James Turrell wird 80 Jahre alt: Der liebe Gott trägt Cowboyhut | Abendzeitung München

James Turrell wird 80 Jahre alt: Der liebe Gott trägt Cowboyhut

Der große Lichtmagier James Turrell wird 80 Jahre alt. Kein Grund für den Künstler, die Arbeit runterzudimmen.
| Christa Sigg
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Schaut aus wie eine Planzeichnung, Florian Holzherr hat aber tatsächlich in der "Chapel for Luke" im Diözesanmuseum Freising fotografiert.
Schaut aus wie eine Planzeichnung, Florian Holzherr hat aber tatsächlich in der "Chapel for Luke" im Diözesanmuseum Freising fotografiert. © Florian Holzherr © James Turrell

Würde in Samuel Becketts Theaterstück "Warten auf Godot" tatsächlich der liebe Gott auftauchen, er müsste so aussehen wie James Turrell. Mit seinem schlohweißen Haar und dem dichten Bart wirkt der Künstler wie die menschenfreundliche Version von Michelangelos Allmächtigem. Und irgendwie pfuscht Turrell ja auch in dessen Handwerk.

Ein magisches Leuchten

"Es werde Licht", heißt es in der biblischen Genesis. Beim Schöpfergott genügt so ein Spruch, während die Sterblichen dafür schon einiges erfinden müssen. Erst recht, wenn daraus ein magisches Leuchten werden soll wie bei James Turrell, der an diesem Samstag 80 Jahre alt wird und überhaupt nicht daran denkt, seine immer neuen Licht-Raum-Installationen langsam runterzudimmen.

Sein Opus Magnum ist noch nicht vollendet

Von Argentinien bis Vorarlberg und von Berlin bis Uruguay ist er überall auf der Welt gefragt, da legt man nicht einfach die Hände in den Schoß. Und schließlich ist sein Opus Magnum noch gar nicht vollendet. Seit 1974 gräbt Turrell sich mitten in der Wüste von Arizona durch einen erloschenen Vulkan, den "Roden Crater". Dabei entstehen Gänge, Kammern, Schächte und astronomisch berechnete Öffnungen, durch die man den Himmel und dieses kaum fassbare Schauspiel von Mond, Sonne und Sternen auf besonders intensive Weise erleben kann.

Orientierungsverlust zwischen Gelb, Rosarot, Lila und Grün

Das hat ihn immer schon fasziniert. Nie konnte es weit genug hinaufgehen, deshalb hat der Sohn einer Quäkerfamilie aus Los Angeles mit gerade mal 16 Jahren den Flugschein gemacht. Dort oben gibt es keine Grenzen. Das ist letztlich auch ein Prinzip seiner Kunst.

Schaut aus wie eine Planzeichnung, Florian Holzherr hat aber tatsächlich in der "Chapel for Luke" im Diözesanmuseum Freising fotografiert.
Schaut aus wie eine Planzeichnung, Florian Holzherr hat aber tatsächlich in der "Chapel for Luke" im Diözesanmuseum Freising fotografiert. © Florian Holzherr © James Turrell

Wer im Diözesanmuseum in Freising die neue Kapelle, das heißt, die "Chapel for Luke and his Scribe Lucius the Cyrene" betritt, verliert bald die Orientierung zwischen sanftem Gelb, Rosarot, Lila, Grün und unzähligen Zwischentönen. Wo die Räumlichkeiten enden, ist sowieso nicht mehr auszumachen. So muss sich die Unendlichkeit anfühlen, von der Meister Eckhart schwärmt: Gott sei mit ewigem Licht verbunden. Und der tief gläubige Turrell bezieht sich immer wieder auf den mittelalterlichen Mystiker.

Ein Geheimnis für das menschliche Auge

Für den Zauber des Künstlers ist freilich ein bisschen mehr nötig, Technik nämlich. Also begann Turrell mit Diaprojektoren zu experimentieren und dazu mit geöffneten und verdeckten Fenstern den Lichteinfall zu regulieren. Die Kommilitonen fassten sich an den Kopf. Doch der studierte Mathematiker und Psychologe hat so lange an seinen Inszenierungen getüftelt und gefeilt, bis sie für das menschliche Auge zum Geheimnis wurden.

