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James Stewart, der größte aller Hollywood-Schauspieler

Feuilletonredakteur
Kein Star hat in mehr Hollywood-Klassikern gespielt: James Stewart zeigte Amerika, wie es gern wäre, nämlich anständig, tugendhaft, tapfer. Er gewann aus Schwäche seine Größe - und zunehmend wurden seine Helden dunkler. An diesem Dienstag vor 100 Jahren wurde James Stewart geboren.

Für jeden, der alt genug ist, um in seiner Kindheit noch das alte klassische Hollywood lieben gelernt zu haben, kam irgendwann der Moment der Wahrheit. Der Augenblick, in dem man merkte, dass das Gute eben doch nicht ohne das Böse existiert. Und dass ein Hauch von Seelenschwärze (manchmal mehr als ein Hauch) insgeheim noch die größten Helden beschwert.

Das Gute – das war in Hollywood eine ganze Epoche lang James Stewart, der heute vor 100 Jahren geboren wurde. Und der Film, in dem ich zum ersten Male seine dunkle Seite sah, war John Fords „Der Mann, der Liberty Valance erschoss“ aus dem Jahre 1962. Nicht nur, weil die ganze politische Karriere des Senators Ransom Stoddard auf der Lüge aufgebaut war, er – und nicht sein von John Wayne gespielter Freund Tom Doniphon – habe einst den Banditen Liberty Valance erschossen. Sondern weil selbst ein kleiner Junge begreifen konnte, dass ihm die Lüge nicht wirklich Glück gebracht hat: Seine Ehe mit Hallie Stoddard erkaltet, er hat sich in einen politischen Phrasendrescher verwandelt, und um seinen Lebensretter Tom Doniphon kümmert er sich bis zu dessen Armenbegräbnis nicht.

Sein Charakter wird düsterer

Je erwachsener man wurde und je mehr man sah, desto mehr vervollständigten später andere, zum Teil schon früher gedrehte Filme diese dunklen Facetten des James-Stewart-Charakters. Den korrupten Marschall Guthrie McGabe in Fords „Zwei ritten zusammen“ interessiert nur das Geld und nicht das Schicksal der Gefangenen, die er bei den Comanchen befreien soll. Der Fotograf mit dem gebrochenen Bein in „Das Fenster zum Hof“ bespitzelt seine Nachbarn mit quasisexueller Erregung. Und der Ex-Polizist in „Vertigo“ modelt seine neue Freundin besessen zur Doppelgängerin einer Toten um.

Die Regisseure liebten es, mit dem Bild von Geradlinigkeit und Aufrichtigkeit zu spielen, die Stewart verkörperte. Alfred Hitchcock hat zwar bedauert: „James Stewart würde nie einen Mörder spielen“ (obwohl er es einmal getan hat: zu Beginn seiner Karriere im zweiten „Dünner Mann“-Film). Doch in den Filmen Hitchcocks und in den düsteren Western Anthony Manns kam er dem Mörder so nah wie möglich.


Zum Inbegriff des Guten und der Hoffnung war Stewart vor allem durch die Filme von Frank Capra geworden. In „Mr. Smith geht nach Washington“ verkörperte er den naiven Durchschnittsamerikaner, der das Establishment mit seinem ungebrochenen Glauben an das Gute, aber auch mit seiner Wut über die Verlogenheit der Herrschenden aufmischt. Gemeinhin verbindet man diesen Film mit der Aufbruchsstimmung des „New Deal“, unter Präsident Roosevelt.

„Ist das Leben nicht schön?“ war ein Flop

Als Stewart 1946 als hoch dekorierter Bomberpilot aus dem Krieg heimgekehrt war, hatte sich trotz des Sieges die Wahrnehmung der Welt schon stark verdüstert: Die letzte Zusammenarbeit von Capra und Stewart war 1946 „Ist das Leben nicht schön?“. Der Film, ohne dessen Fernsehausstrahlung heute Weihnachten kein Weihnachten wäre, zeigt ja eigentlich die längste Zeit einen tief verzweifelten Selbstmordkandidaten, der erfahren musste, das Undank einer eiskalten Welt Lohn ist – bevor ihn am Ende all diejenigen, denen er geholfen hat, in einer gemeinsamen Aktion vor Tod und Bankrott retten.

„Ist das Leben nicht schön?“ war damals trotzdem ein Flop. Man kann es nicht fassen. Heute ist er ein unsterbliches Stück amerikanischer Folklore. Der Regisseur John Cassavetes hat gesagt: „Es war nicht Amerika, an das wir geglaubt haben – es waren die Filme Frank Capras.“

James Maitland Stewart, der am 20. Mai 1908 in Indiana geboren wurde, glaubte tatsächlich an Amerika. Er meldete sich 1941, als er 3000 Dollar in der Woche verdiente, freiwillig zum Kriegseinsatz und flog mit seiner Boeing 24 „Liberator“ Einsätze als Staffelkommandeur gegen deutsche Städte. Nicht einmal als einer seiner beiden Söhne im Vietnamkrieg fiel, zweifelt er, sondern erklärte: „Seine Mutter und ich sind stolz, dass er seinem Land gedient hat. Wir haben das nicht als Tragödie betrachtet. Die Tragödie war, dass unser Junge geopfert wurde, ohne ein vereinigtes Land hinter sich zu haben.“

Der Oscar für ein Nebenwerk

Auch wegen seiner politischen und persönlichen Haltungen tat sich die jüngere Generation, die von den Siebzigerjahren an in Hollywood die Macht übernahm, schwer mit ihm – obwohl ihm nie so viel Hass und Wut entgegenschlug wie dem seelenverwandten Patrioten John Wayne. Es war Steven Spielberg, der Stewart 1992 als Produzent des Trickfilms „Feivel der Mauswanderer im Wilden Westen“ überredete, den Sheriff Wylie Burp zu synchronisieren – als Stimme des alten guten Amerika, das die Einwanderer willkommen heißt.

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Bei den Eltern, die ihre Kinder damals ins Kino begleiteten, sprach diese Stimme glücklichste Erinnerungen an. Niemand – weder Cary Grant noch John Wayne – hat mehr klassische Hollywoodfilme gedreht, als James Stewart, den alle „Jimmy“ nannten und der seine Karriere als Mitglied einer Theatergruppe an der Universität Princeton begann (wo er auch seinen lebenslangen Freund und Kollegen Henry Fonda kennenlernte).

Und wie fast alle Stars in der goldenen Epoche hat er seinen einzigen (!) Oscar (abgesehen von der Auszeichnung fürs Lebenswerk) nicht für einen seiner wahrhaft großen Auftritte bekommen, die 1939 mit „Mr. Smith“ und „Destry Rides Again“ (da sagt er zu Marlene Dietrich als Barsängerin: „Warum wischen Sie sich nicht die Schminke ab und sehen einfach gut aus?“) begannen, sondern für die eher zweitrangige George-Cukor-Screwball-Komödie „Die Nacht vor der Hochzeit“.

„Zweitrangig“ natürlich nur im Werk von James Stewart. Von solcher Zweitrangigkeit träumen viele, die sich selbst für erstrangig halten, ein Leben lang vergeblich. Aber die sind eben auch nicht der größte Filmschauspieler aller Zeiten. Diesen Titel wird ihm – soviel ist knapp elf Jahre nach seinem Tode am 2. Juli 1997 angesichts des Bedeutungverlusts Hollywoods und des Kinos sicher – nie mehr jemand streitig machen können.

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