Jan Josef Liefers über Tobias Langhoff: „Unser letzter Tag war richtig gut“

Jan Josef Liefers über Tobias Langhoff: „Unser letzter Tag war richtig gut“

Der Schauspieler Tobias Langhoff ist am 28. November gestorben, an seinem 60. Geburtstag. Jan Josef Liefers erinnert sich an seinen ältesten und besten Freund.

Freunde fürs Leben: Jan Josef Liefers (r.) und Tobias Langhoff (1962–2022) fuhren gemeinsam durch Südamerika.
Freunde fürs Leben: Jan Josef Liefers (r.) und Tobias Langhoff (1962–2022) fuhren gemeinsam durch Südamerika.dmax/Peggy Kuniss

Ei­nen Nach­ruf soll ich schrei­ben? Auf dich, To­bi­as, mei­nen bes­ten und äl­tes­ten Freund? So ei­nen be­däch­ti­gen Text, wohl­ge­setz­te Wor­te des Ab­schieds? Mit dem ich dein Le­ben noch ­mal an­ge­mes­sen wür­di­ge, auf un­se­re ge­mein­sa­men Jahr­zehn­te zu­rück­bli­cke und mei­ne Trau­er über dei­nen Knall und Fall über dich und mich her­ein­ge­bro­che­nen Tod aus­drü­cke?

Das kann ich nicht, das geht nicht, meen Klee­na, du bist ja noch da! Du sitzt ja noch hier in unse­rer Kü­che, wie am Tag vor dei­nem 60. Ge­burts­tag, den du auf gar kei­nen Fall fei­ern wolltest, und der dar­auf­hin be­lei­digt be­schloss, dein letz­ter zu wer­den. Du schlen­kertest ja noch hier durch die Räu­me und er­zähltest Anna und mir von dei­nem Um­zug, weil dein Ver­mie­ter dei­ne Woh­nung für sich braucht.

Wie schwer dir der Ab­schied von der Knaack­stra­ße fällt nach 30 Jah­ren, von den net­ten Leu­ten in dei­nem Haus, die so lan­ge deine Nach­barn wa­ren. Von neu­en und al­ten Mö­beln. Von der ewi­gen Pan­de­mie­ka­cke, die kein Ende nimmt. Von neu­en Bü­chern und neu­en Fil­men und Gott und der Welt.

„Watt mach­t’n ihr zu Weih­nach­ten?“

„Na Fa­mi­ly. Und du?“

Jan Josef Liefers: Unsere Väter ließen uns nicht los

„Weeß noch nich, wir wer­den uns wie­der mit Luki bei mee­na Mut­ta tref­fen.“

Deine Fa­mi­ly, das waren für mich immer dein Bru­der Lu­kas und dei­ne Mut­ter Hedi. Ko­mischer­wei­se dachte ich nicht auch an Tho­mas, dei­nen Va­ter, den be­rühm­ten Thea­ter­re­gis­seur. Dabei ist das ein ver­dammt neur­al­gi­scher Punkt und si­cher eins der stärksten Bän­der un­se­rer Freund­schaft: un­se­re Vä­ter und wir. Bei­de le­ben schon lan­ge nicht mehr, aber die las­sen uns und wir las­sen die ir­gend­wie nicht los. Auch am Sonn­tag kom­men wir wie­der auf die bei­den zu spre­chen, beim Spa­zie­ren­gehen drau­ßen im na­hen Park, als die Hun­de raus müs­sen. Da hab ich dir ein Ge­heim­nis verra­ten, et­was, das nur ein ein­zi­ger Mensch au­ßer dir kennt. Jetzt bin ich froh, dass ich das ge­macht habe und noch ­mal dein Ver­ständ­nis, dei­ne Ver­bun­den­heit spü­ren konn­te, da waren wir uns rich­tig nah.

Ich will was Gro­ßes von dir er­zäh­len. Da­mit alle, die das hier le­sen und dich nicht ken­nen, was Re­le­van­tes von dir er­fah­ren. We­nigs­tens das Nö­tigs­te. We­nigs­tens so­ viel, dass sie denken: „Ach scha­de Mensch, da ha­t’s ja mal wie­der den Fal­schen er­wischt, da muss­te ja wohl mal wie­der ei­ner von den Gu­ten ge­hen, von de­nen es im­mer zu we­ni­ge gibt, die wir so gut brau­chen kön­nen, die im­mer feh­len.“ Und dass die dann auch ein biss­chen trau­rig wer­den, dass du nicht mehr da bist. Viel­leicht bin ich nicht gut ge­nug als Schrei­ber­ling, das hin­zu­krie­gen. Viel­leicht muss das ei­ner der Schrift­stel­ler und Au­to­rin­nen ma­chen, die du so toll fan­dest, die du so lieb­test wie die ge­sam­te Li­te­ra­tur.

