Königreich Westphalen – ein Modellstaat

Nach dem Frieden von Tilsit 1807 entstand als französischer Satellitenstaat das Königreich Westphalen. Jérôme Bonaparte (*15. November 1784, †24. Juni 1860), Bruder der französischen Kaisers Napoleon, wurde als König eingesetzt und machte Kassel zu seiner Residenz.

Abbildung von Jérôme Bonaparte
Spottgedicht

Das Königreich sollte zum Modellstaat werden. Die Verwaltung sowie das Sozialwesen wurden modernisiert, eine neue Verfassung („westphälische Verfassung“, ähnlich dem „Code Civil“= frz. Gesetzbuch zum Zivilrecht) sowie eine neue Staatsform eingeführt. Das Fridericianum diente ab 1810 als Palast der Stände, und damit als erstes Parlament auf deutschem Boden. Durch die Auflösung der Zünfte sollte der Handel und Gewerbe florieren. Weitere Neuerungen brachten zusätzlichen Aufschwung: Abgeschafft wurden die Patrimonialgerichte (=gutsherrschaftliche Gerichte mit eigener Rechtspflege), die Steuerfreiheit des Adels und die Leibeigenschaft. Außerdem dehnte man die bereits in Frankreich praktizierte und bewährte Gewerbefreiheit, Gewaltenteilung und Gleichberechtigung der Juden aus und führte die Führung von Zivilstandsregistern und Kirchenbuchduplikaten auch im Königreich Westphalen ein.

Jérômes Herrschaft hatte aber auch ihre Kehrseiten: Seine Verschwendungssucht machte ihn nicht wirklich beliebt in der Bevölkerung, bei der er aufgrund seiner vielen Feste, und seiner eher mangelhaften Deutschkenntnisse, auch den Beinamen „König Lustik“ trug. In seine Regierungszeit fiel außerdem der Brand des Kasseler Stadtschlosses, das aufgrund einer Unachtsamkeit niederbrannte und nicht wiederaufgebaut wurde. Ständige Finanznot, hervorgerufen durch die Abgabeforderungen aus Frankreich, zwang die westphälische Verwaltung zu teilweise einschneidenden Maßnahmen. Dazu gehörte auch die Säkularisation der Kirchengüter. Gleichzeitig wurde auch das Steuerwesen vereinheitlicht, so dass nun etwa die Grundsteuer auch von den vorher befreiten adeligen Grundherren bezahlt werden musste.

Während des Russlandfeldzugs 1812 musste auch das Königreich Westphalen Truppen stellen. Von den 28.000 Soldaten kehrten nur ca. 1000 in die Heimat zurück. 

Die Akzeptanz innerhalb der Bevölkerung für den neuen Staat war regional verschieden. Umfangreiche Bespitzelungen und polizeiliche Unterdrückungen sollten Unruhen schon im Keim ersticken. Dennoch hat es verschiedene Aufstandsbewegungen gegeben. Die bekannteste war der Aufstand des Freiherrn von Dörnberg 1809, der in einer verheerenden Niederlage der Aufständischen bei einem Gefecht gegen westphälische Truppen an der Knallhütte bei Baunatal endete.

Nach der Niederlage des französischen Kaisers in der Völkerschlacht bei Leipzig im Oktober 1813 verließ Jérôme seine Residenz. Das Königreich wurde aufgelöst und der ehemalige Kurfürst Wilhelm I. kehrte unter großer Anteilnahme der Bevölkerung nach Hessen-Kassel zurück. Die Bürger feierten den Abzug Jérômes u.a. mit einem Spottgedicht (siehe Angang).

Anders als sein Bruder Napoleon blieb Jérôme Bonaparte von Verfolgungen verschont. Er kehrte nach Frankreich zurück und wurde dort 1850 zum Marschall von Frankreich ernannt. Jérôme Bonaparte starb am 24. Juli 1860.