Interview

Jane Birkin in ihrem letzten VOGUE-Interview über das Älterwerden: "Meiner Ansicht nach hat eine Frau in den Vierzigern die beste Zeit”

Muse, Sängerin, Schauspielerin: Jane Birkin war eine Ikone. Im Gespräch mit VOGUE sprach sie erst vor wenigen Monaten offen über das Älterwerden, ihren schwersten Verlust und erklärte, wieso wir täglich demonstrieren sollten.
Ikone Jane Birkin im Gespräch mit VOGUE
NICO BUSTOS / ARTLISTPARIS.COM

Viel zu früh ist die britisch-französische Sängerin und Schauspielerin Jane Birkin im Alter von 76 Jahren verstorben, wie das französische Kulturministerium am Sonntag, 16. Juli, bestätigte. Erst vor wenigen Monaten haben wir sie für unsere März-Ausgabe interviewt. Lesen Sie hier das Interview aus dem Archiv (zuerst veröffentlicht am 23. März 2023).

Kulturell unsterblich haben Jane Birkin vor allem zwei Dinge gemacht: das skandalöse Duett "Je t’aime ... moi non plus" mit ihrem damaligen Partner Serge Gainsbourg und die "Birkin Bag". Dabei ist die Britin so viel mehr: Als Schauspielerin etablierte sie sich im Charakterfach, schreibt mittlerweile eigene Songs, lancierte 2022 mit A.P.C. ihre erste Modelinie – und wendet sich als Aktivistin immer wieder gegen gesellschaftliche Missstände.

Jane Birkin im VOGUE-Interview: über Repräsentation im Film, politischen Einsatz und wie sie nach ihrem Verlust wieder zu leben begann

VOGUE: Sie geben regelmäßig Konzerte. Wann drehen Sie Ihren nächsten Film?

Jane Birkin: Ich habe beschlossen, mich aus dem Filmgeschäft zurückzuziehen. Ehrlich gesagt, mag ich mich auf der Leinwand nicht mehr sehen. In meinem Alter fehlt mir der Mut, noch einmal nackte Haut zu zeigen. Zuletzt habe ich 2021 für die Dokumentation "Jane by Charlotte" vor der Kamera gestanden, Regie führte meine Tochter Charlotte Gainsbourg. Dieses Filmprojekt war das Beste, das ich in den vergangenen 20 Jahren gemacht habe. Ich wüsste nicht, was jetzt noch kommen könnte.

Welche Rolle wurde Ihnen denn zuletzt angeboten?

Kürzlich fragte mich ein Regisseur, ob ich nicht eine Alzheimerkranke spielen wolle. Vielleicht war es dumm, abzusagen. Doch ich denke eigentlich immer, andere Schauspielerinnen wie Catherine Deneuve oder Charlotte Rampling wären die bessere Wahl. Darum schlage ich sie vor. Ich könnte mir ihre Gesichter den ganzen Tag in Nahaufnahme anschauen. Warum gibt man diesen Frauen nicht die Rollen, die sie verdienen? Schließlich sitzen im Kino auch Zuschauer:innen über 70. Sie möchten Darsteller:innen in ihrem Alter sehen, mit denen sie sich identifizieren können. Zum Beispiel Fanny Ardant in dem Film "Die schönen Tage". Sie hat eine ältere Frau gespielt, die eine Affäre mit einem jüngeren Mann hatte. Das war großartig!

Im Gegensatz zum Kino hat die Werbebranche die ältere Generation schon längst als interessante Zielgruppe entdeckt.

Ich weiß nicht, was ich von Begriffen wie "Best Ager" halten soll. Meiner Ansicht nach hat eine Frau in den Vierzigern die beste Zeit ihres Lebens. Sie weiß genau, was sie schon hinter sich hat. Nun wartet sie voller Neugier darauf, was wohl noch vor ihr liegt. Mit 50 ist sie dann vielleicht ein bisschen klüger. Ich sehe an meiner Tochter Charlotte (51 Jahre alt, Anm. d. Red.), was für Möglichkeiten diese Phase in sich birgt. Als Schauspielerin hat sie jetzt viele Optionen. Sie ist als leidenschaftliche Frau ebenso glaubwürdig wie als fragiler, psychisch instabiler Charakter.