Tobias Langhoff, 2022
Tobias Langhoff, 2022DAVINA

Ers­ter Tag Schau­spiel­schu­le Ernst Busch in Schö­ne­wei­de 1983. Wir sind das ers­te Stu­di­enjahr, das von An­fang an in dem un­ge­müt­li­chen Neu­bau stu­die­ren soll. Von au­ßen ist es immer noch eine Bau­stel­le. Ein Hau­fen jun­ger Leu­te sam­melt sich im Foy­er. Ei­ni­ge wer­den – wie wir bei­de – vie­le Jah­re spä­ter haupt­säch­lich durch Fil­me­ma­chen ih­ren Le­bens­un­ter­halt ver­die­nen, was uns im Nach­hin­ein den spöt­ti­schen Spitz­na­men „Hol­ly­wood-Stu­di­en­jahr“ ein­han­del­te.

Wir waren der­ma­ßen sym­biotisch, dass ei­ni­ge über­zeugt wa­ren, wir wä­ren ein schwu­les Paar.

Jan Josef Liefers über Tobias Langhoff

In­door-Rau­chen war da­mals kein Pro­blem, also wur­de or­dent­lich ge­raucht. Ca­bi­net, F6, Ju­wel 72, sel­te­ner Club oder für die ganz Har­ten Karo. Zwei Ty­pen ste­hen dort am Rand und qual­men Ta­baks­pfei­fen. Das war da­mals be­reits eher ein sel­te­ner An­blick. Der eine war ich, der an­de­re warst du, To­bi­as. Gel­ber Pres­ti­ge, der roch ge­müt­lich nach Va­nil­le, den krieg­te man nicht im­mer, und der schmeck­te bes­ser als der brau­ne. Das ers­te ge­mein­sa­me Fachge­spräch dar­über brauch­te nur we­ni­ge Wor­te, bis die ers­te Ge­mein­sam­keit aus­ge­macht war. Es folg­ten noch un­zäh­li­ge mehr: dass wir bei­de aus Thea­ter­fa­mi­li­en stamm­ten, dass wir Fil­me lieb­ten, Ber­li­ner Pils­ner Spe­zi­al, gu­tes Thea­ter, gu­tes Es­sen. Und so kam im­mer mehr dazu, auch un­ser Freund Axel, der Drit­te im Bun­de. Wir wur­den wäh­rend des Stu­di­ums und in un­se­ren ers­ten drei Jah­ren am Deut­schen Thea­ter der­ma­ßen sym­biotisch, dass ei­ni­ge über­zeugt wa­ren, wir wä­ren ein schwu­les Paar. Du hast mir grin­send erzählt, dass so­gar dein Va­ter das mal in den Ring warf. Wir ha­ben ein­fach im­mer al­les zusam­men ge­macht. Al­les, au­ßer schla­fen.

„Wir haben am 4. November 1989 Reden auf dem Alex gehalten“

Das hast du in der Ha­genau­er er­le­digt, ich in der Gleim. Wir ha­ben Die­ter Mann, dem In­ten­dan­ten, ge­gen sei­nen Wil­len die Ba­racke als Spiel­stät­te ab­ge­run­gen und mit „Der stum­me Die­ner“ von Ha­rold Pin­ter er­öff­net, lan­ge be­vor Os­ter­mei­er die klei­ne Büh­ne be­rühmt mach­te. Wir ha­ben zu­sam­men „Lenz“ von Ge­org Büch­ner am BAT in der Belforter Straße und so­gar im Mos­kau­er Künst­ler­thea­ter ge­spielt und auf der Demo am 4. No­vem­ber Re­den ge­hal­ten.

Wir wa­ren zu­sam­men, als die Mau­er fiel und sind dann mit dem Fahr­rad von Van­cou­ver nach Los An­ge­les ge­fah­ren. Two guys like us can eas­i­ly go one hun­dred and twen­ty miles a day! Wir ha­ben uns am ers­ten Tag ver­lo­ren und am drit­ten zu­fäl­lig in der Pam­pa wie­der­ge­fun­den. Wir hat­ten nur eine Mat­te und ei­nen Schlaf­sack da­bei, nicht mal ein Zelt. Ha­ben zum Abend­brot Bier ge­trun­ken, am Pa­zi­fik in den Dü­nen ge­pennt und sind je­den Mor­gen klitsch­nass vom Tau auf­ge­wacht. Wir ha­ben in Ore­gon mit ei­nem aus­ge­wach­se­nen Bä­ren ge­früh­stückt, und du hast vor Schreck da­bei dei­ne Ka­me­ra ge­schrot­tet. Und dann bist du nach Wien ans Burg­thea­ter ge­gan­gen und ich ans Tha­lia nach Ham­burg.

