Jannik Schümann über seine Verbindung zum Holocaust-Überlebenden Karl Gorath

Jannik Schümann über seine Verbindung zum Holocaust-Überlebenden Karl Gorath

Am Holocaust-Gedenktag im Bundestag am 27. Januar leiht der Schauspieler Jannik Schümann seine Stimme einem homosexuellen NS-Opfer. Ein Interview.

Jannik Schümann beim Interview mit der Berliner Zeitung.
Jannik Schümann beim Interview mit der Berliner Zeitung.Benjamin Pritzkuleit

Im Februar 2021 veröffentlichte das Magazin der Süddeutschen Zeitung das Manifest „ActOut“. Damit outeten sich 185 Schauspieler und Schauspielerinnen als schwul, lesbisch, bi, trans oder nonbinär. Einer von ihnen war der damals 29-jährige Jannik Schümann.

Ihm wird nun eine besondere Ehre teil: Zusammen mit Maren Kroymann wird er im Deutschen Bundestag zum Holocaust-Gedenktag homosexuellen Opfern des Nationalsozialismus eine Stimme geben. Über 50.000 Homosexuelle wurden in der NS-Zeit zu Gefängnisstrafen, Zuchthaus und Arbeitslager verurteilt. Davon kamen 10.000 in die Vernichtungslager.

Jannik Schümann wird dem Holocaust-Überlebenden Karl Gorath seine Stimme geben. Dieser gehörte zu den Homosexuellen, die während der Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus in Konzentrationslager deportiert wurden. Gorath kam erst in das KZ Neuengamme und dann nach Auschwitz. Er starb 2003 in Bremerhaven. Für Jannik Schümann ist Karl Gorath auch ein Stück seiner eigenen Geschichte.

Wie kam es dazu, dass Sie am Holocaust-Gedenktag als Redner im Bundestag dabei sein dürfen?

Ich wurde vor einem halben Jahr gefragt, ob ich zu einem Vorgespräch in den Bundestag kommen möchte. Sie wünschten sich, dass ich am Gedenktag einem bereits verstorbenen homosexuell Verfolgten meine Stimme gebe. Ich war total gerührt. Seitdem bin ich eigentlich konstant aufgeregt.

Als Schauspieler und Person des öffentlichen Lebens ist man es gewohnt, dass Menschen auf einen schauen und zuhören. Ist es diesmal anders?

Ja und nein. Dieses Mal kann ich mich nicht hinter einer Rolle verstecken. Allerdings stehe ich dort ja auch nicht wirklich als Jannik, sondern lese die Geschichte von Karl Gorath. Ich bin stellvertretend seine Stimme. Am Dienstag durfte ich im Plenarsaal proben und habe dort Maren Kroymann getroffen, die einen Text über eine lesbische Verfolgte lesen wird. Selbst sie – eine sehr erfahrene Schauspielerin - war wirklich aufgeregt. Es hat mich ein wenig beruhigt, dass ich mit meiner Aufregung nicht allein bin. Es ist jedenfalls ein sehr bedeutender Tag für alle Holocaust-Opfer, aber dieses Jahr speziell für unsere Community, der dieser Gedenktag ja gewidmet wird. 

Jannik Schümann wird im Deutschen Bundestag zum Holocaust-Gedenktag sprechen.
Jannik Schümann wird im Deutschen Bundestag zum Holocaust-Gedenktag sprechen.Benjamin Pritzkuleit

Wie kamen Sie zu Karl Gorath?

Der Text wurde mir vorgelegt. Seine Lebensgeschichte ist einfach so tragisch, dass man schon verstehen kann, warum sie ausgesucht wurde. Ich finde den Text wunderschön. Lutz van Dijk hat ihn geschrieben, er hat Karl Gorath persönlich gekannt. Gorath und van Dijk sind 1989 mit einer Gruppe von Homosexuellen nach Auschwitz gereist, um dort unter anderem nach Zeugnissen von Paragraf-175-Häftlingen zu suchen.

Was fasziniert Sie an der Lebensgeschichte von Karl Gorath?

Das Tragische ist, dass die Verfolgung der Homosexuellen nach der Befreiung der Konzentrationslager 1945 nicht aufgehört hat, sondern erst Anfang der 1990er-Jahre. So wurde Gorath 1947 erneut verurteilt und stand vor demselben Richter, der ihn zur NS-Zeit verurteilt hat. „Sie sind ja schon wieder hier“, sagte der zu Gorath. Und es gibt noch etwas: Ich bin nicht weit vom KZ Neuengamme groß geworden. In der Schulzeit war ich oft dort. Später wurde es ein Gefängnis, in dem ich mit meiner Theatergruppe Weihnachtsmärchen aufgeführt habe. Als es umgebaut wurde, hat mein Vater dort Maurerarbeiten durchgeführt. Ich habe eine besondere Verbindung zu diesem Gelände. Nun herauszufinden, dass Karl Gorath da war, hat noch einmal eine starke persönliche Verbindung aufgebaut.

Wurde bei den Besuchen mit der Klasse das Thema homosexuelle NS-Opfer angesprochen?

Homosexualität wurde generell nicht thematisiert. Weder in Verbindung mit der Zeit des Nationalsozialismus noch in anderen Bereichen. So wissen viele nicht, dass die Strafbarkeit bis 1994 bestanden hat.

