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Hitler soll in Frankreich Sohn gezeugt haben

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Vater und Sohn? Das rechte Foto zeigt Jean Loret (1918-1985), den der spätere Diktator Adolf Hitler (1889-1945) 1917 in Nordfrankreich gezeugt haben soll Vater und Sohn? Das rechte Foto zeigt Jean Loret (1918-1985), den der spätere Diktator Adolf Hitler (1889-1945) 1917 in Nordfrankreich gezeugt haben soll
Vater und Sohn? Das rechte Foto zeigt Jean Loret (1918-1985), den der spätere Diktator Adolf Hitler (1889-1945) 1917 in Nordfrankreich gezeugt haben soll
Quelle: pa/Evans/Screenshot Welt Online
Ein Pariser Magazin wärmt die Legende um Jean Loret auf, der angeblich einer Weltkriegs-Liebschaft des späteren Führers entstammt. Die Mär ist längst widerlegt.

Gut klingt die Story durchaus, die das Pariser Magazin "Le Point" nach eigenen Angaben "exklusiv" verbreitet und die von verschiedenen deutschen und internationalen Medien wie "Time" aufgegriffen worden ist: Hitler hatte einen französischen Sohn! Die Nachricht hat allerdings gleich mehrere Nachteile: Sie ist weder exklusiv noch neu – und vor allem nicht wahr.

Laut dem sonst durchaus als seriös geltenden Magazin soll der 1918 geborene und 1985 verstorbene Jean (oder auch Jean-Marie) Loret einer Liebschaft seiner Mutter Charlotte Lobjoie mit einem deutschen Soldaten entsprungen sein. Dieser Vater sei, so habe es ihm seine Mutter nach jahrzehntelangem Schwiegen auf dem Sterbebett 1948 offenbart, der damalige Gefreite im 16. Bayerischen Reserve-Infanterieregiment Adolf Hitler gewesen.

Eine eineinhalbjährige Beziehung

Allerdings verbreitete keineswegs "Le Point" diese Behauptung zum ersten Mal. Vielmehr liegt die früheste nachweisbare Publikation bereits fast 35 Jahre zurück: 1977 vermasselte die Londoner "Sunday Times" einer deutschen Illustrierten die seinerzeit teuer bezahlte Information vom angeblichen Hitler-Sohn, indem sie durchgesickerte Informationssplitter kurz vor der Veröffentlichung durch die Rechteinhaber druckte. Die "Welt am Sonntag" hatte die angebotene Geschichte vorher bereits abgelehnt.

Ungefähr alles an der Vorgeschichte dieser Indiskretion ist umstritten. Der seinerzeit noch durchaus anerkannte Zeithistoriker Werner Maser soll 1976 einen Brief dieses Jean Loret bekommen haben, in dem er sich als Hitlers Sohn offenbarte – und angab, an welchen Orten des damals von deutschen Truppen besetzten Nordosten Frankreichs und Belgiens seine Mutter mit Hitler zusammen gewesen sei. Über anderthalb Jahre habe sich diese Beziehung hingezogen.

Maser startete sogleich umfangreiche Recherchen, um die Behauptung zu belegen, denn sie kam dem Hitler-Biografen auf dem Höhepunkt der "Hitler-Welle" der Siebzigerjahre zupass: Er wollte unbedingt nachweisen, dass der "Führer" der NSDAP nicht homo- oder – viel wahrscheinlicher – asexuell war, sondern ein ganz "normales" Triebleben gehabt habe.

Mehr als ein Jahr lang recherchierte der Hitler-Experte und sammelte ein auf den ersten Blick beeindruckendes Konvolut an Indizien. Wer sich diese Belege freilich genauer anschaute, war weniger beeindruckt: Reihenweise erwiesen sich die "eidesstattlichen Versicherungen" von 1977 als Ergebnis von Suggestionen durch Maser.

Hitlers Kammerdiener Heinz Linge zum Beispiel, einer der "Kronzeugen", sagte dem "Stern" auf Nachfrage, er habe zum ersten Mal von Maser über den angeblichen Hitler-Sohn gehört. Auch sonst konnte der Speyrer NS-Fachmann nie mehr als Gerüchte, Vermutungen und vage Schlussfolgerungen aufbieten. Binnen weniger Wochen war die vermeintliche Sensation erledigt. Auch die Tante sowie die geschiedene und die aktuelle Ehefrau von Loret ließen sich mit unfreundlichen Aussagen über die Zuverlässigkeit und die Fantasie des vermeintlichen Hitler-Sohns zitieren.

Alle "Belege" lösten sich in Missgefallen auf

Allerdings sorgte bald zusätzliche für Verwirrung, dass Loret und Maser sich zerstritten. Auf einmal fühlte sich der Franzose von dem Deutschen hintergangen und ausgenutzt – und publizierte seine Version der Geschichte 1981 in einem Buch mit dem Titel "Ton Père s’appelait Hitler" ("Dein Vater hieß Hitler"). Dieses Buch erscheint 31 Jahre später in einer erweiterten Neuausgabe und gab "Le Point" nun den Anlass, Lorets Geschichte wieder hervorzukramen.

Angeblich sollen neue Indizien aufgetaucht sein, dass Hitler Unterhaltszahlungen an Charlotte Lobjoie geleistet habe. Diese Angaben sind im Detail derzeit nicht überprüfbar; es ist jedoch äußerst unwahrscheinlich, dass daran mehr ist als an den anderen vermeintlichen Indizien.