Das fan­den ei­ni­ge sehr gut und wirk­lich an der Zeit, dass wir end­lich mal ohne ein­an­der klar­kom­men. Mir scheint es heu­te so, als wäre das kei­ne gute Idee ge­we­sen. Hier wür­de ich ger­ne noch mal hin, zu die­sem Mo­ment. Als wir uns das nächs­te Mal wie­der­sa­hen, war aus dir ein ande­rer Typ ge­wor­den, ein ehr­gei­zi­ger Sport­ler, ein Ma­ra­thon­läu­fer. Du sahst ganz an­ders aus, kaum wie­der­zu­er­ken­nen. Dünn und seh­nig. Hast nur noch trai­niert, wie ein Pro­fi.

Ich fand das gut, war auf dei­ner Sei­te, wie im­mer. Aber mir ist auch der Schreck in die Glie­der ge­fahren. Was war denn nur pas­siert? Hast du dir et­was ge­sucht, bei dem nie­mand, der dich von frü­her kann­te, dir das Was­ser rei­chen konn­te? Et­was, bei dem jed­we­der Ver­gleich mit an­deren ins Lee­re lief? Oder war das ein­fach nur über­bor­den­de Be­geis­te­rung für den Lauf­sport?

Du wur­dest der schnells­te Ama­teur, den ich kann­te. Und es ging dir rich­tig gut da­mit. Für dei­nen bes­ten Ber­lin-Ma­ra­thon brauch­test du zwei­ein­halb Stun­den. Kaum warst du raus aus der Ziel­zo­ne, hast du dir noch in Lauf­kla­mot­ten ein Pfeif­chen an­ge­steckt, die an­de­ren Läu­fer ha­ben dich an­ge­guckt, als wärst du ein Ali­en. Das war schon cool.

Mit Dis­zi­plin und Kon­se­quenz und Hin­ga­be wur­de aus dir „Ma­ra­thonmann“. Egal, was wir frü­her al­les an Sport zu­sam­men ge­macht hat­ten, jetzt warst du in ei­ner ei­ge­nen Liga. Ich und an­de­re um dich her­um ha­ben das be­wun­dert. Und ir­gend­wann misch­te sich da Sor­ge hinein, Sor­ge um den Freund, des­sen Kör­per im­mer we­ni­ger wur­de, aber des­sen Herz, Lie­be, Zu­nei­gung, Hilfs­be­reit­schaft gleich­ groß blie­ben, so­gar wuch­sen.

Es muss die­sen Punkt ge­ge­ben ha­ben, von dem an es kei­ne Hil­fe mehr gibt

Et­was war ent­glit­ten. Dir sel­ber und uns an­de­ren, dei­nen Freun­den, dei­ner Fa­mi­lie. Aber vor al­lem dir. Du hast uns be­ru­higt, al­les er­klärt und woll­test lan­ge, dass wir dich ein­fach nur so ak­zep­tie­ren, wie du bist. Und klar, das ha­ben wir. Dann muss es die­sen un­sicht­ba­ren Punkt ge­ge­ben ha­ben, von dem an es kei­ne Hil­fe mehr gibt. Kein Arzt, kein The­ra­peut, kein Bru­der und lei­der auch kein bes­ter Freund konn­ten dich ret­ten. So vie­len an­de­ren hast du ge­holfen, dir sel­ber konn­test du nicht hel­fen. Und nie­mand sonst konn­te es.

Das will mir nicht in den Kopf! Das macht mich fer­tig. Als du dich am Sonn­tag­nach­mit­tag von Anna, Lil­ly, Lola und mir ver­ab­schie­det hast, ha­ben wir uns in den Arm ge­nom­men, ich hab dich da­bei kurz an­ge­ho­ben, wie ei­gent­lich im­mer. Du Haut- und Kno­chen­mann hast zu mir ge­sagt: „Mir geht’s ei­gent­lich ganz gut, mein Kleener. Wirk­lich!“ Fa­mous last words. Dann bist du auf dein Rad ge­stie­gen und los­ge­fah­ren.

