Medien muessen neue Wege gehen im Journalismus zur Verteidigung der Demokratie
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Der Journalismus braucht neue Modelle

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Eine Demokratie kann ohne hochwertigen Journalismus nicht funktionieren. Dafür braucht es eine engagierte Diskussion über Stiftungsmodelle und Gemeinnützigkeit – sagt Tanjev Schultz, Professor für Journalistik.

Eine freie Presse ist kein abkömmliches Geschenk, das eine Gesellschaft hat oder eben nicht hat. Sie lässt sich nicht für etwas Besseres eintauschen. Sie ist ein Geschenk, das es zu hüten und zu nutzen gilt. Wer die freie Presse nicht verteidigt, verliert die Demokratie. Wer sie hergibt, hat die Freiheit selbst aufgegeben.

In der Demokratie zu schlafen, kann bedeuten, in einer Diktatur aufzuwachen – diese alte Einsicht ist auch eine Mahnung, die Angebote der Medien nicht wie ein Schlafmittel zu nehmen; sie nicht nur zur Zerstreuung zu gebrauchen oder zur Propaganda. Ohne solide Informationen und ohne kritischen Blick auf die Mächtigen ist kein Volk souverän. Wer die Vierte Gewalt schleifen lässt, steht bald ganz ohne Gewaltenteilung da.

In Zeiten, in denen Donald Trump seriöse Journalistinnen und Journalisten in den USA als „Feinde des Volkes“ beschimpft, muss das demokratische Dösen enden. In Zeiten, in denen nicht wenige Menschen die großen Zeitungen und Sender in Deutschland als „Lügenpresse“ diffamieren, ist es nötig, aufzuwachen und die Unabhängigkeit der Medien zu sichern.

Wichtig ist es, genau hinzuschauen – hier beim Protest gegen den Abriss des Braunkohle-Dorfs Lützerath.
Wichtig ist es, genau hinzuschauen – hier beim Protest gegen den Abriss des Braunkohle-Dorfs Lützerath. © picture alliance / Jochen Tack

Wer austeilt, sollte einstecken können – in einer offenen Gesellschaft müssen sich auch die Medien Kritik gefallen lassen: an ihren Beiträgen, ihren Fehlern, ihren Übertreibungen. Daran darf es keinen Zweifel geben. Doch den Demokratie- und Journalismusfeinden geht es nicht um vernünftige Medienkritik oder um konstruktiven Streit. Rechtsextremisten haben kein Interesse an Medien, die eine liberale Gesellschaft stützen. Es geht ihnen darum, die demokratische Infrastruktur zu zerstören.

Das ernsthafte, wahrhaftige Bemühen um die Wahrheit macht den seriösen Journalismus aus

Die Pressefreiheit „raubt der kühnen Sprache des Demagogen allen Zauber der Neuheit, das leidenschaftlichste Wort neutralisiert sie durch ebenso leidenschaftliche Gegenrede“. Können diese Worte, die Heinrich Heine vor fast 200 Jahren so kraftvoll und hoffnungsfroh formuliert hat, heute noch gelten? Kann es den Medien gelingen, die Wahrheit ans Licht zu bringen und all die „Lügengerüchte, die, von Zufall oder Bosheit gesät, so tödlich frech emporwuchern im Verborgenen“, schon während ihrer Geburt zu ersticken? Es ist schwierig, aber nicht unmöglich.

Journalistinnen und Journalisten tun gut daran, nicht der Vorstellung zu erliegen, sie hätten Wahrheit und Weisheit gepachtet und qua Presseausweis einen exklusiven Zugang zur Welt erlangt. Aber, und darauf kommt es bei aller Demut an: Das ernsthafte, wahrhaftige Bemühen um die Wahrheit macht den seriösen Journalismus aus.

Das genaue Prüfen von Informationen und Quellen, das Berichten aus unterschiedlichen Perspektiven, das Artikulieren von Kritik und Widerspruch, das faire Wägen von Argumenten, das Aufdecken von Korruption und Machtmissbrauch. Auch das Korrigieren eigener Fehler und das Zugeben von Unwissen oder Unsicherheit.

FR-Dossier: Gegen rechts

Hunderttausende Menschen gehen in Deutschland auf die Straße, um ein Zeichen gegen die AfD und Rechtsextreme zu setzen. Genügt das, um die Bedrohung zu stoppen?

Deutschland rückt nach rechts. Die perfiden „Remigrations“-Pläne des Potsdamer „Geheimtreffens“, die Wahlerfolge der zumindest in Teilen gesichert rechtsextremen AfD, verbale und körperliche Angriffe auf Minderheiten und engagierte Menschen zeigen: Hier gerät etwas ins Rutschen.

Die Demokratie ist ernsthaft in Gefahr. Wie kommt es dazu? Und vor allem: Was können wir dagegen tun? Die FR sucht Antworten auf diese Fragen in der Reihe „Gegen rechts“. Analysen untersuchen Ursachen und mögliche Auswege; Interviews verdeutlichen die Perspektiven von Fachleuten und Betroffenen.

