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Kultur Irm Hermann ✝︎

Sie brachte Ordnung in Fassbinders Chaos

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ANGST ESSEN SEELE AUF (1973) mit IRM HERMANN und RAINER WERNER FASSBINDER B36508 [ Rechtehinweis: ] ANGST ESSEN SEELE AUF (1973) mit IRM HERMANN und RAINER WERNER FASSBINDER B36508 [ Rechtehinweis: ]
Irm Hermann und Rainer Werner Fassbinder bei "Angst essen Seele auf" 1973
Quelle: picture-alliance / KPA Copyright
Irm Hermann hätte ihr Leben beinahe als Sekretärin zugebracht. Dann traf sie Rainer Werner Fassbinder. Wurde Schauspielerin. Und Teil seiner Familie. Sie absolvierte eine der wundersamsten Karrieren des deutschen Films. Jetzt ist sie gestorben.

Irm. Kurz und knarzig. Nicht Irma und nicht Irmchen, die netteren, heimeligen Abkürzungen für Irmgard.

Denn als Irmgard Hermann wurde sie am 4. Oktober 1942 in München geboren. Nach der Volksschule absolvierte sie eine Lehre als Verlagskauffrau und arbeitete als Sekretärin beim ADAC, so wäre sie womöglich auch in Rente gegangen.

Doch 1966 lernte sie bei einem Dramenwettbewerb der Jungen Akademie München zufällig einen schrägen, egomanen, aber sehr faszinierenden Kerl namens Rainer Werner Fassbinder kennen. Und damit war es um ihre bürgerliche Existenz zumindest teilweise geschehen.

Der deutsche Film, das Fernsehen und auch das Theater aber wurden um eine der langlebigsten wie eigenwilligsten Darstellerinnen reicher.

Sie hat nie eine Schauspielschule besucht

Der Rainer, der zog mit einem anderen Kerl nicht nur irgendwann in ihr Einzimmerapartment in der Ainmillerstraße. Er gab ihr 1972 auch eine Hauptrolle in seinem „Händler der vier Jahreszeiten“.

Zusammen mit Hans Hirschmüller bekam Irm Hermann, die nie eine Schauspielschule von innen gesehen hatte, ihr erstes Bundesfilmband in Gold. Viele weitere Auszeichnungen folgten.

Der Faszination dieser gar nicht so vielseitigen, aber immer wunderbar präsenten und sehr besonderen Schauspielerin wusste sich keiner zu entziehen.

ARCHIV - 25.11.2010, Berlin: Die Schauspielerin Irm Hermann (als der Kaiser) und der Schauspieler Dieter Montag (als Wilhelm Giesecke) stehen bei einer Fotoprobe in der Komischen Oper in Berlin auf der Bühne. Die Schauspielerin starb im Alter von 77 Jahren. Foto: picture alliance / dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Irm Hermann und Dieter Montag in Berlins Komischer Oper
Quelle: dpa

Irm Hermann hat sich bis ins Alter diese Anmutung des Laienhaften, Intuitiven beibehalten. Obwohl sie bereits von Fassbinder „wie ein Kieselstein abgeschliffen“ wurde.

Und mehr noch, zwischen all den schrägen Schwabinger Sumpfhühnern und 68er-Bohème-Vögeln war sie die Organisierte und Praktische, die als Mädchen für alles zumindest ein wenig Ordnung ins Buchführungschaos zu bringen wusste.

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Die Verwaltungsangestellte und die Actrice, in dieser Dualität ging sie auf. Irm Hermann spielte im schillernden Fassbinder-Universum selten die Hauptrolle, aber sie hatte eine gewaltige Präsenz: allein schon diese schnarrige, sauertöpfisch scharfe, maulige Stimme, die aus jedem Vorwurf eine Quälodram zu machen wusste!

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Und dann diese stockige, steife Person dahinter, die oft meckerte, alle hasste, aber eigentlich nur geliebt werden wollte. Und die, wie natürlich alle, den Rainer liebte, aber nicht wirklich zurückgeliebt, sondern nur für einen höheren Zweck benutzt wurde.

Sie wollte sich seinetwegen sogar umbringen. 1975, da hatte sie genug, emanzipierte sich, floh nach Berlin.