Am nächs­ten Tag, dem Mon­tag, dei­nem Ge­burts­tag, woll­ten wir dich in der neu­en Woh­nung be­su­chen, wir ha­ben dir mor­gens ein Ge­burts­tags­lied ge­schickt, aber du hast dich nicht zurück­ge­mel­det.

Tell me why I don’t like Mon­days!

„Ich ver­su­che mir vor­zu­stel­len, wie dein letz­ter Mor­gen ge­we­sen sein mag“

Dei­ne Atze und dei­ne Mama ha­ben dich ge­fun­den. Seit­dem den­ke ich un­un­ter­bro­chen an die bei­den, an die­sen tief­trau­ri­gen Mo­ment der Wahr­heit. Ich ver­su­che mir vor­zu­stel­len, wie dein letz­ter Mor­gen ge­we­sen sein mag. Dein kar­ges Früh­stück, für das dir dann kei­ne Zeit mehr blieb. Wann hast du dich ei­gent­lich ent­schie­den, dein Le­ben al­lein zu ver­brin­gen, kei­ne Frau, keine Kin­der?

„Ich hab tol­le Freun­de, hab groß­ar­ti­ge Men­schen um mich, wenn ich will“, hast du im­mer ge­sagt. „Zu­ Hau­se geht’s mir am bes­ten, wenn ich un­ge­stört mei­nen Stie­fel machen kann.“ In die­ser Sa­che wa­ren wir im­mer un­gleich. Ich hab so gut wie nie al­lein ge­lebt. Du warst und bleibst ja so­wie­so im­mer Teil mei­ner Fa­mi­lie. Das war schon so, als wir als Stu­den­ten zu mei­ner Oma Hil­de nach Dres­den fuh­ren, die uns durch­ge­füt­tert hat mit ih­rem sen­sa­tio­nel­len Sau­er­bra­ten, Rot­kohl und Klö­ßen.

Der Schauspieler Tobias Langhoff im Jahr 2022
Der Schauspieler Tobias Langhoff im Jahr 2022DAVINA

In den letz­ten Jah­ren hab ich dich nicht mehr es­sen se­hen. Doch! Am letz­ten Sonn­tag! Da hast du dir ei­nen Weih­nachts­keks genom­men, mir grin­send vor die Nase ge­hal­ten und ihn auf­ge­ges­sen. Un­ser letz­ter ge­mein­samer Tag war rich­tig gut. Rich­tig rund­um schön. Das ist ein Trost. Und wer bis hier­her ge­le­sen hat und sich im­mer noch fragt, wer die­ser To­bi­as Lang­hoff eigent­lich war, dem sei ge­sagt, dass er ein Schau­spie­ler war, der am Thea­ter und in vie­len gu­ten Fil­men ge­spielt hat. Ein Schau­spie­ler von gro­ßer Ei­gen­art, be­son­de­rem Ta­lent und ho­her Sen­si­bi­li­tät. Ei­ner der freund­lichs­ten, em­pa­thischs­ten Kol­le­gen, ein äu­ßerst be­le­se­ner Mann, ein ge­dul­di­ger und nach­denk­li­cher Ge­sprächs­part­ner, ein neu­gie­ri­ger Jun­ge, ein seltsa­mer Vo­gel, ein hu­mor­vol­ler Kerl mit an­ste­cken­dem La­chen, ein Schlau­kopf und mein bester Freund.

Und wer Tobi zum Freund hat­te, der hat es rich­tig gut ge­trof­fen. Das wa­ren ei­ni­ge au­ßer mir. Von nun an wer­den wir dich zu­sam­men ver­mis­sen und er­füllt von Dank und Freu­de für den Rest un­se­rer Tage an dich den­ken. Und so lebst du ein­fach wei­ter. Also pfeif auf ei­nen Nach­ruf, den soll sonst­ wer schrei­ben! Denn du bist im­mer da, wenn ich will. Dann ge­hen wir zu­sam­men mit dem Hund, fah­ren noch­ mal nach Us­huaia oder in die Kul­tur­braue­rei oder quat­schen über ei­nen tol­len Film oder ein schö­nes Buch, trin­ken dazu eine die­ser exo­tischen Bier­sor­ten, die du im­mer im Kühl­schrank hat­test. Und jetzt su­che ich im Kel­ler irgend­wo mei­ne al­ten Pfei­fen und stop­fe mir eine und rauch’ die nach über zehn Jah­ren wieder.

Wie da­mals im Foy­er der Schau­spiel­schu­le.

Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! briefe@berliner-zeitung.de