Die Demokratie steht auf dem Spiel, und mit ihr ein Journalismus, der ihr dient

Heinrich Heine hat recht, immer noch: Die Pressefreiheit hilft im Kampf für die Wahrheit. Sie hilft im Kampf gegen Demagogen und Despoten – auch in der Gegenwart, in der es anstrengender wird, im Gestrüpp aus Lügen, Halbwahrheiten, ungedeckten Behauptungen und bloßen Bekenntnissen, die in den „sozialen Medien“ wuchern, mit soliden Informationen und durchdachten Meinungen durchzudringen. In Sorgfalt und Vielfalt werden Qualitätsmedien zur Wahrheitspresse. Nicht ein einzelnes Medium, nicht ein einzelner Beitrag, nicht ein einzelner Journalist, sondern die freien, kritischen Medien als kollektives Organ, als vielstimmiger Chor.

Für ein paar selige Jahre war das Anrufen der Pressefreiheit und der Medienvielfalt in einer stabilen Demokratie wie der Bundesrepublik ein fast schon ödes Ritual. Es war der Stoff für Sonntagsreden und Gedenktage. Doch die Stabilität ist brüchig geworden. Die Demokratie steht auf dem Spiel, und mit ihr ein Journalismus, der ihr dient.

Ein Journalismus, der unabhängig und überparteilich ist, aber beherzt Partei ergreift für die liberale Demokratie und ihre Prinzipien. Ein Journalismus, der sich nicht mit den Mächtigen gemein macht, wohl aber mit den Institutionen und Prozeduren, die ein freies und selbstbestimmtes Leben ermöglichen.

Orbán hat vorgemacht, wie sich eine liberale Demokratie in eine illiberale Ordnung führen lässt

Digitale Unruhestifter auf der einen Seite, Apathie und Eskapismus auf der anderen Seite bedrohen die politische Kultur und den zivilen Meinungsstreit. In den vergangenen Jahren ist die Bundesrepublik im weltweiten Ranking der Pressefreiheit, das die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ erstellt, um mehrere Plätze abgesackt.

Im Vergleich zu vielen anderen Staaten, in denen Autokraten ihre Kritiker gängeln und verfolgen, steht Deutschland noch immer recht gut da. Aber es könnte besser dastehen – und wohin wird sich die Gesellschaft entwickeln? Deutschland ist für Journalistinnen und Journalisten nicht mehr so frei und so sicher, wie es sein sollte. Angriffe auf Redaktionen und Reporter häufen sich.

Was würde geschehen, wenn Populisten und Extremisten weiter an Boden gewännen und sie nicht nur auf der Straße und im Internet versuchten, Journalistinnen und Journalisten einzuschüchtern, sondern dafür auch die Parlamente nutzen könnten; Behörden, Verbände, Kommissionen und Rundfunkgremien, Hochschulen, Staatsanwaltschaften und Gerichte? Was würde geschehen, wenn es ihnen gelänge, die Angebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zusammenzustreichen oder für die eigenen Ziele zu instrumentalisieren? Wenn sie wichtige Zeitungen und Online-Portale übernähmen?

Es braucht keine Änderung des Grundgesetzes, um die Freiheit der Presse zu untergraben. Viktor Orbán hat in Ungarn vorgemacht, wie sich eine liberale Demokratie Schritt für Schritt in eine illiberale Ordnung führen lässt – mit immer mehr Redaktionen, die nach seiner Pfeife tanzen.

Zu Person und Buch

Tanjev Schultz , geb. 1974, ist seit 2016 Professor für Journalistik an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Zu seinen Fachgebieten zählen die Qualität und Ethik des Journalismus. Früher war Schultz Redakteur der „Süddeutschen Zeitung“.

Der nebenstehende Text ist eine leicht gekürzte Version seines Beitrags aus dem Buch „Verteidigt die Demokratie!“, herausgegeben von Harald Roth. Das Buch ist soeben im Verlag J.H.W. Dietz (Bonn) erschienen, es kostet 24 Euro und enthält Texte u.a. von Aleida Assmann, Gerhart Baum, Rainer Forst, Norbert Frei, Kübra Gümüsay, Düzen Tekkal, Ilija Trojanow, Michael Vassiliadis und Heinrich August Winkler.

Das Buch.
Das Buch. © Dietz

Viele Medien sind infolge der digitalen Transformation ohnehin angeschlagen. Für Lokalzeitungen fehlt ein dauerhaft tragfähiges Geschäftsmodell, die Marktkonzentration hat beängstigende Ausmaße angenommen. Zugleich steht der öffentlich-rechtliche Rundfunk unter Druck. Ihn zu stabilisieren und so zu reformieren, dass er auch in einer vollends digitalen Ära als verlässliche, staatsferne Quelle für den demokratischen Diskurs dienen kann, gehört zu den zentralen Herausforderungen der kommenden Jahre.

Die öffentlich-rechtlichen Sender dürfen nicht weniger, sie müssen noch mehr in hochwertige journalistische Angebote investieren. Guter, kritischer Journalismus ist effektiver Demokratieschutz. Klar sein muss deshalb auch: Extremisten dürfen keine Rundfunkräte sein – in den Gremien der Sender haben sie nichts zu suchen, wie stark ihre Wahlergebnisse auch sein mögen.

