Ich habe dich nicht um eine Liebesgeschichte gebeten - Film ∣ Kritik ∣ Trailer – Filmdienst

Ich habe dich nicht um eine Liebesgeschichte gebeten

- | Frankreich 2000 | 97 Minuten

Regie: Jacques Doillon

Zwei junge Frauen und ein Mann, alle Anfang 20, verbringen miteinander eine Nacht in einem Hotelzimmer und versuchen sich spielerisch an der Liebe und ihren Gefühlen, aber nicht an Sex. In einer gelösten Atmosphäre, die an das Sich-Treiben-Lassen der jungen Leute in den Filmen der 60er-Jahre erinnert, erleben die Drei die ganze Bandbreite echter und vorgetäuschter Gefühle, bis sie allmählich über die Gespräche, Flirts, Lügen und zärtlichen Gesten doch noch zu sich selbst und zur Liebe finden. Kammerspielartige Versuchsanordnung, die dank der überzeugenden Darsteller und der subtilen Inszenierung voller innerer Spannung steckt. - Sehenswert.
Zur Filmkritik

Filmdaten

Originaltitel
CARREMENT A L'OUEST
Produktionsland
Frankreich
Produktionsjahr
2000
Produktionsfirma
Diba Films
Regie
Jacques Doillon
Buch
Jacques Doillon
Kamera
Caroline Champetier
Musik
Dom Farkas · Dom Lemou · Jean Lemou
Schnitt
Catherine Quesemand
Darsteller
Lou Doillon (Fred) · Caroline Ducey (Silvia) · Guillaume Saurrel (Alex) · Xavier Villeneuve (Xavier, der Bruder) · Camille Clavel (François, der Student)
Länge
97 Minuten
Kinostart
-
Pädagogische Empfehlung
- Sehenswert.
Externe Links
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Diskussion
Es ist ein bisschen wie in einem Chemielabor, wo verschiedene Elemente so lange miteinander in Kontakt gebracht werden, bis eine neue Verbindung entsteht. Mit dem Unterschied allerdings, dass man den Autor und Regisseur Jacques Doillon nicht bei der Arbeit sieht, sondern nur die Elemente: ein junger Mann und zwei junge Frauen, und dass es um eine leicht flüchtige Verbindung geht – die Liebe. „Carrément à l’ouest“ (was so viel bedeutet wie: leicht durchgedreht) heißt Doillons neue Liebesversuchsanordnung, in der seine Tochter Lou die Hauptrolle spielt. Das Labor ist über weite Strecken ein Hotelzimmer in Paris, in dem drei junge Leute um die 20 ein paar Stunden zusammen verbringen: der Dealer Alex, die aus einem bürgerlichen Milieu stammende, lebenslustige Fred kurz für Frédérique), die eigentlich die Freundin eines Kunden von Alex ist, und die schüchterne Sylvia, die Alex auf Wunsch von Fred in einer Diskothek angesprochen und für eine Nacht ins Hotel eingeladen hat. Dort sitzen die drei herum, reden viel, lachen, streiten, küssen sich und machen aus der Entstehung (oder dem Nicht- Entstehen) von Liebe ein Spielchen, gerade so, als befänden sie sich in einem Theaterstück von Marivaux. Dass Fred sich in Alex verliebt hat, sich aber scheut, das zuzugeben, wird schnell klar. Aber warum lässt sich Alex von ihr überreden, Sylvia anzumachen, wo er doch auch eher Fred zuneigt ist? Damit wird die Sache schon schwieriger. Sylvia, die eigentlich nur aus Neugier mitgeht, verliebt sich nach einer Weile tatsächlich in Alex, will aber keinen Sex. Auch nicht, als Fred die beiden allein lässt. Dann kommen sich die beiden Frauen näher, zwischendurch auch einmal Fred und Alex. Zwar geben sich alle drei in den Gesprächen recht cool, ebenso bei den verspielten Flirts auf Bett und Sofa, aber in ihren Gesten verraten sie sich – zumindest gegenüber dem Zuschauer. Es ist, als hätten alle Angst davor, ihre wahren Gefühle zu zeigen und sich wie Erwachsene zu verhalten. Sie lassen sich lieber treiben. Diese Haltung, das distanzierte Ambiente in der Hotelsuite und die unaufdringliche Leichtigkeit, mit der dieses Kammerspiel inszeniert ist, rücken Doillons Film mehr in der Nähe der unverbindlichen Liebesgeschichten der 60er-Jahre-Filme als in die unserer Zeit. Angedeutet wird das schon durch die etwas wirre, umständliche Einleitung, denn die Geschichte beginnt mit Freds Freund François, der Alex Geld schuldet und so Ursache der zufälligen Begegnung von Fred und Alex ist, die damit endet, dass Fred Alex anbietet, für ihn zu arbeiten, was François zwar überrascht, ihm eigentlich aber egal ist. Denn so sehr scheint er Fred auch nicht zu lieben. Junge Leute, ihre Gefühle und Spielchen zwischen Verführung und Verlangen waren schon häufiger das Thema der Filme von Jacques Doillon (Jahrgang 1944), der seit 1974 über 20 Kinofilme gedreht hat. Doch noch nie schaffte er es, mit so großer Sanftheit – abgesehen von einer Action-Szene, die außerhalb des Hotel spielt – und so wenigen Mitteln eine unterhaltsame Art von Spannung aufzubauen. Sein Film hat wenig Musik, die Steadycam- Kamera kommt zwei gerade miteinander flirtenden Darstellern oft so nahe, dass der Zuschauer den Eindruck hat, er selbst wäre der Dritte im Raum. Einflüsse von außen wie weitere Personen (Alex’ Kumpels etwa) sorgen für Pausen und Ablenkungen – und damit für kurzzeitige Entspannungen im Liebesspiel. Fast unmerklich ändern sich in dieser immer unerträglicher werdenden Leichtigkeit des Seins die Charaktere, denn angezogen von dem magischen Ort und der ungewöhnlichen Situation, finden sie über ihre eigenen Unsicherheiten und (Selbst-)Lügen und die oft unerwarteten Reaktionen der anderen zu sich selbst. Aus der schüchternen Sylvia (Caroline Ducey aus Catherine Breillats „Romance“, fd 34 299) wird am Ende eine resolute Frau, aus der lebenslustigen rebellischen Fred (Lou Doillon, die vor allem in ihrem Lächeln stark an ihre Mutter Jane Birkin erinnert) eine unschlüssige Frau, die das Opfer der von ihr angezettelten Versuchsanordnung wird, und aus dem in den Tag lebenden Alex (Guillaume Saurrel in seiner ersten Kinorolle) ein durchaus entscheidungsfähiger Mann. Dass am Ende eine andere Paarverbindung herauskommt als die, die man anfangs vermutete, gehört zu den vielen kleinen Überraschungen dieses sympathischen Films, der trotz der räumlichen Enge und des in jeder Phase überzeugenden Hauptdarsteller-Trios nie aufgesetzt oder theatralisch wirkt.
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