Zum Tod von Irm Hermann: Die anarchische Königin
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Zum Tod von Irm Hermann: Die anarchische Königin

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Die Grande Dame des deutschen Autorenfilms: Irm Hermann  (2015)
Die Grande Dame des deutschen Autorenfilms: Irm Hermann  (2015) © picture alliance / dpa

Die große Schauspielerin Irm Hermann ist mit 77 Jahren gestorben. Ihre Werk reichte von „Händler der vier Jahreszeiten“ bis zu „Fack ju Göhte 3“. Der Nachruf.

  • Die deutsche Schauspielerin Irm Hermann ist im Alter von 77 Jahren gestorben
  • Sie spielte in Filmen von Rainer Werner Fassbinder, Werner Herzog und Percy Adlon
  • Zu sehen war Irm Herrmann in sämtlichen Genres, vom Drama „Händler der vier Jahreszeiten“ bis zu „Fack ju Göhte 3“

Nicht mehr viel ist übrig vom Neuen Deutschen Film, dieser in den 70er und frühen 80er Jahren weltweit so sehr bewunderten Kinobewegung. Doch wenn Irm Hermann spielte, machte sie alle Zäsuren unserer Kinogeschichte vergessen. Großzügig stellte sie ihr überragendes Talent in den Dienst der nächsten Generationen und adelte sie damit auch ein Stück mit ihrer eigenen Noblesse. Eine Hand wusch die andere: Wenn eine Irm Hermann den noch heftig umstrittenen Christoph Schlingensief ernst nahm*, dann besänftigte dies wohl auch einen Teil der Kritik. Und ihr wiederum erlaubte es, ihre Kunst immer weiter zu vervollkommnen, sei es in populären Genres oder in experimentellen Formen wie etwa den Werken Ulrike Ottingers („Johanna d’Arc of Mongolia“).

So wie sie schon in Fassbinders schillernder Truppe eine integrative Kraft gewesen war, erlaubte sie es uns, in diesem Gemischtwarenladen, zu dem das deutsche Kino geworden ist, das Verbindende, ja vielleicht sogar das Klassische zu sehen. Besonders gerne in Komödien – von Veteranen wie Loriot („Papa ante Portas“) und Rudolf Thome („Paradiso – Sieben Tage mit sieben Frauen“) bis zu Peter Timm („Mein Bruder ist ein Hund“), Lola Randl („Die Erfindung der Liebe“) oder zuletzt Bora Dagtekin („Fack ju Göhte 3“).

Grand Dame des Neuen Deutschen Films: Irm Herrmann ist gestorben

Unsterblich aber bleibt Irm Hermann natürlich vor allem in den vielen Rollen, die Rainer Werner Fassbinder ihr auf den Leib schrieb. 1966 arbeitete sie noch als Sekretärin beim ADAC als der junge Regisseur und Autor ihr Talent erahnte und sie für seinen zweiten Kurzfilm „Der Stadtstreicher“ verpflichtete. Gemeinsam mit Hanna Schygulla gründeten sie das Münchner „action-theater“, das spätere „antitheater“. „Anarchisch zu leben macht mir Spaß“, gestand sie 2015 in einem Interview des „Zeit“-Magazins und bezeichnete Fassbinder als ihre Rettung. Aus dem Wunsch, ihrem bürgerlichen Leben zu entkommen, entwickelte sie eine ironische Distanz zu bürgerlichen Rollenmustern. Nie verfiel sie dabei ins Karikierende, dafür erweckten auch ihre unsympathischen Rollen auf subtile Weise Empathie. Ähnlich wie in der männlichen Filmwelt der Franzose Michel Piccoli, war die heimliche Anarchistin die erste Wahl, wenn es um die subtile Repräsentation spießiger Moralvorstellungen ging.

Mit Rainer Werner Fassbinder in „Angst essen Seele auf“, 1973.
Mit Rainer Werner Fassbinder in „Angst essen Seele auf“, 1973. © picture-alliance / KPA Copyright

Bis 1975 spielte sie in fast allen Filmen und Theaterarbeiten Fassbinders tragende Nebenrollen, ihre einzige Hauptrolle trug ihr 1972 den Deutschen Filmpreis ein: In „Händler der vier Jahreszeiten“ spielt sie die ungeliebte Ehefrau der Titelfigur, eines Obsthändlers im Nachkriegsdeutschland. Hermanns bittere Zeichnung eines lieblosen Pragmatismus hält dem Aufbruchspathos vom Wirtschaftswunderland einen stumpf glänzenden Spiegel vor. Keine Darstellung über die wechselnden weiblichen Rollenmuster in der deutschen Gesellschaft ist komplett ohne ihre filmische Repräsentanz durch Irm Hermann.

Irm Herrmann im Alter von 77 Jahren gestorben - Der Nachruf

Die komplexe Arbeits- und Lebensgemeinschaft mit Fassbinder* übertrug einiges davon schmerzlich in die Wirklichkeit. 1975 zog sie durch ihren Umzug nach Berlin einen Schlussstrich – um später nur noch in „Berlin Alexanderplatz“ und „Lili Marleen“ unter seiner Regie zu spielen. Fassbinders missbräuchliches Verhalten ihr gegenüber ist auch Thema von Oskar Roehlers neuem Biopic „Enfant Terrible“, das eigentlich zum 75. Geburtstag des Regisseurs am 31. Mai hätte ins Kino kommen sollen. Wegen der Corona-Krise ist der Start nun auf 1. Oktober verschoben.

Die Trennung von Fassbinder gab Hermanns Karriere neue Perspektiven. Werner Herzog besetzte sie in „Woyzeck“, Hans W. Geißendörfer in „Ediths Tagebuch“. Einen weiteren Deutschen Filmpreis trug ihr 1993 die Rolle von Sophie Scholls Mitgefangener in Percy Adlons Drama „Fünf letzte Tage“ ein. Mit einer Nominierung wurde 2009 ihre Darstellung einer Witwe in Max Färberböcks „Anonyma – eine Frau in Berlin“ gewürdigt. Auch dem Theater blieb Hermann treu, herausragend war ihre Zusammenarbeit mit Christoph Marthaler, etwa 2014 in „Tessa Blomstedt gibt nicht auf“ an der Berliner Volksbühne.

Eine bunt durchmischte Karriere - Die Laufbahn von Irm Herrmann

Souverän und mit verhaltener Ironie verstand es Irm Hermann in späteren Jahren stets mit dem Erbe (und auch dem Rollenimage) ihrer Fassbinder-Zeit zu spielen – etwa neben ihren einstigen Kolleginnen Hanna Schygulla, Margit Carstensen und Eva Mattes 2016 in Aelrun Goettes Tatort „Wofür es sich zu leben lohnt“. Immer wieder spielte sie in ihrer langen Karriere Überlebende, die sich mit eiserner Disziplin durchzubeißen wussten. Wie viel leichter fiel ihr die eigene Überlebenskunst.

Dazu gehörte es auch eine besondere Großzügigkeit. Ich erinnere mich, wie Christoph Schlingensief sie 1997 bei einer Premiere von „Die 120 Tage von Bottrop“ scherzend vorstellte: „Meist wird sie ja mit Hanna Schygulla verwechselt ...“ Die Grande Dame des deutschen Autorenfilms amüsierte sich königlich. Denn das konnte nun wirklich nicht passieren.

Gestern wurde bekannt, dass Irm Hermann am Dienstag im Alter von 77 Jahren gestorben ist.

Von Daniel Kothenschulte

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