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Deutschland Janine Wissler

Sie will an die Linke-Spitze – und wünscht sich Kommunismus nach Marx

„Die Debatten der Vergangenheit haben uns nicht genutzt“

Die Linke wählt auf dem kommenden Parteitag einen neuen Bundesvorsitz. Im Gespräch ist ein Frauenduo aus Janine Wissler und Susanne Hennig-Wellsow. Dietmar Bartsch plädiert für mehr innerparteilichen Zusammenhalt statt schädigender Debatten.

Quelle: WELT/ Lena Mosel

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Die Linke-Vorsitzkandidatin Wissler ist Mitglied einer vom Verfassungsschutz als linksextrem eingestuften Gruppe. Mitbewerberin Hennig-Wellsow tritt für eine „radikale, linke Politik“ ein – aber in Regierungsverantwortung. Dem Duo werden große Erfolgschancen zugesprochen.

Gut möglich, dass die Linke in diesem Jahr mit der ersten weiblichen Doppelspitze auf Bundesebene an den Start gehen wird. Nach dem Rückzug der Vorsitzenden Katja Kipping und Bernd Riexinger bewerben sich die hessische Fraktionschefin Janine Wissler sowie die Landes- und Fraktionsvorsitzende in Thüringen, Susanne Hennig-Wellsow, um den Parteivorsitz.

Damit gehen zwei erfahrene Politikerinnen ins Rennen, denen gute Chancen eingeräumt werden. Doch wer sind die beiden Frauen, die als Wunschnachfolgerinnen der bisherigen Parteispitze gelten?

In Hessen ist Wissler seit zwölf Jahren Fraktionschefin. Für ihre rhetorische Pointiertheit wird die 38-Jährige gelobt und gefürchtet. Bundesweit geriet ihr Name in diesem Sommer in die Schlagzeilen, als sie während der Drohmailaffäre Schreiben erhielt, die mit „NSU 2.0“ unterzeichnet waren. Innerparteilich gilt die studierte Politikwissenschaftlerin als eine, die verschiedene Strömungen hinter sich zu bringen vermag. Wissler, so heißt es in Berliner Parteikreisen, bringe einfach alles mit.

Ihre Gruppe Marx 21 lehnt Regierungsbeteiligung ab

Allerdings auch etwas, das noch zu Diskussionen führen dürfte. Denn Wissler ist Mitglied der trotzkistischen Gruppe Marx 21, die vom Verfassungsschutz beobachtet und als linksextrem eingestuft wird. Die Gruppe arbeitet nach eigenen Angaben im innerparteilichen Zusammenschluss „Bewegungslinke“ mit, die für eine Erneuerung der Linkspartei eintritt und dabei vor allem den Fokus auf die außerparlamentarische Arbeit innerhalb von Gewerkschaften und Protestbewegungen legt.

Marx 21 lehnt eine Regierungsbeteiligung explizit ab. Selbst beschreibt sie sich als „globalisierungskritisches“ Netzwerk mit dem Ziel einer „sozialistischen Welt“. Für eine „gerechtere Welt“ müssten „die unterdrückten Klassen sich den gesellschaftlichen Reichtum kollektiv aneignen und die Produktionsmittel ihrer demokratischen Kontrolle unterstellen“. So steht es in den politischen Leitsätzen.

„Ziel ist die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung“, hieß es dazu 2019 im Bericht des Bundesamts für Verfassungsschutz. Marx 21 versuche, mit einer Strategie der Unterwanderung Einfluss auf die Linkspartei zu gewinnen.

Zudem zeigte Marx 21 in der Vergangenheit die Tendenz, Antisemitismus zu verharmlosen. So argumentierte 2014 ein Mitglied des Leitungskreises, antisemitische Taten, die von Menschen mit arabischer oder palästinensischer Abstammung begangen würden, seien nicht dem „traditionellen Antisemitismus“ zuzuordnen, da sie sich aus der Wut gegen israelische Politik speisten – und die werde ja wiederum von den jüdischen Gemeinden in Deutschland unterstützt. Man stelle sich gegen Antisemitismus, heißt es zwar auf der Webseite – doch dieser, so steht es in anderen Beiträgen, sei eine ausschließlich rechtsradikale Ideologie. Der Vorwurf gegen Linke solle diese nur schwächen.

Befragt wurde Wissler zu Marx 21 im Juni von der „Zeit“. Ob sie eine kommunistische Gesellschaftsordnung für erstrebenswert halte? Wenn man Kommunismus so wie Marx als eine demokratische Gesellschaft ohne ökonomische Ausbeutung und ohne politische Unterdrückung definiere, „dann ja“, antwortete Wissler. Auch sagte sie, das Urteil des „sogenannten Verfassungsschutzes“ sei für sie „keine Referenz“. Wenig überraschend – forderte Wissler mit Verweis auf die Erkenntnisse aus dem NSU-Untersuchungsausschuss doch in der Vergangenheit mehrfach die Auflösung des Verfassungsschutzes in Hessen.

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Auch der Beteiligung an einem Regierungsbündnis steht sie skeptisch gegenüber. Gemeinhin wird in der Partei allerdings davon ausgegangen, dass es letztlich nicht darum geht, ob man nach der Bundestagswahl 2021 regieren wolle, sondern welchen Preis man dafür zu zahlen bereit sei. Heißt: Auch mit Janine Wissler ist Rot-Rot-Grün denkbar. Tatsächlich sondierte sie 2013 in Hessen eine entsprechende Koalition – letztlich aber sagte die SPD ab.

