Wahlkampfauftakt mit Hindernissen
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Wahlkampfauftakt mit Hindernissen

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Die heimische Kandidatin der Linken, Desiree Becker (r.), begrüßt die Bundesvorsitzende der Partei, Janine Wissler (l.). © Oliver Schepp

Die Linke kämpft um ihr politisches Überleben. Und es scheint ein harter Kampf zu werden. Darauf deuten auch die Umfragen zur Europawahl am 9. Juni hin. Dort steht die Partei bei drei Prozent. Beim Wahlkampfauftakt am Dienstag in Gießen stemmten sich die Bundesvorsitzende Janine Wissler und die heimische Kandidatin Desiree Becker gegen diesen Trend.

Wer ein Symbolbild für die aktuelle Situation der Partei Die Linke sucht, der musste am Dienstagnachmittag in Gießen am Kugelbrunnen stehen. Zum Wahlkampfauftakt hatte sie dorthin zum Straßenfest eingeladen. Aber ein solches Straßenfest lebt von gutem Wetter, ein paar Attraktionen und vielen Besucherinnen und Besuchern. Das unbeständige Aprilwetter mit viel Regen und Wind sorgte dafür, dass die rund 30 Genossen meist unter sich blieben und nur wenige Zuhörer am Kugelbrunnen anhielten. Und dann saß die Bundesvorsitzende der Partei, Janine Wissler, auch noch in Frankfurt fest, weil ihr Zug wegen der Wetterlage nicht fuhr. Sie kam mit über zweistündiger Verspätung in Gießen an. Trotz dieser widrigen Umstände: Wissler und die heimische Kandidatin Desiree Becker stemmten sich mit kämpferischen Reden gegen den Trend, der für die Partei nach der Abspaltung des Wagenknecht-Lagers nach unten zeigt: Bei den Umfragen zur Europawahl liegt die Linke bei 3 Prozent.

Scharfe Kritik an Asylkompromiss

Jörg Cezanne, Bundestagsabgeordneter der Partei, machte aber klar, dass es mindestens 7 Prozent sein müssen, damit Becker mit ihrem beachtenswerten siebten Listenplatz der Einzug ins Europaparlament gelingt. Die Gießenerin setzte in ihrer kurzen und prägnanten Rede dabei vor allem auf die Kraft der Slogans: »Es gibt kein unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten«, »Wir können uns die Reichen nicht leisten« oder »Der Feind kommt nicht mit dem Schlauchboot, er kommt mit der Privatyacht«.

Dabei besetzte die als Gewerkschaftssekretärin bei Verdi tätige Becker klassische Themen der Linken: Sie forderte mehr Lohn und Urlaubstage für Arbeitnehmer, sprach sich für eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich aus. Arbeitgeber müssten ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern heute deutlich bessere Perspektiven bieten, betonte sie. Lobend erwähnte Becker in diesem Zusammenhang das Universitätsklinikum Gießen-Marburg mit dem Entlastungstarifvertrag.

Die Linke-Politikerin forderte die Stärkung des Öffentlichen Personennahverkehrs, den sie als »wesentlichen Bestandteil für den Kampf gegen die Klimakrise« bezeichnete. Scharfe Kritik äußerte sie unter anderem an der SPD wegen des restriktiven Kurses in der Asylpolitik. Dies spiele nur den »Rechten« in die Karten, die »den Kampf gegen Europa« aufgenommen hätten. »Wenn jede Partei ihre Haltung verliert, dann müssen wir sie bewahren«, betonte Becker.

Wissler schlug in eine ähnliche Kerbe: Die Linke stehe für eine »humane Flüchtlingspolitik«. Sie kritisierte den EU-Asylkompromiss scharf. Wer Familien mit Kindern zukünftig an den Außengrenzen Europas inhaftieren wolle, »tritt die Menschenrechte mit Füßen«. Die Linke stehe zudem für Abrüstung und Frieden. Sie forderte Friedensgespräche im Nahostkonflikt und kritisierte Iran für den Drohnenangriff auf Israel.

Wissler sprach von einem Europa »der Banken und Konzerne, wo Reiche ihr Geld in Steueroasen verstecken können«. Sie forderte, dass vermögende Menschen »angemessen« an der Finanzierung der Sozialstaaten beteiligt werden, damit die Armen nicht noch ärmer würden. In Deutschland gebe es mittlerweile 237 Milliardäre. »Aber was tragen sie zum Gemeinwohl bei?«, fragte Wissler. Weiter kritisierte sie die Ampel-Regierung. Die biete mit ihrer Politik aktuell ein »unwürdiges Schauspiel«. Zudem schnitt sie Themen wie den Mangel an Wohnungen und die Gesundheitsversorgung an. Beide Bereiche gehörten in öffentliche Hand.

Das Straßenfest wirkte wie eine Selbstvergewisserung der in Bedrängnis geratenen Linken, die zuletzt bei der hessischen Landtagswahl den Sprung ins Parlament verpasst hatte. Kreisverbände aus Kassel, Frankfurt oder Lahn-Dill hatten Vertreterinnen und Vertreter geschickt. Stattdessen fehlten Stadtverordnete der Linken und ihr hauptamtlicher Stadtrat Francesco Arman, der weiterhin zu Spekulationen, dass er die Partei Richtung SPD verlassen will, schweigt. Von all den widrigen Umstände zeigten sich die Linken am Dienstagnachmittag aber unbeeindruckt. Stattdessen grillten sie bei diesem Mistwetter Bratwürste, gaben Popcorn aus, verteilten Flyer oder wippten zur Musik eines jungen Mannes im Takt. Diese Zähigkeit und Hartnäckigkeit, so hoffen sie, soll sich am 9. Juni auszahlen.

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