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Jade Goody – sie lebte und starb im Großformat

Der britische "Big-Brother"-Star Jade Goody ist tot. Ihr Krebsleiden vermarktete die 27-Jährige bis zum Schluss – wie auch ihr Leben in der Zeit vor der Diagnose. Sie bleibt in Erinnerung als mutige junge Frau, die für sozialen Aufstieg und gegen öffentliche Vorbehalte kämpfte. Und damit für viele zum Vorbild wurde.

Das Leben und Sterben im Großformat war früher dem Fürsten, der großen Persönlichkeit vorbehalten. In der Anteilnahme verbeugte sich der Mensch untertänig vor Gevatter Tod, dem niemand entrinnt, auch nicht der Gesalbte und Privilegierte.

In der Zeit der Massendemokratie gelten andere Gesetze. Es kann öffentlich getrauert werden um eine junge Frau und Mutter, die ausgezeichnet war durch ihre Unbedarftheit, mit deren Hilfe sie zu Starruhm aufstieg. Egalité, Gleichheit der Gewinnchancen: Jeder kann Karriere machen in der virtuellen Reality-Welt der Medien. Aus dieser ist die 27-jährige Jade Goody in den frühen Stunden des Sonntags – Muttertag in England – erlöst worden, nach neunmonatigem Kampf gegen einen besonders aggressiven Gebärmutterkrebs, der zuletzt alle ihrer inneren Organe ergriffen hatte.

In ihrem öffentlichen Sterben wuchs die Frau zu einem Format heran, das selbst ihren Verächtern – und es gab deren viele – die Lippen verschloss in stiller Anerkennung. Der Unentrinnbarkeit des eigenen Endes begegnen zu müssen in jungen Jahren, testet die Widerstandsfähigkeit der Psyche aufs Äußerste. Einer Jade Goody stand dafür nicht die „stiff upper lip“, der eingeübte Stoizismus der gehobenen englischen Klasse zur Verfügung.

Sie entstammte einem anrüchigen Südlondoner Sozialmilieu, ohne geordnete Schulausbildung, mit einem Intelligenzquotienten, dessentwegen sie in ihrem ersten Auftritt vor sieben Jahren in Englands dritter “Big Brother“-Show verlacht und gehänselt wurde. Woher bezieht so eine die Stärke, dem grausamen Schicksal ins Auge zu schauen?

Aus der Öffentlichkeit, dem Medien-Milieu, das ihr half, aus dem Chaos ihrer Kinderstube auszubrechen. Vater mehrfach im Gefängnis, drogenabhängig (er starb mit 42 Jahren an einer Überdosis), die Mutter TeilInvalide nach einem Motorradunfall, und Jade, Zahnarzthelferin, Mädchen für alles, mit Hoffnung auf Nichts. Gewalt und Drogen belasten ihre Zukunft. Da kommt ihr Durchbruch mit „Big Brother“: Sie hat nichts zu verlieren, und so ergreift sie die Chance und macht aus ihrer Dürftigkeit ein Markenzeichen. Unförmige Körpermaße, die sie bis aufs Letzte entblößt, dazu Kommentare, die bald zu geflügelten Worten werden: „Liegt East Angular im Ausland“? East Anglia ist eine küstennahe Landschaft Ostenglands.

Ihr ordinärer Ton, erst als abstoßend empfunden, gewinnt wachsende Anhängerschaft. Zwanzigjährig, wird sie zum ersten Mal zu einem Katalysator der Gesellschaft – Blitzableiter für einen Aufstand gegen Privilegien, Bildung und die gehobenen Klassen. Das „girl next door“, das Mädchen von nebenan, gewinnt ikonenhafte Gestalt in den Augen aller ähnlich Unterprivilegierten. Und die Medien entdecken die Zugkraft dieser Nummer, die junge Frau bekommt ihre eigenen Reality-Show, die Klatschpresse reißt sich um sie, sie kreiert ihr eigenes Parfüm “Shhhh“, eine Autobiografie lässt nicht lange auf sich warten, die Beziehung zu einem TV-Produzenten auch nicht, welcher zwei Söhne entstammen.

Aber die Welt der Frau, die berühmt war, weil sie aus dem Nichts berühmt wurde, bricht zusammen, als sie 2007 den Schritt in die neue Show „Celebrity Big Brother“ wagt. Gepaart unter anderem mit dem Bollywood-Star Shilpa Shetty kehrt Jade zu ihrer alten Form zurück und bewirft den indischen Star mit Unflat und rassistischen Ausbrüchen, die der Sendung fast ein frühzeitiges Aus bescheren. Goodys Popularität kehrt sich ins Gegenteil, Parfüm und Autobiografie verschwinden aus den Auslagen, der Verdienst bricht ein, tränenreiche Entschuldigungen helfen nicht.

Krebsdiagnose im Big-Brother-Container

Erst Indien bringt den Umschwung ihrer Fortune. Dank einer öffentlichen Versöhnung mit Shilpa Shetty wird sie eingeladen, im August 2008 in der indischen Version von „Celebrity Big Brother“ aufzutreten. Sie weiß es noch nicht, aber ihr öffentlich gelebtes Leben eilt seinem Zenith entgegen: Ausgerechnet in dem bekannten „Tagebuch-Raum“ der Show, wo Teilnehmer sich vor der unpersönlichen Kamera ausschütten können und selber Botschaften empfangen, erfährt Jade Goody das Resultat eines zuvor in England erfolgten Krebsabstrichs: positiv. Sie bricht zusammen. Der pas-de-deux mit dem Voyeurismus des globalen Dorfes erreicht geschmackloses Gelände.

Aus diesem sich zu befreien, wird die verbleibende Aufgabe der Todgeweihten. Wieder weiß sie sich nicht anders zu helfen als mittels der Öffentlichkeit. Es werden Verträge geschlossen mit einem Kabelkanal „Living TV“, der ihre letzten Monate dokumentiert, mit einem Society–Magazin um die Ehre, bei der Hochzeit am 22. Februar mit ihrem neuen Partner Jack Tweed dabei zu sein, der eigens dafür Freigang erhält aus dem Gefängnis, wo er wegen schwerer Körperverletzung eines Jugendlichen einsitzt. Am 7. März lässt sie sich und ihre beiden Söhne, drei- und fünfjährig, taufen. Die Kinder sind ihre wichtigste Inspiration. Sie sollen es besser haben als sie, die Sterbenshonorare sieht sie gut angelegt.

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Und der Gesundheitsdienst des Landes ist Jade Goody dankbar, dass sie durch ihr öffentliches Zeugnis den jungen Frauen neuen Anreiz gegeben hat, Aversionen zu überwinden und zur Vorsorge gegen Gebärmutterhalskrebs zu gehen. 21 Prozent mehr als bisher sind ihrem Beispiel bereits gefolgt – keine Aufklärungskampagne der Regierung hat je es so weit gebracht.

Premierminister Gordon Brown nennt Goody denn gestern auch „eine mutige Frau“. Das Memento mori, dem die moderne Gesellschaft so gerne aus dem Weg geht, erhält durch einen Menschen aus dem so genannten gewöhnlichen Volk sein ungewöhnliches Imprimatur.

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