Sieht man in der Pressefreiheit nicht nur ein Abwehrrecht gegen den Staat, sondern ein Leistungsrecht, folgen daraus Ansprüche an ein vielseitiges und leistungsfähiges Medienangebot. Es zu schaffen, zu erhalten und zu fördern, ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Staatliche Zensur und Verfolgung können der Presse die Freiheit abschnüren, aber auch Profitinteressen, wirtschaftliche Einflussnahme und die Machtgelüste von Eigentümern.

Den Staat müssen die Medien auf Distanz halten

Wenn die Medien ihren demokratischen Dienst erfüllen sollen, benötigen Journalistinnen und Journalisten die Zeit und den Freiraum, umfassend und gewissenhaft recherchieren zu können. Die Pressefreiheit ist wenig Wert, wenn die Freiheit fehlt, gründlich zu sein. Das gilt nicht zuletzt für den Lokaljournalismus – dort, wo die Demokratie den Menschen am nächsten ist.

Wenn es keine Redaktion mehr gibt, die noch die Kraft aufbringt, den kommunalen Haushalt zu durchdringen oder das Gebaren lokaler Honoratioren zu überprüfen, werden sich dramatische Lücken in der Kritik- und Kontrollfunktion der Öffentlichkeit auftun.

Es wäre naiv zu glauben, eine aufgeklärte Öffentlichkeit könnte sich ganz ohne professionelle Kräfte bilden und relevanten Themen zuwenden. Mehr denn je braucht es den Journalismus als prüfende Instanz und bündelnde Kraft. Wo der Markt versagt, müssen andere Mechanismen gefunden werden, die mediale Infrastruktur der Demokratie zu sichern.

Dass private Verleger jeden Versuch abwehren, in ihr Geschäftsfeld einzudringen, ist verständlich, aber ohne innovative Lösungen wird es immer weniger hochwertige Angebote in der Fläche geben. Den Staat müssen die Medien auf Distanz halten, eine bessere Presseförderung schließt das nicht aus. Stiftungsmodelle und die Gemeinnützigkeit von Medienangeboten müssen stärker gefördert werden, und es braucht eine offene Diskussion über neue Wege, vielfältigen und hochwertigen Journalismus zu sichern.

Die Diagnose von Habermas ist aktueller denn je

Jürgen Habermas plädierte bereits vor mehr als zehn Jahren dafür, ein stabileres Fundament für den Journalismus zu finden; er schrieb: „Der Markt hat einst die Bühne gebildet, auf der sich subversive Gedanken von staatlicher Unterdrückung emanzipieren konnten. Aber der Markt kann diese Funktion nur solange erfüllen, wie die ökonomischen Gesetzmäßigkeiten nicht in die Poren der kulturellen und politischen Inhalte eindringen, die über den Markt verbreitet werden.“

Seine Diagnose ist aktueller denn je. Denn mittlerweile stehen durch minutiöse Analysen von Publikumsdaten, Zuschauerströmen und Zielgruppen-Präferenzen auch die öffentlich-rechtlichen Redaktionen in ständiger Versuchung, den demokratischen Auftrag zugunsten simpler Marktorientierung zu vernachlässigen.

Zu den Leistungen hochwertiger journalistischer Angebote gehört, dass sie dazu beitragen, Präferenzen zu reflektieren und zu verändern. Zu ihren Leistungen gehört, dass sie den allzu einfachen Wahrheiten ein Verständnis für die Komplexität der Wirklichkeit entgegensetzen. Zu ihren Leistungen gehört, dass sie bestehende Vorurteile nicht nähren, sondern Anstöße liefern, etwas zu lernen und Urteile so vernünftig wie möglich zu fällen.

Digitale Zeitungen gehören als dauerhafte Abonnements in jede Schule

Etwas lernen: Das betrifft auch das Wissen der Bürgerinnen und Bürger über die Medien. Dieses Wissen ist ausweislich einiger Studien erschreckend gering. Das darf nicht so bleiben, Medienbildung ist Demokratiebildung. Jugendliche und Erwachsene müssen Informationen einschätzen und die eigene Kommunikation regulieren können. Was dürfen, was sollen sie verbreiten und veröffentlichen? Welchen Quellen können sie vertrauen? Die Fragen, die Journalistinnen und Journalisten umtreiben, sind oft dieselben Fragen, die sich Bürgerinnen und Bürger stellen.

Das ist eine Chance für professionelle Redaktionen, die eigene Arbeit dem Publikum zu erklären und zu empfehlen. In den Schulen sind nicht nur befristete, isolierte Projekte gefragt, es braucht intensive Medienbildung in allen Stufen und Fächern. Digitale Zeitungen, vielleicht sogar einige Exemplare aus Papier, gehören als dauerhafte Abonnements in jede Schule, Gespräche über das Weltgeschehen in jeden Morgenkreis.

Die Demokratie musste historisch erkämpft werden. Sie musste von den Menschen auch erlesen werden. Nun muss die Demokratie verteidigt werden – und mit dem Lesen fängt es an.

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