Die Frau der trans Abgeordneten Tessa Ganserer hat einen offenen Brief an Horst Seehofers Frau geschrieben
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Die Frau der trans Abgeordneten Tessa Ganserer hat einen offenen Brief an Horst Seehofers Frau geschrieben

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In dem Brief bittet sie um Unterstützung dafür, das Transsexuellengesetz abzuschaffen. Wir veröffentlichen den gesamten Brief.

Die Frau der bayerischen Landtagsabgeordneten Tessa Ganserer, Ines Eichmüller, hat einen offenen Brief an die Frau von Innenminister Horst Seehofer geschrieben. In diesem Brief bittet sie um Unterstützung gegen die geplante Reform des Transssexuellengesetzes (TSG). Tessa Ganserer ist die erste als trans geoutete Landtagspolitikerin und selber von der derzeit kontrovers diskutierten Reform des Gesetzes betroffen.

„Für mich war immer klar: da muss Tessa nicht alleine durch“ schreibt Eichmüller in ihrem Brief an Karin Seehofer. Das Gesetz atme „den Geist des dunkelsten Teils deutscher Geschichte“. Bis heute seien keine guten Vorschläge aus dem Bundesinnenministerium gekommen, das Unrecht gegen trans Personen zu stoppen. „Wenn heute das TSG endlich reformiert werden soll, dann kann nur die Abschaffung des TSG ein guter Weg sein.“

Das Transsexuellengesetz von 1981 gilt als stark veraltet und stigmatisierend gegenüber trans Personen. BuzzFeed News veröffentlichte vor wenigen Wochen einen Entwurf für ein neues Gesetz, der unter trans Personen, Fachverbänden und von Oppositionsparteien heftige Kritik auslöste. Die Reform bringe kaum Verbesserungen und baue sogar neue Hürden auf, so die Vorwürfe der Verbände. Der Entwurf wurde von Bundesjustiz- und Bundesinnenministerium angefertigt.

Besonders die Regelung, dass auch Ehepartner*innen vor Gericht künftig angehört werden sollen, wurde als zusätzliche Stigmatisierung beklagt. Die Frau von Tessa Ganserer meldete sich darauf hin erstmals öffentlich in der Debatte zu Wort. Nun hat sie einen offenen Brief geschrieben, den BuzzFeed News Deutschland heute per Email erhalten hat und den wir hier im Wortlaut veröffentlichen.

Vorbemerkung:

Liebe Betroffene, Achtung dieser Brief ist voll gepackt mit Emotionen. Denk dran: Gib nie auf. Es gibt immer Menschen, die für dich da sind. Meldet euch gerne bei mir. Insbesondere auch für den „Aufstand der Ehemänner und Ehefrauen bzw. der Liebenden“. Ines Eichmüller

Sehr geehrte Frau Seehofer,

ich wende mich an Sie in der Hoffnung auf Unterstützung in der Sache "Reform des Transsexuellengesetz" insbesondere zu dem Punkt "Anhörung von Ehepartnern/Ehepartnerinnen".

Der Referentenentwurf des Innenministeriums zum Transsexuellengesetz (TSG) sieht vor, dass leider weiterhin die entwürdigenden Gerichtsverhandlungen nötig sein sollen, damit Menschen ihren Geschlechtseintrag ändern lassen können. Neu soll nun dazu kommen, dass auch die Ehepartnerinnen bzw. Ehepartner vor Gericht dazu befragt werden.

Vorweg möchte ich mich gleichzeitig für diesen Brief entschuldigen.

Ich weiß, das Gesetz betrifft Sie nicht und ich kann gut verstehen, wenn Sie vermutlich in diese Diskussion nicht reingezogen werden möchten. Insbesondere öffentlich. Die Entscheidung über die Ausgestaltung des Referentenentwurfs liegt bei Ihrem Ehemann (sowie anderen ministeriellen Personen) und nicht bei Ihnen. Sie haben mit der Entscheidung direkt nichts zu tun. Es tut mir leid, Sie nun in diese Diskussion hineinzuziehen; in diese Diskussion, in der leider Fachleute und Betroffene kaum beachtet oder einbezogen werden; in der leider rationale Argumente und verfassungsmäßige Rechte zurückstehen.

