Kunst aus dem Osten in Berlin-Mitte jetzt zu sehen: Herta Günther, die coole Beobachterin aus Dresden

In Berlin-Mitte jetzt zu sehen: Herta Günther, die coole Beobachterin aus Dresden

In Berlin-Mitte begegnen wir der unvergesslichen Dresdner Malerin Herta Günther und dem skurrilen Berliner Zeichner-Original und Tierfreund Arno Mohr.

Herta Günther: „Kellnerin“, 2010, Pastell über Zinkografie (Ausschnitt)
Herta Günther: „Kellnerin“, 2010, Pastell über Zinkografie (Ausschnitt)VG Bildkunst 2023/Herta Günther

Ihre Geburtstage pflegte Herta Günther (diese einst bei Max Schwimmer „in die Lehre“ gegangene Dresdner Wiedergängerin der unsentimental-neusachlichen Malweise eines Otto Dix und einer Jeanne Mammen) stets in der Gesellschaft ihrer Bilder zu feiern. Das hätte sie auch zu ihrem „90.“ Anfang Mai so gewollt. Aber Freund Hein hat die Malerin extravagant-aufsässiger Weibsbilder schon 2018 zu sich ins Unterwelt-Atelier geholt.

Gerade diese Frauen-Bilder, dazu Paarmotive, Café- und Kneipenszenen, Akte und die liebevoll-kuriosen Landschaften aus dem Nachlass erinnern nun in der Galerie Sandau & Leo an eine coole Beobachterin. Man glaubt die Dargestellten zu kennen, fühlt mit ihnen. Aber sie behalten auch etwas Rätselhaftes für sich. Solche Bildwelten wahren Distanz, jedoch mit Charme und ohne zu brüskieren.

Herta Günther: „Junge Frau“, 1970–1975, Öl auf Hartfaser
Herta Günther: „Junge Frau“, 1970–1975, Öl auf HartfaserVG Bildkunst 2023/Herta Günther

Auf jedem der handlichen Gemälde in Öl oder Pastell wird Alltägliches zum Besonderen. Vor allem die Damen haben etwas Flaneurhaft-Weltstädtisches, modisch elegant, rot geschminkte Lippen, oft rot gefärbtes Haar; ein Hauch von Luxus. Aber bisweilen umweht auch ein wenig Melancholie und Tristesse diese Wesen allen Alters. Männer kamen bei Herta Günther selten gut weg. Nicht im hart-feministischen Sinne, wohl mehr ironisch – wegen der Dominanz im Kunstbetrieb, zu DDR-Zeit und im wiedervereinigten Land noch ebenso.

In Cafés und Kneipen von Dresden, Leipzig und Berlin herrscht Toulouse-Lautrec-hafte Stimmung. Eine Art Schleier des Wartens. Die Figuren an den Tischen (mit Kaffee, Wein, kein Absinth!) haben etwas Selbstisoliertes. Alles wirkt vergangen und doch zugleich gegenwärtig. Aber auch selbstbewusst, wie die „Kellnerin“ von 2010. Dieser Frau nimmt keiner das Tablett aus der Hand.

In dieser Zeit malte, zeichnete Günther zugespitzt die vermeintlichen Gewinnler der neuen Zeit ab 1990, die Banker, Claim-Abstecker, Gentrifizierer, die neureichen Blender und Profiteure, die Besserwisser und Anschmeißer. Und bei diesen Sujets rutschte sie hinein in den Stil des schneidenden Verismus, wie Dix und Grosz ihn in den 1920ern als Gesellschaftskritik betrieben.

Arno Mohr: „Krähe und Hund“, 1960, Kaltnadelradierung
Arno Mohr: „Krähe und Hund“, 1960, KaltnadelradierungArno Mohr

Wem da das Lachen im Halse steckenbleibt, kann im Kabinett der Galerie alles wieder herausschmunzeln. Da begegnen wir der skurrilen Poesie des Berliner Zeichner-Originals und Brecht-Freundes Arno Mohr (1910–2001). Wie im Leben, so sollte man auch in der Kunst „auf den Punkt kommen“, so seine Maxime. Jeder Strich, jeder Punkt, jedes Linienbündel erzählt vom kleinen großen Alltag, episodisch, knapp, ruppig. So fing er das Berlinische ein, machte Kellner im Café, tratschende Nachbarinnen, Spatzen im Rinnstein kunstwürdig. Und Hunde, die einen Baum anpinkeln.

Galerie Sandau & Leo, Tucholskystr. 38, Di–Sa 12–18 Uhr, bis 20.4. Und für Mannheim-Reisende: Herta Günther zum „90.“ in einer Schau auch bei Döbele, bis 31. Mai. www.doebele-kunst.de

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