. Ich glaubte, genau dasselbe würde mir passieren.“

In einer dem Gericht vorgespielten Videoaussage erklärte der Junge, er habe es nicht länger ausgehalten, dass sein Vater ihn und die Geschwister geschlagen habe. Außerdem habe der Mann gedroht, das Haus mit den Kindern darin in Brand zu stecken. „Ich beschloss, es zu beenden“, sagte er der Polizei.

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Jean P. Leonard ist der Name des Richters, der am Ende darüber befinden muss, ob der Junge wusste, dass er Unrecht tat, als er den Hahn spannte und schoss. Im schlimmsten Fall wird der Junge eingesperrt, bis er 23 Jahre alt ist. Man beneidet den Richter nicht um seine Aufgabe.

Die Verhandlung wird fortgesetzt

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