Wären Sie gern noch mal so alt wie Ihre Tochter oder sogar jünger?

Wenn ich junge Paare Händchen haltend im Park sehe, werde ich manchmal etwas wehmütig. Aber im Grunde bin ich gerade sehr zufrieden. Weihnachten habe ich mit den Familien meiner Kinder verbracht. Meine jüngste Tochter Lou Doillon (40 Jahre alt, Anm. d. Red.) kam mit ihrem Baby, sie wirkte so glücklich. Nach dieser Pause bin ich jetzt wieder auf Tournee.

Werden Sie bei Ihren Auftritten neben den Stücken Ihres 2020er-Albums "Oh! Pardon tu dormais …" auch ein paar Serge-Gainsbourg-Songs singen?

Natürlich. Es wäre unklug, auf Klassiker wie "Ballade de Melody Nelson" oder "Fuir de bonheur" zu verzichten. Schließlich war Serge der größte Poet seit Apollinaire und Baudelaire. Das Centre Pompidou in Paris widmet ihm derzeit die Ausstellung. "Le mot exact", die sich nur mit seinen Texten beschäftigt.

Auch Sie haben vor einigen Jahren bei einem Gainsbourg-Abend Ihren einstigen Lebensgefährten als Dichter gewürdigt. Wie kam es dazu?

Mein Agent und mein künstlerischer Leiter Philippe Lerichomme schlugen mir vor, mit den Schauspielern Michel Piccoli und Hervé Pierre Verse von Serge zu lesen. So wollten sie mich nach dem Tod meiner Tochter Kate Barry endlich aus dem Haus locken. Tatsächlich hörte ich auf, bloß um mich zu kreisen. Ich begann wieder zu leben.

Ihr Lied "Cigarettes" haben Sie Ihrer verstorbenen Tochter Kate Barry gewidmet. Fällt es Ihnen schwer, diesen Titel vor Publikum zu interpretieren?

Komischerweise ist es überhaupt nicht schmerzhaft für mich, über Kate zu singen. Wenn ich allerdings in einem Gespräch diesen Moment beschreiben sollte, in dem ich in die Leichenhalle gegangen bin, würde ich in Tränen ausbrechen.

Hat Ihnen das Songschreiben dabei geholfen, Ihre Trauer zu bewältigen?

Wirklich zur Seite gestanden haben mir meine Freund:innen. Sie gingen mit mir ins Kino, manchmal saß ich in sechs Vorstellungen pro Tag. In die Schicksale anderer Menschen einzutauchen tat mir gut. Ein Film wie "Manchester by the Sea" machte mir bewusst, dass einige Leute noch viel schlimmer dran waren als ich.

Sie engagieren sich stark für Menschenrechte. Wie genau?

Ich tue in Frankreich, was ich kann. Wenn ich im Fernsehen über die Situation im Iran spreche, erreicht das auch die Menschen vor Ort. Ich habe in Paris für die Iranerinnen demonstriert, damit sie sich nicht allein gelassen fühlen. Im Grunde müssten wir in Europa jeden Tag auf die Straße gehen, um uns mit den Ukrainer:innen zu solidarisieren oder gegen die Militärjunta in Myanmar zu protestieren. Statt gegen die Anhebung des Rentenalters aufzubegehren, sollten wir uns lieber für die einsetzen, denen es richtig schlecht geht.

Hinweis: Aus gesundheitlichen Gründen musste Jane Birkin ihre Tournee – inklusive der drei März-Termine in Deutschland (Hamburg, München und Berlin) – leider absagen. Über mögliche Alternativtermine ist bislang noch nichts bekannt.

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Dieser Artikel erschien zuerst in unserer März-Ausgabe 2023. Entdecken Sie unser aktuelles Heft im Zeitschriftenhandel oder lassen Sie es sich bequem zu sich nach Hause liefern – zum Beispiel über Amazon.