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Auf solche Begebenheiten verweisen Genossen, wenn es um die Mitgliedschaft bei Marx 21 geht. Tenor: Wissler sei keine Ideologin. „Ich halte es für kein Problem“, sagte der ehemalige Parteivorsitzende und Bundestagsabgeordnete Klaus Ernst WELT. Innerhalb der Partei spiele dies keine Rolle. „Sie wird als Linke wahrgenommen, die sich im Hessischen Landtag große Anerkennung erarbeitet hat.“ Dabei sei sie nie als „Vertreterin von Marx 21 aufgetreten, sondern immer als Vertreterin der Linken“.

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Aus seiner Sicht müsse sie sich nicht rechtfertigen. Erwartet wird dennoch, dass sie es tun wird. Noch steht allerdings eine persönliche Stellungnahme zur Kandidatur aus. Grund dafür ist eine „familiäre Notsituation“, wie es in ihrer Erklärung hieß.

Hennig-Wellsow personifiziert Rot-Rot-Grün

Erklärt hat sich hingegen ihre Co-Kandidatin Susanne Hennig-Wellsow. Die war bis zum 5. Februar 2020 eigentlich nur auf Landesebene bekannt. Das änderte sich, als die 42-Jährige an diesem Tag im Erfurter Landtag dem FDP-Politiker Thomas Kemmerich einen Strauß Blumen vor die Füße warf, nachdem er gerade mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt worden war.

Linke-Chefin wirft neuem Ministerpräsidenten die Blumen vor die Füße

Mit einer symbolträchtigen Geste bringt Thüringens Linke-Fraktionschefin Susanne Hennig-Wellsow ihren Frust zum Ausdruck.

Quelle: WELT

Während die meisten Abgeordneten der Linken, der SPD und der Grünen noch gar nicht glauben konnten, was sich da gerade zugetragen hatte, war die Fraktionschefin in den Angriffsmodus gewechselt. Die Szene machte bundesweit Schlagzeilen, Hennig-Wellsow wurde nicht nur in ihrer Partei regelrecht gefeiert.

Dass Ramelow inzwischen wieder im Amt ist, hat viel mit ihrem Beharrungsvermögen und ihrer politischen Übersicht zu tun. Ohne ihr Wirken im Hintergrund wäre der Thüringer Modellversuch – eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung, die regelmäßig Kompromisse mit der CDU-Opposition suchen und finden muss – völlig undenkbar. Die Arbeitsteilung war dabei immer klar. Ramelow gibt den pragmatischen, manchmal jovialen, mitunter aufbrausenden Landesvater. Und Hennig-Wellsow sorgt dafür, dass die Reihen bei den Linken fest geschlossen bleiben.

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Das war nicht immer leicht, schon gar nicht selbstverständlich. Als Ramelow beispielsweise im Februar ohne Absprache vorschlug, seine christdemokratische Amtsvorgängerin Christine Lieberknecht zur Interims-Ministerpräsidentin zu wählen, waren viele Linke irritiert. Eine CDU-Frau wählen, also quasi dem Klassenfeind zur Macht verhelfen? Doch ein Aufstand blieb aus.

Hennig-Wellsow sei in Krisensituationen ebenso geistesgegenwärtig wie ausdauernd, loben Kabinettsmitglieder. Selbst politische Gegner bescheinigen der ehemaligen Profi-Eisschnellläuferin großes politisches Talent und hohe Disziplin. Wenn sich CDU-Politiker über die Diplom-Pädagogin äußern, schwingt Respekt mit – und ein bisschen Angst: Im Herzen sei Hennig-Wellsow eine überzeugte Kommunistin. Sie selbst plädiert für eine „radikale, linke Politik“, das soll übrigens mehr markieren als nur einen semantischen Unterschied zu „linksradikaler Politik“. In ihren Reihen gilt Hennig-Wellsow als überzeugte Anhängerin der Regierungslinken.

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Ob Olaf Scholz (SPD) der richtige Kanzler für ein linkes Regierungsprojekt im Bund sei, wurde sie jetzt vom „Spiegel“ gefragt. Die Antwort von Hennig-Wellsow fiel filigran aus: „Ich mag seine norddeutsche Art.“ Politisch habe Scholz „natürlich einiges gemacht, was ich nicht unterstütze. Andererseits hat er in der Corona-Krise den Weg frei gemacht für die hohen Kreditaufnahmen. Das hat uns auch in den Ländern politische Gestaltungsspielräume geschaffen.“ Mit anderen Worten: Klar geht das mit Scholz.

Scholz sieht Koalition mit Linkspartei skeptisch

Eine Koalition mit der Linken? Mit umständlichen Ausreden versucht SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz das Thema bei Maischberger zu umgehen. Grundsätzlich schließt er ein Bündnis seiner Partei mit der Linken nach der Bundestagswahl nicht aus, sieht es aber eher skeptisch.

Quelle: WELT/Laura Fritsch

Sollte Hennig-Wellsow im Herbst zur Bundesvorsitzenden gewählt werden, wäre sie im Gegensatz zu Wissler das personifizierte Versprechen auf eine Regierung, die sich ihre Mehrheit links von der Union holt. Die duale Aufstellung mag man für amorph halten, aber ohne die verbindliche Einbindung des linken Flügels der Linken wird das Projekt „linke Mehrheit“ kaum möglich sein. Und so werden Hennig-Wellsow und Wissler nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Unterschiede ausgezeichnete Chancen eingeräumt.

Dennoch ist die Nachfolge keinesfalls besiegelt, es wird mit weiteren Kandidaturen gerechnet. Alles andere wäre auch untypisch für die Linkspartei.

Am 8. September kündigte Wissler in der „Zeit“ an, ihre Mitgliedschaft beim trotzkistischen Netzwerk Marx 21 zu beenden.

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