Wie aus dem Nichts leuchtet farbiges Licht, wechselt die Nuancen und die Intensität, nichts flackert, es gibt weder Zäsuren noch Einsprengsel, und wenn, dann kreiert sie die Netzhaut, respektive das Gehirn. Weder Kabel noch der Ursprung dieses Abrakadabra dürfen wahrzunehmen sein. Irgendwann hört man auch auf zu suchen, überlässt sich diesem Mysterium, angeschickert, torkelnd, betört und entrückt. Wer braucht da noch Drogen, wenn es so dermaßen clean geht?

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Eine Herausforderung: die Sicherheit der Besucher

Auf der anderen Seite müssen die öffentlichen Sammlungen zusehen, dass die Besucher in diesen Turrellschen Lichtbädern, der Meister spricht von "Ganzfeldern", sicher sind. In Freising stehen Museumsmitarbeiter am Eingang und fangen Schwankende auf. In den Swarovski Kristallwelten in Wattens nahe Innsbruck, wo "Umbra" wie eine sich öffnende Wunderkammer funktioniert, hat man den breiten Ausgang im Rücken - und eine Bank. Die Aufsichten müssen hier eher achtgeben, dass niemand nach vorn über eine dezente kniehohe Abgrenzung stolpert oder bewusst drübersteigt, um einfach mal nachzusehen, wo diese nahen und doch so fernen Leuchtquellen sitzen.

Wolfgang Häusler, seit über 30 Jahren sein Galerist, beschreibt Turrell als absoluten Perfektionisten, der sich nicht gerne in die Karten blicken lässt. Hauptsache, die Kombination aus Lichtwellen und architektonischen Tricks flutscht reibungslos. Und während die handverlesenen, mit mindestens einer 5000-Dollar-Spende zugelassenen Besucher des "Roden Crater" von einem "lebensverändernden Ereignis" jubeln, fühlen sich andere geradezu erotisiert. In der Turrell-Schau in Hannover wurden Paare mit schöner Regelmäßigkeit beim Sex überrascht. Selbst die Installation von Kameras konnte das nicht verhindern.

Bei geöffneter Kuppel tut sich hoch oben im "Skyspace Lech" am Arlberg der Himmel auf. Das ist selbst bei schlechtem Wetter ein Ereignis.
Bei geöffneter Kuppel tut sich hoch oben im "Skyspace Lech" am Arlberg der Himmel auf. Das ist selbst bei schlechtem Wetter ein Ereignis. © Florian Holzherr / © James Turrell

Ein Ende ist nicht in Sicht

In 1700 Metern Höhe kommt man kaum auf solche Ideen. Vor ein paar Wochen noch war es in Oberlech am Arlberg eisig kalt, und man brauchte schon ordentliches Schuhwerk, um durch den Schnee zum "Skyspace" am Tannegg zu wandern. Die Kuppel des ovalen, in den Hügel eingelassenen Hauptraums kann geöffnet werden. Und kurz vor Sonnenauf- und nach Sonnenuntergang tauchen Wände und Decke in farblich wechselndes Turrell-Licht.

Der Himmel rückt zum Greifen nah, das imaginäre Raumschiff hebt leise ab. Und wenn dann noch echter Schnee durch die Luke rieselt, kann es keine Steigerung mehr geben. Zumindest nicht in den Bergen. Das mag in der Abgeschiedenheit von Arizona anders sein. Nicht ohne Grund baut sich der liebe Gott mit dem Cowboyhut genau hier seine Lichtkathedrale. Ein Ende ist nicht in Sicht, aber 80 ist für einen Magier auch kein Alter.


Diözesanmuseum Freising: "Chapel for Luke" Di bis So 11 - 12 und 14 - 15 Uhr, www.dimu-freising.de; Wattens/Tirol Swarovski Kristallwelten: "Umbra" täglich 9 - 19 Uhr, www.kristallwelten.swarovski.com; Lech am Arlberg: "Skyspace Lech" bis 31. Mai 9 - 18 Uhr, Juni bis Ende November eine Stunde vor Sonnenauf- und bis eine Stunde nach Sonnenuntergang, www.skyspace-lech.com

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