Die mehr als zwanzig Produktionen, die Irm Hermann mit Fassbinder unternommen hat, die sind Kulturgeschichte. Schon 1966 hatte er sie im Kurzfilm „Der Stadtstreicher“ besetzt. Mit ihr, Hanna Schygulla, Peer Raben, Kurt Raab, Ingrid Caven, Harry Baer und den anderen von der Familie gründete er das spätere Antiteater, in dem sie bis 1969 spielte.

Sie spielte auch für Dietl, Hauff und Verhoeven

Danach war sie in „Liebe ist kälter als der Tod“, „Katzelmacher“ und „Angst essen Seele auf“ die mürrische Spießerin. Unvergesslich war sie 1972 als sehr irdische Blondengelpuppe im Lesben-Melodram „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“.

Natürlich waren längst auch andere Regisseure auf diese eigenwillige Person aufmerksam geworden. Schon vor der Fassbinder-Abnabelung stand Irm Hermann für Reinhard Hauff, Ulli Lommel, Michael Verhoeven und in Helmut Dietls „Münchner Geschichten“ vor der Kamera.

Danach drehte sie sofort weiter mit Daniel Schmid, Hans Werner Geißendörfer, Werner Herzog, Karin Brandauer, Ulrike Ottinger, Bernhard Wicki, Herbert Achternbusch. Und auch für Fassbinder spielte sie wieder, etwa in „Berlin Alexanderplatz“ und „Lili Marleen“.

Die Schauspielerin Irm Hermann, aufgenommen am Mittwoch (08.07.2009) in Bansin während eines Fototermins bei Dreharbeiten zum neuen rbb-Spielfilm mit dem Tiitel "Krauses Kur". Foto:Stefan Sauer +++(c) dpa - Report+++ [ Rechtehinweis: (c) dpa - Repo
Irm Hermann im rbb-Spielfilm „Krauses Kur“
Quelle: picture-alliance/ ZB
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Ihr komisches Talent entfaltete sie für Loriot, Hape Kerkeling und Gerhard Polt. Vielseitig und längst professionell wie sie war, drehte Irm Hermann ZDF-Serien und „Tatort“, war bei RTL in „Doctor’s Diary“ und eroberte sich in „Fack ju Göhte“ noch einmal jüngere Publikumsschichten.

Mit ihrem Ehemann, dem Kinderbuchautor Dietmar Roberg, hatte sie zwei Söhne. Daneben spielte sie aber auch regelmäßig Theater, etwa an der Freien Volksbühne und am Berliner Ensemble, zudem war ihre unverwechselbare helle Stimme immer wieder in Hörbüchern und im Radio zu hören.

Als Sophie Scholls Zellengenossin in Percy Adlons „Fünf letzte Tage“ erhielt sie 1983 erneut den Bundesfilmpreis, 2000 den Silbernen Bären der Berlinale für „Paradiso“. 2007 wurde das von ihr gesprochene „Enigma Emmy Göring“ Hörspiel des Jahres.

Vorher schon hatte Irm Hermann ihre Film- wie Bühnenkarriere noch einmal sprühend verjüngt, indem sie sich auf das Wagnis eingelassen hatte, neuerlich bei der Familie eines besonders charmanten jungen Mannes mitzumachen: Christoph Schlingensief.

„Bei dem muss man immer aufpassen, dass er einen zu etwas verführt, was man hinterher bereut“, hat sie ihre Zuneigung zu dem Jüngeren zu relativieren versucht. Dabei ließ sie sich gern verführen, für seine Trash-Streifen wie die kontroversen Theater-Happenings.

„Ich habe Druck auf der Sprechblase“

So wie sie auch bald von anderen Volksbühne-Regienamen gebucht wurde. Besonders von Sebastian Baumgarten, der sie sogar im „Weißen Rössl“ als Kaiser Franz Joseph besetzte.

Und von Christoph Marthaler, dessen beide bisher letzten Berliner Produktionen „Tessa Blomstedt gibt nicht auf“ (2014) und „Bekannte Gefühle, gemischte Gesichter“ (2016) sie veredelte.

„Ich habe Druck auf der Sprechblase“, sagte sie da, obwohl sich Irm Hermann auch wunderbar stumm durchsetzen konnte. Am 26. Mai ist sie in Berlin nach kurzer schwerer Krankheit gestorben. Sie wurde 77 Jahre alt.

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