Die Person, die ich seit 21 Jahren kenne und seit 18 Jahren liebe hat sich als Frau* herausgestellt. Auch wenn uns das früher beiden nicht so klar war, war sie schon immer eine Frau*. Sie möchte nun ihren Namen in den offiziellen Dokumenten ändern und als Frau* angesprochen werden. Aktuell muss sie dazu die Vorgaben des TSG erfüllen. Mir war das Thema früher genauso fremd wie wahrscheinlich Ihnen.

Ich wende mich heute an Sie, denn der Referentenentwurf, den Ihr Ehemann vorgelegt hat, zwingt Ehepartner*innen wie mich in eine ähnliche Lage, wie der Brief Sie. Wir sollen zu einer Entscheidung Stellung nehmen (vor Gericht!), die nicht wir zu entscheiden haben, zu der wir nicht direkt etwas beitragen sondern nur zeitlich bremsen oder anschieben können - mit harten oder guten Worten an die/den Ehepartner*in.

Egal ob wir die Entscheidung unseres Ehepartners*/unserer Ehepartnerin* zur Transition gut finden oder nicht oder noch unentschlossen sind, sollen wir Aussagen treffen. Noch dazu zu höchst intimen Lebensbereichen. Mit existentiellen Folgen für die/den Ehepartner*in. In einer Zeit, die sicher für jede Ehe eine schwierige Phase ist, ist das keine Idee, die dem Schutz von Ehe und Familie dient.

Momentan reagieren noch die meisten Ehepartner*innen ablehnend, wenn sich herausstellt, dass die Person, die sie geheiratet haben, trans ist. Das ist auch verständlich.

Sich selbst annehmen können so wie man ist, ist für Menschen, die trans sind, selbst sehr schwer. In der Regel ist es ein sehr schmerzhafter, langwieriger Prozess. Gelten sie doch als anders. Galten sie bis vor kurzem als psychisch gestört. War ein freies und sogar glückliches Leben für sie über lange Phasen der deutschen Geschichte nicht möglich.

Das TSG ermöglichte ab 1981 einigen endlich ein freies Leben. In ihrem Pass konnte endlich ihr Name stehen, der sich endlich richtig anfühlte. Doch das TSG schrieb auch vor, wie sie zu lieben und zu sein hatten: bestehende Ehen mussten geschieden werden. Die Tränen flossen leise und heimlich, aber es war Unrecht, was das TSG Familien angetan hat.

Meine 1940 geborene Nachbarin harrte bis zum Tod ihrer geliebten Frau aus, als "Mann in Frauenkleidern", täglich den Blicken und der Diskriminierung ausgesetzt. Erst dann im fortgeschrittenen Alter ging sie den Weg, den das TSG vorschrieb: Operation. Nur die "Kleine Lösung", aber mit allen Folgen. Ohne Operation kein Ausweis mit richtigem Namen. Ohne Operation kaum Verständnis für dieses So-Sein, das sie sich nicht ausgesucht hatte. Sie war einfach so.

Für andere betroffene Frauen* und Männer* war das TSG noch härter. Es schrieb vor, dass man unfruchtbar sein musste. Die OP nahm qua Gesetz das Recht und die Möglichkeit Kinder zu bekommen. Nun gibt es sicher Menschen für die das alles so abstrus wie Teufelsanbetung klingt: Zwei Frauen*, die gemeinsam Kinder zeugen. Aber ich würde auf meine Kinder nie verzichten wollen. Ich bin zutiefst dankbar bereits zwei Kinder zu haben, mit der Frau*, die ich seit 18 Jahren liebe. Es ist alles noch etwas ungewohnt es so zu formulieren, aber so ist es. Was hat man durch das TSG anderen Menschen da angetan!

Damals wie heute kamen aus dem Bundesinnenministerium dazu keine guten Vorschläge, dieses Unrecht zu stoppen. Tapfere Paare und einsame Kämpfer*innen haben den Weg zum Verfassungsgericht durchgestanden und Recht bekommen: Die Ehe muss nicht mehr geschieden werden. Zwangsoperationen an Erwachsenen wurden abgeschafft. Ich danke den Kläger*innen, ihren Rechtsbeiständen und den Verfassungsrichter*innen dafür von Herzen. Wo wäre ich ohne sie heute?!