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Denn alle bisher vorgelegten "Belege" haben sich in Missgefallen aufgelöst. So wussten die 1977 noch lebenden Personen aus Hitlers engsten Umfeld, darunter ein Luftwaffen- und der SS-Adjutant sowie Kammerdiener Linge, nie irgendetwas von den angeblichen unehelichen Sohn.

Auch gab es keinerlei Indizien dafür, dass Charlotte Lobjoie oder Jean Loret jemals im Hauptquartier des deutschen Geheimdienstes Abwehr in Paris, dem "Hotel Lutetia", verhört worden wären. Erst recht nicht von der Gestapo oder dem SD, wie Loret sich "erinnerte". Denn in Paris hatte das Reichssicherheitshauptamt (zu dem ab 1939 sowohl die Geheime Staatspolizei als auch der NSDAP-eigene Nachrichtendienst SD gehörten) ein eigenes Hauptquartier im "Hotel de Louvre" und war bei der Abwehr alles andere als willkommen.

Ein von Maser als Beleg angeführtes angebliches Ölgemälde, das Hitler von seiner Geliebten angefertigt haben sollte, erwies sich als Fälschung. Denn an der Westfront zeichnete der Meldegänger Hitler, der nur kurz 1914 an vorderster Front eingesetzt gewesen war, zwar oft und malte auch Aquarelle – aber Ölfarben benutzte er nicht einmal.

Über Masers wichtigstes Indiz, die angebliche äußere Ähnlichkeit zwischen Hitler und Loret, konnte man schon vor 35 Jahren nur den Kopf schütteln: Die damals und jetzt erneut vorgelegten Fotos zeigen, dass es sie schlicht nicht gab.

DNA-Spuren sind nicht mehr vorhanden

Nun haben sich seit 1977 die Methoden der forensischen Identifikation entscheidend weiter entwickelt. Es ist heute eine Frage weniger Stunden, anhand von DNA-Spuren Verwandtschaftsbeziehungen mit fast absoluter Sicherheit nachweisen – oder auszuschließen.

Genau das versuchte der belgische Journalist Jean-Paul Mulders vor wenigen Jahren. Auf der Suche nach einem unangreifbaren Beleg für oder gegen Lorets Behauptung machte er sich auf die Suche nach DNA-Material des einstigen Diktators. Doch das erwies sich als fast unmöglich: Hitler hatte keine (nachweislich echten) Nachkommen, und seine sterblichen Überreste wurden von der Roten Armee zuerst in Magdeburg vergraben und dann auf Befehl von KGB-Chef Juri Andropow am 5. April 1970 restlos vernichtet; die Asche wurde in einen kleinen Fluss gestreut .

Urenkel von Hitlers Halbbruder Alois

Die in Moskau heute gelegentlich gut zahlenden westlichen Kamerateams präsentierte angebliche Schädeldecke Hitlers stammt in Wirklichkeit wohl von einem anderem im Garten der Reichskanzlei verscharrten Toten. Irgendwelche mit Sicherheit Hitler zuzuordnende Überreste, die sich für eine Untersuchung der Erbsubstanz eignen, sind nicht bekannt – seine ebenfalls erhaltenen Zahnbrücken erlaubten zwar eine hundertprozentige Identifizierung anhand von Zahnarzt-Unterlagen, aber eben keine DNA-Untersuchung.

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All das bekam binnen kurzem auch Mulders heraus – und entschied sich trotzdem, an seinem Projekt festzuhalten. Er spürte in Amerika die Urenkel von Hitlers Halbbruder Alois auf und überredete sie, ihm Haar-Proben zu übergeben. Und sogar in Hitlers eigentlicher Heimat trieb er Männer auf, die gemeinsame Vorfahren in männlicher Linie mit Hitler hatten. Jedoch ist der Abstammungsnachweis auf Grundlage des Vergleichs von Y-Chromosomen durchaus umstritten.

Beifall in rechtsradikalen Zeitungen

Immerhin: Ein Vergleich dieser Proben mit denen von Jean Loret ergab, dass es keine Übereinstimmung gab. Mulders hatte ein weiteres Indiz dafür gefunden, dass die Geschichte vom "französischen Sohn des Führers" Unsinn war. Er schrieb ein Buch darüber, das über magere 112 Seiten nicht hinauskam.

Die vielfach kolportierte und dabei immer weiter ausgeschmückte Geschichte vom angeblichen Hitler-Sohn hat nicht nur Loret der öffentlichen Lächerlichkeit preisgegeben. Auch für Werner Maser (1922-2007) wurde sie zum Anfang vom Ende seines guten Rufes. Weil er hartnäckig an der imaginierten Geschichte festhielt, schwand sein Ansehen in der Historikerzunft und der Öffentlichkeit immer mehr. Doch selbst in einem der letzten seiner zahlreichen Bücher hielt er an Loret-Hitler fest. Beifall bekam er da längst nur von rechtsradikalen Zeitungen.

Ein ähnliches Fiasko dürfte jetzt auch "Le Point" erwarten. Sobald die vermeintlich neuen Belege vorliegen, werden sie detailliert durchleuchtet werden. Angesichts des vollkommenen Mangels an sonstigen belastbaren Indizien für eine Unterstützung von Charlotte Lobjoie ist zu erwarten, dass es sich auch hier um Missverständnisse oder Fälschungen handelt.

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