Im Körper des Feindes: Stilsicheres Action-Kino und ungewöhnliche Identitätstausch-Story vom Hongkonger Genremeister John Woo.
Gerade als der US-Sommer als „Summer of Dumb“ (Time Magazine) in die Annalen einzugehen droht, naht Rettung in Gestalt eines Actionfilms, dessen Story, Helden und Explosionen frischer und aufregender sind, als man es nach der Unzahl von überbudgetierten Stuntfesten in diesem Jahr für möglich gehalten hätte. Gleichzeitig markiert der meisterhafte Thriller John Woos Rückkehr zu alter Hongkong-Form. In seinem dritten amerikanischen Film hat er endlich einen Weg gefunden, seinen untrüglichen Sinn für Melodrama, sentimentale Kinomomente und atemberaubend inszenierte Todesballette in eine amerikanische Form zu bringen, ohne seine Talente zu verleugnen. Seinen Stars Nicolas Cage und John Travolta bietet er so eine Plattform für das aufregendste Schauspielduell seit „Auf der Flucht“.
Die konventionellen Anforderungen, die das Drehbuch dieses Klassikers von 1993 an Harrison Ford und Tommy Lee Jones stellte, sind allerdings kaum mit „Im Körper/des Feindes“ zu vergleichen. Schon die einführenden 15 Minuten warten mit mehr Spektakel, Spannung und unvorhergesehenen Entwicklungen auf als „Speed 2“, „Vergessene Welt“ und „
Batman & Robin“ zusammengenommen in ihrer vollen Spieldauer. Unter Zuhilfenahme bekannter Zutaten wie Zeitlupe, flackernder Kerzen, flatternder Tauben in einer Kirche und flatternder Rockschöße im Wind formte Woo sein bekanntes Male-Bonding-Thema zu einem schizophrenen Alptraum mit Overkill-Qualitäten, dessen Bilder und Wendungen vom ersten bis zum letzten Moment fesseln. Es ist eine klassische Geschichte vom Kampf zwischen Gut und Böse.
Doch bei diesem Faceoff, diesem Duell verwischen die zunächst noch klar definierten Grenzen zwischen Good und Bad Guy schon schnell auf delirierende Art und Weise, als ein besessener FBI-Agent (zunächst Travolta) und ein psychopathischer Terrorist (zunächst Cage) buchstäblich die Gesichter tauschen (die von „Augen ohne Gesicht“ inspirierte Sequenz ist sagenhaft!) und damit gezwungen sind, die Identität des Erzfeindes anzunehmen und in dessen Leben einzutauchen. Das bedeutet für Travolta und Cage auch, daß sie die Rollen tauschen müssen. Beide nutzen die sich bietende Gelegenheit als einmaligen Showcase. Die Art und Weise, wie sie sich der Schauspieltechnik und des Stils des Kollegen bemächtigen, ist vollkommen, nie albern, gleichzeitig Tribut und Parodie.
Es wird noch komplizierter: Um seine Mission in einem Hochsicherheitsgefängnis erfüllen zu können, wo er sich das Vertrauen des Terroristen-Bruders erschleichen soll, um herauszufinden, wo die beiden eine Zeitbombe plaziert haben, muß die Travolta-Figur in Cages Gestalt so tun, als sei sie Cage. Gleichzeitig schleicht sich die Cage-Figur in Travoltas Gestalt in die Familie und Arbeit des FBI-Mannes ein und muß sich, um den Schein zu wahren, benehmen, als sei er Travolta. Beide Schauspieler spielen, oft ohne erkennbare Übergänge, beide Rollen! Viele Hollywood-Produktionen wären froh, wenn sie ein derartig unterhaltsames Verwirrspiel anzetteln könnten. „Im Körper/des Feindes“ gibt sich damit nicht zufrieden. Denn je weiter die beiden Kontrahenten in die Welt des anderen vordringen und sich an das Leben des anderen annähern, desto mehr Sympathie empfinden sie. Wenn der Film schließlich leise anklingen läßt, daß die Männer mit den vertauschten Gesichtern an Stelle des anderen womöglich jeweils bessere Menschen sein könnten, wird der enge Rahmen alltäglicher Actionproduktionen endgültig gesprengt.
Scheinbar mühelos setzt John Woo noch einen drauf: In vier sehr ausgedehnten Actionsequenzen entfesselt er einen Feuerzauber, wie man ihn in Hollywood noch nicht gesehen hat. Aber auch in diesen furiosen Todestänzen gibt sich der Regisseur nicht mit bloßer Zerstörung zufrieden. In einer Szene filmt er einen brutalen Shootout aus der Sicht eines Jungen, der auf seinem Walkman „
Over the Rainbow“ hört, und verleiht dem ästhetisierten Morden damit eine entfernte Dimension, wie man sie zuletzt bei Leone erleben durfte. Anders als die Werke der zahllosen Werberegisseure, die Hollywood mit Produkten überfluten und wohl die Kraft der Bilder, selten aber ihre Bedeutung kennen, erhält „Im Körper/des Feindes“ seine Größe, weil Woo sich auf die klassischen Tugenden seiner Jugendvorbilder Melville, Peckinpah und Hawks besinnt. So präsentiert er mehr als einen Thrill Ride, sondern einen Exkurs in eine längst vergessene Welt, in der nicht Explosionen, sondern Emotionen das Publikum aus dem Sessel rissen. Ein grandioser Film mit großartigen Schauspielern, wagemutig auf der Höhe ihrer Kunst - das beste, was man in diesem Jahr bisher zu sehen bekommen hat. ts.