Das TSG atmet den Geist des dunkelsten Teils deutscher Geschichte. Der Staat entschied in den dunkelsten Zeiten, welches Leben sich fortpflanzen darf und welches nicht. Welche Ehen erlaubt sind und welche zu scheiden. Das Unrecht aus diesen finstersten Zeiten, ist nicht ausgeräumt. Weder bei den Opfern von Euthanasie noch Zwangssterilisierung. Als "asozial" stigmatisierte Menschen wurden nie rehabilitiert oder entschädigt. Die Farbe der Winkel, die sie im KZ tragen mussten, fehlt bei den Gedenkstätten. Ihrer wird nicht erinnert. Aber es gab sie. Nicht viele, aber trans zu sein ist keine Mode-Erscheinung. Es gab Menschen, die so sind, schon immer.

Und wenn heute das TSG ENDLICH reformiert werden soll, dann kann nur die Abschaffung des TSG ein guter Weg sein. Am TSG klebt Blut und Tränen. Es haften auch die Tränen der Ehefrauen und Ehemänner der Betroffenen daran. Es ist kein guter Vorschlag, die Ehepartner*innen nun auch noch mit in das Gesetz zu schreiben.

Ich hoffe, Sie sehen die Notwendigkeit für diesen Brief. Es hat mich viel Überwindung gekostet, da ich aus Rücksicht auf meine Kinder und weitere Familienmitglieder möglichst wenig zu Tessa Ganserers Transition öffentlich in Erscheinung treten wollte. Das mediale Interesse an ihrem Outing war überdimensional.

Der Reformentwurf zum TSG und das hektische Verfahren hat bei den Betroffenen und ihren Familien viel Staub aufgewirbelt. Die emotionale Belastung während der Transition ist auch für Angehörige groß. Verzweiflung trieb und treibt Menschen, die trans sind, unglaublich oft in den Suizid. Der Referentenentwurf zum TSG nennt die Eheparter*innen und nun werden seine Macher*innen nicht darum herumkommen, sich mit den betroffenen Ehemännern* und Ehefrauen* auseinandersetzen zu müssen. Auch mit mir.

Meine Sorge und die Sorge anderer betroffener Ehemänner* und Ehefrauen* ist groß. Die allermeisten scheuen sich öffentlich dazu in Erscheinung zu treten. Aber hier wurde eine rote Linie überschritten! Es wird keine Reform des TSG mehr gegen die Betroffenen geben können. Dies zeigt auch die enorme Resonanz auf die Petitionen. Es gab binnen 48 Stunden heftigen Widerstand gegen den Reformentwurf zum TSG. Immer mehr trans Menschen können auf den Rückhalt ihrer Familien zählen. Für mich war immer klar: da muss Tessa nicht alleine durch. Ich stehe hinter ihr. Auf ähnliche Unterstützung können andere trans Menschen auch zählen. Daher: wie hätte man mehr Widerstand provozieren können als auch noch die Ehefrauen und Ehemänner im Referentenentwurf mitreinzuziehen?

Es braucht eine handwerklich gute, fachlich auf dem Stand der Forschung alle "Varianten der Geschlechtsentwicklung" umfassende Lösung. Eine Lösung die Artikel 1 gerecht wird: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das muss endlich auch für trans Personen gelten.

Durch die eingeklagten Verbesserungen zum TSG, aber besonders zum dritten Geschlechtseintrag sowie durch die Einführung der "Ehe für alle" wagen sich mehr Menschen aus der Deckung. Mehr Kinder dürfen so bleiben, wie sie geboren sind. Immer mehr Paaren gelingt es, dass die Familie an einer Transition nicht zerbricht. Ich würde mir wünschen, dass der Bundesinnenminister hier sich entschlossen auf die Seite der Mutigen stellt. Zum Schutz von Ehe und Familie. Für Ihre Unterstützung wäre ich sehr dankbar.

Mit freundlichen Grüßen

Ines Eichmüller

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