Was ist an Karl Gorath so besonders?

Karl Goraths Glück war, dass er im KZ Neuengamme seinen rosa Winkel mit einem roten Winkel austauschen konnte. Damit war er ein „politischer Häftling“ und kein „homosexueller Gefangener“. Mit diesem roten Winkel wurde er 1943 nach Auschwitz deportiert. Später berichtete Gorath, dass der Tausch des Winkels wohl beim Überleben geholfen hat.

Mit Blick auf unsere heutige Zeit: Wie wichtig ist das Gedenken an  die NS-Opfergruppe der Homosexuellen?

Extrem wichtig. Dass die Homosexuellen bei dem Gedenken am 27. Januar erst 2023 betrachtet werden, ist natürlich traurig, aber es ist auch wichtig und schön, dass es endlich passiert. Ich hoffe, dass eine hohe Sichtbarkeit entsteht.

Ausschwitz: Dorthin wurde Karl Gorath deportiert.
Ausschwitz: Dorthin wurde Karl Gorath deportiert.IMAGO/Kirchner-Media

Man hat den Eindruck, dass es einige Menschen in unserer Gesellschaft gibt, die die Sichtbarkeit von queeren Menschen stört. Kann der Hass wieder kommen?

Ich würde mich nicht zurücklehnen und sagen, wir sind davon weit weg. Wir sehen ja, was in unseren Nachbarländern in Europa passiert. Ich hoffe, dass unsere Demokratie standhaft ist und wir weiterhin füreinander da sind, dass Sichtbarkeit und Akzeptanz mehr und die Gegenbewegungen weniger werden. Ich bin voller Hoffnung, dass bei uns alles gut ausgehen wird.

Wird Ihr Freund im Bundestag dabei sein?

Ja, er wird da sein – als emotionale Stütze.

Im Februar 2021 waren Sie bei der Aktion ActOut dabei. Wie hat sich das danach im Berufsleben bemerkbar gemacht?

Es gab keine negative Rückmeldung. Ich habe danach zwei große Serien gedreht, in sehr heteronormativen Macho-Hauptrollen. Nun warte ich auf das Angebot für eine queere Rolle. Generell vermisse ich gute queere Formate in der deutschen Filmlandschaft.

Jannik Schümann in der Redaktion der Berliner Zeitung.
Jannik Schümann in der Redaktion der Berliner Zeitung.Benjamin Pritzkuleit

Wie ist es seit diesem öffentlichen Outing im Privatleben?

Privat ist es seitdem nur noch schöner und freier, auch wenn ich mich nie eingesperrt gefühlt oder mich versteckt habe. Ich wusste aber, ich werde es schon machen, wenn es für mich der richtige Zeitpunkt ist. 2020 habe ich gespürt, dass es für diesen Schritt mit so einem tollen Partner an meiner Seite die richtige Zeit ist.

Was hat sich genau verändert?

Ich bin auch vorher Hand in Hand mit Felix durch die Straßen gelaufen, und es wussten auch alle von ihm. In der Pressearbeit habe ich das Thema jedoch ausgeschlossen. Nun thematisiere ich meine Homosexualität auch öffentlich und kann dadurch als Schauspieler ein Vorbild sein. Als ich 15 Jahre alt war, gab es keinen jungen geouteten Schauspieler, dabei hätte ich so eine Person sehr gebraucht. Ich wusste damals schon, dass ich Schauspieler werden will und ging davon aus, dass ich mein Berufsleben nicht mit meinem Privatleben komponieren kann. Diese Person, die mir sagt, dass es sehr wohl funktioniert, hat mir damals gefehlt. Ich möchte anderen Menschen Kraft und Mut geben.

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Foto: Benjamin Pritzkuleit
Jannik Schümann
ist ein deutscher Schauspieler, Musicaldarsteller, Synchron- und Hörspielsprecher. Er wurde am 22. Juli 1992 geboren und wuchs in Hamburg auf. Als Kind begeisterte er sich für Tanz und Musik und bekam mit neun Jahren die Hauptrolle des Mozart im gleichnamigen Musical. Seither spielte der preisgekrönte Schauspieler in zahlreichen Filmen und Serien, etwa in mehreren Tatort-Folgen, „Jugend ohne Gott“, „Dem Horizont so nah“,  „9 Tage wach“ und „Monster Hunter“. Zuletzt war er als Kaiser von Österreich in der RTL-Serie „Sisi“ zu sehen. 

In „Sisi“ haben Sie bewiesen, dass ein Schwuler glaubhaft eine heterosexuell angelegte Rolle spielen kann. Gibt es das Vorurteil, dass ein homosexueller Schauspieler keine heterosexuellen Rollen spielen kann?

Dieses Vorurteil wurde im ActOut-Manifest benannt. Dabei liegt es doch in der Natur des Berufes, glaubhaft eine Rolle zu verkörpern, die mit einem privat wenig zu tun hat. Ich habe schon so viele Mörder und Psychopathen gespielt und bin weder das eine noch das andere.

Es wird ja auch darüber debattiert, ob schwule Rollen mit heterosexuellen Schauspielern besetzt werden dürfen. Wie sehen Sie das?

Diese Debatte halte ich für falsch. Ich möchte doch auch einen heterosexuellen Mann spielen, daher muss es  andersherum genauso möglich sein.

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