Inception - Die Filmstarts-Kritik auf FILMSTARTS.de
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    Inception
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    5,0
    Meisterwerk
    Inception
    Von Carsten Baumgardt

    Eine zynische, aber zutreffende Hollywood-Weisheit besagt: „Du bist nur so viel wert wie dein letzter Film!" Das gilt in noch stärkerem Maße für Regisseure, die schließlich oft über Jahre an ein Projekt gebunden sind und nicht die Chance haben, wie Schauspieler gleich mehrere Filme pro Jahr zu realisieren. Deshalb müsste Warner Bros. Christopher Nolan für seine Dienste eigentlich in Gold aufwiegen. Da diese Tradition aber schwer aus der Mode gekommen ist, nutzt das Studio zeitgemäßere Möglichkeiten, seinen Mehr-als-eine-Milliarde-Dollar-Regisseur (das Einspiel von „The Dark Knight") zu hofieren. Als Dankeschön gab's von Warner nämlich einen Persilschein im Wert von 160 Millionen Dollar. Kein Studio der Welt hätte einem anderen Filmemacher einen experimentellen Sci-Fi-Actionthriller wie „Inception" in dieser Preisklasse durchgewinkt. Das wundersame Resultat: Aus der kalkulierten Gefälligkeit, die Nolan eigentlich nur zu „Batman 3" motivieren sollte, ist ein Glücksfall für das moderne Kino geworden. Nolan vereint in „Inception" Kunst, Intelligenz und Mainstream in inszenatorischer Perfektion zu einem fiebrigen Meisterwerk.

    Dom Cobb (Leonardo DiCaprio) ist ein Meisterdieb. Sein Fachgebiet: die Extraktion. Er dringt in die Träume fremder Menschen ein und stiehlt deren geheimste Gedanken für gut zahlende Auftraggeber. Doch der Versuch, den Industriellen Saito (Ken Watanabe) zu beklauen, schlägt fehlt und bringt Cobb in arge Bedrängnis. Um aus der Sache wieder rauszukommen, soll Cobb für Saito bei dem Konzern-Erben Fisher (Cillian Murphy) eine sogenannte Inception durchführen. Auf Deutsch: Cobb muss Fisher im Traum einen Gedanken einpflanzen, der Saitos Unternehmen bevorteilt. Als Lohn verspricht Saito, dem Dieb die Rückkehr in die USA zu ermöglichen, wo seine Kinder (Claire Geare, Magnus Nolan) auf ihn warten. In Amerika wird Cobb wegen Mordes an seiner Frau Mal (Marion Cotillard) gesucht, die sich in Wahrheit (?) aber selbst umgebracht hat. Cobb heuert ein Team von Spezialisten an, um die Inception bei Fisher zu implantieren. Dass eine solche noch nie zuvor gelungen ist, hält ihn nicht davon ab, einen verzweifelten Versuch zu starten - selbst wenn er dabei sein Leben riskiert. Arthur (Joseph Gordon-Levitt) ist der Organisator, der die Abläufe koordiniert, Ariadne (Ellen Page) die Architektin, die die Träume konstruiert, Eames (Tom Hardy) der Fälscher, der im Traum jede beliebige Person kopieren kann, und Yusuf (Dileep Rao) der Apotheker, der den Betäubungscocktail anrührt, der die Truppe in die Traumphase schickt. Saito besteht jedoch darauf, selbst auch an dem Unternehmen teilzunehmen und als Tourist auf den Trip ins Unterbewusstsein mitzugehen. Tiefer und tiefer taucht das Team in die Welt der Träume ein und stößt dabei auf erwartete und unerwartete Gegenwehr...

    Der rasende Aufstieg des Christopher Nolan in Kurzform: Mit seinem Puzzle-Meisterwerk „Memento" katapultierte er sich ins Bewusstsein der Kinogemeinde, setzte mit dem Thriller „Insomnia" eine Duftmarke in Hollywood, rettete das „Batman"-Franchise mit „Batman Begins" vor dem endgültigen Absturz, servierte mit „The Prestige" den Mindfuck der Kinosaison 2006/07 und schuf anschließend mit „The Dark Knight" den handwerklich vielleicht perfektesten Mainstreamfilm der Geschichte. Aber Nolans Entwicklung ist noch nicht zu Ende. Mit „Inception" versucht sich der Brite nun am Unmöglichen: Arthouse-Kino im Gewand eines großen Sommerblockbusters. Um die aktuelle Unart Hollywoods, bei großbudgetierten Filmen das Risiko zu minimieren und kreative Ideen auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu stutzen, schert sich Nolan einen Dreck. Er regiert auf seinem eigenen Planeten und lädt sein Publikum ein, einen Blick in seine Welt ohne künstlerische Kompromisse zu wagen. Die Idee zu „Inception" trägt er schon seit zehn Jahren in seinem Kopf herum. Aber erst sein jetziger Status als Regie-Heiland hat es ihm erlaubt, diese auch umzusetzen.

    Nolan präsentiert sich als fairer Regie-Sportsmann. Rund eine Stunde lang erklärt er sorgsam die Regeln seines „Inception"-Universums zwischen Traum und Realität. Ob diese allesamt logisch sind, spielt überhaupt keine Rolle - Nolan gibt seine Prämisse vor und fertig. Wer gedanklich aussteigen möchte, hat nun die letzte Chance. Denn danach gibt es kein Zurück mehr. Das Werk entwickelt in der Folge einen unwiderstehlichen, fast magischen Sog, der den Betrachter hemmungslos in den Film hineinzieht. Traumebene um Traumebene steigen die Protagonisten hinab in die Unterwelt der Gedanken. Je tiefer es abwärts geht, desto instabiler und lebensbedrohlicher wird das Konstrukt. Es ist nahezu unmöglich, alle Detail in sich aufzusaugen. Traum und Wirklichkeit verschwimmen zusehends, aber wer das Prinzip erst einmal verstanden hat, darf sich staunend durch die Bilderflut tragen lassen. Nolan fordert sein Publikum über die Länge von zweieinhalb Stunden permanent intellektuell heraus, die Welt von „Inception" zu entschlüsseln. Und das ist ein wahrhaft höllisches Vergnügen.

    Mit der Ankunft in Paris drückt der Filmemacher den Zuschauern das erste Mal Bilder auf die Augen, die eigentlich unglaublich sind. Er stellt komplette Straßenzüge der französischen Metropole als Doublette auf den Kopf, lässt später Güterzüge über die Straßen von Los Angeles donnern oder illustriert das Ende der Zeit visuell als realen Ort. Die Vollkommenheit dieser Bilder von Nolans Hauskameramann Wally Pfister, gepaart mit Hans Zimmers kongenial unterstützendem Score, ist schlichtweg überwältigend. Inhaltlich betritt der Film zwar kein Neuland, das Thema „Traum im Film" ist schließlich schon oft beackert worden, doch niemand hat sich bisher an eine derart detailversessene Umsetzung gewagt. Und trotz seines Anspruchs funktioniert „Inception" auch als gradliniger Sci-Fi-Actionthriller, weil Nolan ausgiebig Bezüge in der modernen Kinopopkultur sucht. Er zitiert James Bond und Jason Bourne genauso wie „The Matrix", legt seine „Mission: Impossible" wie einen ernsten „Ocean´s Eleven"-Heist an und bewahrt sich die philosophische Tiefe von Stanley Kubricks „2001 - Odyssee im Weltraum", weil die emotionale Verortung der Figuren nie sicheren Boden berührt und sich hinter der nächsten Ecke schon wieder eine neue Perspektive auftut. Rein visuell ist Nolans Film eine ausführliche Hommage an den niederländischen Künstler und Grafiker M.C. Escher, der durch die Darstellung unmöglicher Formen zur Ikone aufstieg.

    Seine Schauspieler hetzt Nolan durch sechs Länder auf vier Kontinenten, die Schlüsselszenen spielen in Tokio, Paris, Calgary, Mombasa (von Tanger gedoubelt) und Los Angeles. Dazu wurde ein ehemaliger Flugzeug-Hangar in Cardington, England für Innendrehs genutzt. Der Großteil entstand aber trotzdem an Originalschauplätzen. Nolan setzt auf den ganz großen Maßstab, denn nur der harmoniert mit seinem epischen Stoff der grenzenlosen Realitäten und Räume. Inszenatorisch klotzt Nolan, aber mit Stil! Er treibt seine Geschichte dramatisch auf die Spitze und inszeniert seine Action so satt und griffig als gelte es, sich für den Regieposten eines zukünftigen Bond-Films zu bewerben.

    Wenn ein Christopher Nolan ruft, dann kommen alle, die er auf seiner Besetzungsliste sehen möchte... vertraute Gesichter (Ken Watanabe, Cillian Murphy, Michael Caine) ebenso wie Nolan-Neulinge (Leonardo DiCaprio, Ellen Page, Marion Cotillard). Mit DiCaprio („Blood Diamond", „The Departed") steht „Inception" ein kassenträchtiges Zugpferd vor. Der Superstar besitzt das Talent, auch moralisch ambivalente Figuren so darzustellen, dass sie zwar komplex bleiben, aber dennoch das Publikum auf ihre Seite ziehen. Das trifft auch auf seine Rolle in „Inception" zu. Der Definition nach ist sein Dom Cobb ein Schwerstkrimineller. Sein Verstand sagt aber etwas anderes. Die Beziehung zu seiner toten Ehefrau Mal ist der Dreh- und Angelpunkt des gesamten Films und der offensichtliche (oder doch nur scheinbare?) Rückweg aus dem Labyrinth – so es diesen denn überhaupt gibt. Während die versammelte Co-Star-Riege sich ihren Funktionen entsprechend der Geschichte unterzuordnen hat, besetzen DiCaprio und Cotillard das emotionale Herzstück des Films. Der von von ehernen Motiven - die seine Methoden und die Rücksichtslosigkeit seines Handelns legitimieren - getriebene Cobb rückt dem Wahnsinn immer näher. Übertroffen wird DiCaprios starke Vorstellung jedoch noch von Femme Fatale Marion Cotillard („Public Enemies", „La Vie En Rose"), die Wellen emotionaler Wucht auftürmt, die auf DiCaprio einstürzen. Trotz der entrückten Traumwelt bleibt „Inception" durch diesen Kniff im Hier und Jetzt verankert, weil sich der Zuschauer mit den universellen Themen Liebe, Verlust, Tod und Trauer nun einmal perfekt identifizieren kann – selbst bei einem Blick in eine parallele Welt.

    Um dem Mainstreamgucker wenigstens ein bisschen Halt zu geben, hat Regisseur und Drehbuchautor Nolan den Charakter von Ellen Page („Juno", „Hard Candy") installiert. Architektin Ariadne fungiert als Katalysator und extrahiert die Zusammenhänge von Cobbs Wirken. Das mag vielleicht ein kleines Zugeständnis an die Masse sein, wird aber von Page mühelos schauspielerisch aufgefangen, weil sie trotz ihrer überschaubaren Größe eine enorme Präsenz ausstrahlt. Von den weiteren Nebendarstellern gefallen Tom Hardy („Rock N Rolla", „Bronson") und Ken Watanabe („Batman Begins", „The Last Samurai") am besten. Während Hardy seinem zwielichtigen Eames schrägen Charme verleiht, fasziniert an Watanabes Saito vor allem die sich stetig wandelnde Beziehung zu DiCaprios Cobb.

    Fazit: Christopher Nolans surreales Meisterwerk „Inception" ist eine virtuose Symbiose aus Kunst und Kommerz in bombastischen Dimensionen, die den Zuschauer mit purer handwerklicher Perfektion attackiert. Eines ist jedoch glasklar: Wer sich nicht auf den Zelluloid-Irrgarten von „Inception" einlässt, sitzt definitiv im falschen Film. Wem dieser Eintritt in eine fremde Welt hingegen gelingt, der wird mit dem originellsten und komplexesten Stück Big-Budget-Kino der vergangenen Jahre entlohnt und setzt mit dem Kauf einer Kinokarte ein deutliches Zeichen gegen die Blockbuster-Gleichmacherei Hollywoods. Aber eine ernst gemeinte Warnung zum Schluss haben wir dann doch noch für euch: Hütet euch vor dem Limbus!

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